Ich muss gestehen, dass mir beim Anschauen der BBC-Liste für Milas Challenge „I Capture The Castle“ überhaupt nicht ins Auge gesprungen ist. Aber dann dauerte es eine ganze Weile, bis mir die Bibliothek den Titel „Rebecca“, den ich ursprünglich für Februar lesen wollte, zur Verfügung stellen konnte – und in der Zwischenzeit weckte Birthes Rezension meine Aufmerksamkeit. Als ich da dann noch etwas von skurrilen Charakteren und schrägen Szenen las, musste ich den Roman einfach antesten.
Erzählt wird die (vermutlich) in den 30er-Jahren spielende Geschichte von der siebzehnjährigen Cassandra Mortmain, die mit ihrer Familie in einer Schlossruine lebt. Cassandras Vater ist ein Schriftsteller, dessen erster (und bislang auch letzter) Roman bei Veröffentlichung sehr großes Aufsehen erregte, und der seitdem keine einzige Zeile mehr geschrieben hat. Ihre Stiefmutter Topaz hat früher als Aktmodell für bekannte Maler in London gearbeitet und kümmert sich nun auf ihre sehr individuelle Weise um den chaotischen Schlosshaushalt, während sie bei Gesprächen mit der Natur – die sie selbstverständlich unbekleidet und zum Wohle der benachbarten Bauern nachts durchführt – Kraft tankt.
Cassandras jüngerer Bruder Thomas geht noch zur Schule und spielt anfangs in der Geschichte keine besonders relevante Rolle, während ihre ältere Schwester Rose so langsam jegliche Hoffnung aufgibt, je ein normales Leben zu führen. Für Rose ist die Armut der Familie am schwersten zu ertragen, sie erinnert sich noch zu gut an Zeiten, in denen sie mehr als die notwendigsten Möbel und ausreichend zu essen hatten. Und Rose, die eine wahre Schönheit ist, sehnt sich nach dem kleinen bisschen Luxus, der für ein Mädchen in ihrem Alter normalerweise selbstverständlich ist. Sie möchte Kleider tragen, die nicht aus Lumpen bestehen, und möchte ausgehen, tanzen und Männer kennenlernen können.
Da scheint es eine mehr als glückliche Fügung zu sein, als sich herausstellt, dass der benachbarte Besitz einem jungen Amerikaner hinterlassen wurde. Das Eintreffen des Erben (Simon) und seines jüngeren Bruders (Neil) verändern das Leben der Familie Mortmain erheblich. Während Simon und seine Mutter literarische Diskussionen mit Cassandras Vater führen, Topaz das Interesse der Amerikanerin an ihrem Mann misstrauisch beäugt und Rose fest entschlossen ist, sich zu verlieben und mit einer Heirat für die finanzielle Sicherheit der Familie zu sorgen, notiert Cassandra alle Ereignisse akribisch in ihrem Tagebuch.
Die Familie Mortmain ist auf diese gewisse, liebenswerte Art und Weise exzentrisch, über die ich in Büchern sehr gerne lese und die mich im realen Leben in den Wahnsinn treiben würde. Gerade zu Beginn der Geschichte spielt die Autorin ganz wunderbar mit dem Bild der gebildeten und hochintelligenten Familie, die immer wieder feststellen muss, dass keiner von ihnen irgendwelche praktischen Fähigkeiten hat, mit denen man etwas Geld verdienen könnte. Neben den reizvollen Charakteren sind es die skurrilen, witzigen oder berührenden Momente und Gedanken, die mich gefesselt haben. So stellt Cassandra im Laufe der Geschichte fest, dass sie sich nie richtig arm gefühlt hat, sie hatte immer Mitleid mit Arbeitslosen oder Bettlern, weil es ihnen so schlecht ging. Aber letztendlich geht ihr auf, dass ihre Familie in gewisser Weise in den letzten Jahren notleidender war als diese Menschen, da diese immerhin eine Chance auf Mildtätigkeiten hatten.
Neben der ständigen Frage, wie man das Geld für die allernötigsten Anschaffungen besorgen kann und welche Improvisation über die aktuellste Notlage hinweghelfen kann, gibt es wunderbar amüsante Szenen. Egal, ob Rose ihre Seele an den Teufel verkaufen will oder Cassandra ein privates und genussvolles heißes Bad in der Küche genießen möchte, irgendwie gelingt es Dodie Smith immer wieder, überraschende und sehr unterhaltsame Wendungen in ihre Geschichte einzubauen. Außerdem spürt man auf jeder Seite, dass die Autorin das Buch geschrieben hat, als sie in Amerika lebte und Heimweh nach England hatte. Sie beschreibt so liebevoll die Landschaften, die kleinen Dörfer und die Menschen, die darin leben, dass ich am liebsten sofort einen Flug (inklusive Zeitmaschine bitteschön!) buchen möchte, um selbst einen Blick auf dieses England werfen zu können.