Manchmal stehe ich in der Bibliothek, halte meine Vormerkungen in der Hand und habe das Gefühl, dass ich nicht mit so wenigen Büchern wieder gehen kann. Das sind die Momente, in denen ich – ohne groß nachzudenken oder gar den Klappentext zu lesen – zu Romanen greife und sie mir probeweise ausleihe. „Tod in Toronto“ war genau so eine spontane Ausleihe. Im Hinterkopf hatte ich dabei, dass ich das Buch ja in der nächsten Woche ungelesen zurückgeben kann, wenn es mir nicht gefällt.
Inzwischen habe ich rausgefunden, dass „Tod in Toronto“ (mindestens) der zweite Titel von Liz Brady rund um die Autorin Jane Yeats ist. Das führt dazu, dass man im Roman immer wieder Verweise auf frühere Ereignisse findest, was aber beim Lesen nicht das Gefühl hinterlässt, man hätte etwas verpasst. Die Handlung des Kriminalromans ist recht simpel: Janes Nachbarin, eine drogenabhängige Prostituierte, wird ermordet, und da Jane ein schlechtes Gewissen hat, weil sie ständig über die Tote gelästert hatte, will sie unbedingt, dass der Mörder gefasst wird. Das alles ist zwar nicht so spannend, aber unterhaltsam geschrieben, wenn auch die Auflösung der Verbrechen (ja, es gibt im Laufe des Romans mehrere) recht offensichtlich war.
Ein weiterer Kritikpunkt ist in meinen Augen die unrunde Erzählweise: Bei einigen Sätzen bin ich mir nicht sicher, ob dieses Gefühl von Unstimmigkeit durch die Übersetzung entstanden ist, bei anderen Wendungen hingegen gehe ich davon aus, dass die Autorin sie so gebastelt hat, und empfinde sie als unnatürlich im Zusammenhang mit dem restlichen Text bzw. der aktuellen Situation. Um euch ein Beispiel zu bieten, zitiere ich mal einen Teil über die rasante Motorradfahrt gegen Ende der Geschichte, bei der die Protagonistin so schnell wie möglich ihr Ziel erreichen muss, weil sie befürchtet, dass sich dort ihre Freundin seit einigen Stunden in der Gewalt eines Serienmörders befindet:
„Einmal geriet ich auf eine grasbewachsene, vom Frost spröde Böschung. Ich kitzelte aus meiner Lendenrakete die Vorstellung ihres Lebens heraus. Normalerweise treibt es mich zum Bike-Orgasmus, diese fünfhundert Pfund Metall mit der Gewandtheit eines Snowboarders zu lenken. Heute Nacht allerdings war ich mir bewusst, wie schnell ein Motorrad auf glitschiger Unterlage wegrutscht, und konzentrierte mich darauf, in einem Stück anzukommen.“ (Tod in Toronto, S. 296)
Lendenrakete?! Jupp, genau die Gedanken, die mir durch den Kopf gehen würden, während ich um das Leben einer Freundin bange …
Was mich an dem Roman hingegen faszinierte, waren die Charaktere, die zum Teil wirklich liebevoll dargestellt wurden, und ein Gefühl von Nostalgie. Obwohl der Roman 2001 in Kanada erstveröffentlicht wurde und auch in der Geschichte immer wieder darauf verwiesen wird, dass die Handlung nach 2000 spielt, fühlte sich das Ganze für mich eher nach den 80er-Jahren an. Auf der einen Seite gibt es immer wieder feministische Gedanken und Diskussionen über Prostitution, die mir so vor allem in Büchern begegnet sind, die in den 80er-Jahren (in Großbritannien) spielten. Und auf der anderen Seite habe ich schon lange nicht mehr von einer Protagonistin gelesen, die so hemmungslos trinkt und raucht. Das ist mir eigentlich als Erstes ins Auge gesprungen: Jane Yeats raucht mit einer Selbstverständlichkeit, die mir in den letzten fünfzehn Jahren nicht mehr in Romanen begegnet ist. Ich gebe zu, dass ich als Nichtraucherin, die mit Übelkeit, Kopf- und Halsschmerzen auf Zigarettenrauch reagiert, sehr froh bin, dass immer weniger Menschen (öffentlich) rauchen, aber auf der anderen Seite habe ich bei diesem Buch wieder mal bemerkt, wie präsent Zigaretten früher in Romanen (und Filmen) waren. Schon seltsam, was einem manchmal so ins Auge springt, wenn man ein Buch liest …
Insgesamt war „Tod in Toronto“ also ganz nett zu lesen, aber das Einzige, was ich verpasst hätte, wenn ich es nicht ausgeliehen hätte, wäre eine Runde nostalgischer Gedanken gewesen. 😉