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Linda Castillo: Blutige Stille

Ich bin in den letzten Monaten auf diversen Blogs (unter anderem bei JEDs Schmökerstube) immer wieder über diesen Titel gestolpert und musst dann doch irgendwann meiner Neugier nachgeben und „Blutige Stille” in der Bibliothek vormerken. Dabei hatte ich nach dem Klappentext keine so großen Erwartungen und war – trotz der begeisterten Blogrezensionen – in Bezug auf die Handlung eher skeptisch. Nach dem Lesen des Romans ist Linda Castillo für mich keine Neuentdeckung, die ich unbedingt weiterhin verfolgen muss, aber ich habe mich durch dieses Buch ganz gut unterhalten gefühlt.

Gleich zu Beginn entdeckt der Leser gemeinsam mit dem Polizisten Chuck „Skid“ Skidmore auf einer amischen Farm eine entsetzliche Bluttat. Eine siebenköpfige Familie wurde dahingemetzelt, ohne dass es ein Anzeichen auf den Täter gäbe. Vor allem die Tatsache, dass die Familie nicht nur erbarmungslos getötet wurde, sondern dass die beiden Töchter der Familie zusätzlich noch gefoltert wurden, erschüttert die gesamte Kleinstadt. Erst das Tagebuch einer der Töchter lässt einen Verdacht aufkommen, welches Motiv der Mörder gehabt haben könnte.

„Blutige Stille“ ist nicht der erste Krimi, den ich lese, der in einem Amisch-Umfeld spielt, aber der erste, bei dem die ermittelnde Polizistin (genauer gesagt Polizeichefin Burkholder) selber in dieser Kultur aufgewachsen ist. Und genau dieser Punkt macht für mich einen entscheidenden Unterschied, denn die Hauptfigur Kate Burkholder weiß wie das Leben bei den Amisch abläuft und kann aufgrund ihrer Herkunft ohne große Vorurteile an die Ermittlungen herangehen. In anderen Romanen störte mich hingegen immer diese touristische Neugier und diese Grundskepsis gegenüber einer anderen Lebensweise beim Aufeinandertreffen von Polizisten und amischer Gemeinde.

Aber auch Kate kann nicht unbelastet an diesen Fall herangehen: Auf der einen Seite ist da die Erinnerung an eine friedliche Kindheit und die Naivität, die amische Kinder im Vergleich zu ihren „englischen“ Altersgenossen haben, auf der anderen Seite durchlebt die Polizistin all die Dinge noch einmal, die dazu geführt haben, dass sie sich gegen ein Leben bei den Amisch entschieden hat. Alle Details werden hier für den Leser nicht deutlich – vermutlich, weil das schon Thema im ersten Band („Die Zahlen der Toten“) um Kate Burkholder war. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass ich etwas nicht verstehen würde, weil die Autorin wirklich genügend erklärt und wiederholt.

Achja, die Wiederholungen … Das größte Manko in meinen Augen sind die Wiederholungen wenn es um persönliche Ängste und Gefühle bei Kate und ihrem Freund/Kollegen/Liebhaber John Tomasetti geht. Beide Charaktere haben in ihrer Vergangenheit schlimme Dinge erlebt und während ich bei Kate damit leben konnte, dass dieser Mordfall sie an ihre eigene Geschichte erinnerte, ging mir Tomasetti irgendwann auf die Nerven. Ja, es ist bestimmt schrecklich, wenn die eigene Frau samt der beiden Kinder von einem nach Rache dürstenden Verbrecher bestialisch ermordet werden, und ja, das ist nichts, was man innerhalb von zwei Jahren eben wegsteckt, aber all das hatte ich schon nach den ersten Erwähnungen verstanden. Und genauso erging es mir mit Kates Gefühlen für Tomasetti, denn aufgrund ihrer Vergangenheit und persönlicher Probleme fällt es ihr schwer eine Beziehung einzugehen, obwohl sie seinen Körper, seine Intelligenz und vieles andere an ihm schätzt. Und diese zwiespältigen Gefühle werden von  Linda Castillo immer wieder erwähnt, wenn es darum geht, dass Kate beruflich zu Tomasetti Kontakt aufnimmt oder wenn sie nach Feierabend die Bilder der Toten nicht aus dem Kopf bekommt oder … ach, glaubt mir, die Autorin findet da sehr viele Gelegenheiten!

Dabei hatte ich beim Lesen anfangs gar nicht so sehr den Eindruck, dass das Gefühlsleben der beiden Figuren so im Vordergrund stehen würde, stattdessen habe ich es genossen, dass die Beschreibungen der Ermittlungen mir recht realistisch vorkamen (vor allem, da es so gut wie keine Hinweise gibt) und dass die Charaktere (abgesehen von Tomasetti) interessant, aber nicht zu überzogen dargestellt wurden. Auch wenn Kate Probleme mit genau diesem Fall hat, weil er eben Erinnerungen weckt, so habe ich sie zu Beginn als jemanden geschätzt, der normalerweise seine Gefühle im Griff hat und sich professionell auf seine Arbeit konzentriert.

Ebenfalls angenehm fand ich es, dass der Leser nicht mehr Informationen hatte als Kate. Jeder ihrer Ermittlungsschritte wurde ebenso wie jede Befragung und jedes Sichten von Material beschrieben. Mir gefällt es einfach, wenn ich bei einem solchen Roman „mitermitteln“ darf. Weniger schön fand ich es, dass die verschiedenen Verdächtigen – obwohl es eine überschaubare Zahl war – nicht so beschrieben wurden, dass ich eine greifbare Erinnerung an sie hatte. So musste ich mich immer wieder mühsam erinnern, welcher der Männer nun der entlassen Häftling, der Kaffeelieferant oder der Bauunternehmer war und in warum Kate sie überhaupt befragt hatte.

Auch das dramatische Ende war mir etwas zu viel. Mit einem Köder zu arbeiten ist in meinen Augen zwar legitim, aber dann doch bitte auf eine professionelle Art und Weise und nicht, weil man zu frustriert ist, um sich einen anderen Weg auszudenken. Und auch wenn die Schwelle zwischen Verteidigung und Selbstjustiz überschritten wird, bin ich als Leser nicht mehr so ganz glücklich mit der Geschichte. Herjeh, wenn ich überlege, dass ich das Buch mit einem „ganz nett“-Gedanken aus der Hand überlegt habe, dann habe ich jetzt beim Schreiben doch verflixt viele Kritikpunkte gefunden … 😉