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Polly Shulman: Die geheime Sammlung

„Die geheime Sammlung“ ist ein ganz wunderbares, märchenhaftes – und auch ein wenig altmodisches – Buch von Polly Shulman. Hauptfigur ist Elizabeth, eine Schülerin, die nicht gerade glücklich mit ihrem Leben ist. Vor einigen Jahren starb ihre Mutter, und auch wenn das Mädchen sie sehr vermisst hatte, so hat sie sich in der Zeit danach sehr mit ihrem Vater verbunden gefühlt. Doch inzwischen hat ihr Vater neu geheiratet und so muss Elizabeth nicht nur seine Aufmerksamkeit vermissen, die nun der neuen Frau gilt, sondern auch zugunsten ihrer beiden Stiefschwestern auf viele Dinge verzichten.

Unter anderem bedeutete die Heirat ihres Vaters, dass Elizabeth nun auf eine neue Schule gehen muss. Und da ihre Schwestern beide studieren, musste sie ihren geliebten Ballettunterricht aufgeben, da für diesen kein Geld mehr da war. Außerdem ist ihre beste Freundin gerade nach Kalifornien gezogen – und nun fühlt sich Elizabeth im verschneiten New York ziemlich allein. Einzig der Unterricht bei Mr. Mauskopf, ihrem Lehrer für europäische Geschichte, macht ihr noch Spaß – und so gefällt es ihr sogar, dass sie über die Weihnachtsferien für seinen Unterricht einen Aufsatz über die Gebrüder Grimm schreiben muss.

Der Lehrer ist es auch, der ihr im neuen Jahr einen Nebenjob vermittelt. Dank Mr. Mauskopfs Empfehlung bekommt Elizabeth eine Stelle als „Page“ im „Repositorium der Verleihbaren Schätze“. Das ist eine ungewöhnliche „Bibliothek“, in der die Nutzer die seltsamsten Gegenstände ausleihen können. In den Archiven dieses Gebäudes finden sich Kostbarkeiten, die früher berühmte Persönlichkeiten gehört haben, ungewöhnliche Werkzeuge, wertvolle Teppiche und andere Dinge, von denen ein normaler Mensch kaum zu träumen wagt.

Elizabeth bekommt aber schnell mit, dass sich hinter den Mauern des Repositoriums mehr verbirgt als nur diese kostbaren Gegenstände. Während ihr auf der einen Seite Gerüchte zugetragen werden, die behaupten, dass ein unheimlicher Vogel die Besucher des Repositoriums beobachtet, Gegenstände stielt und auch schon Angestellte entführt hat, bekommt sie auf der anderen Seite hinweise auf geheime Sammlungen, zu denen nur wenige Menschen in dem Repositorium Zugang haben.

Eine dieser Sammlungen beinhaltet magische (und nichtmagische) Schätze aus den Märchen der Gebrüder Grimm, in anderen werden Erfindungen und Gegenstände aufgewahrt, die aus den Romanen der Autorn H.G. Wells oder William Gibson stammen könnten. Doch kaum bekommt Elizabeth offiziell Zugang zu der grimmschen Sammlung, da erfährt sie auch schon, dass wirklich einige der Kostbarkeiten gestohlen wurden.

Neben den Hintergründen des fantastischen „Repositorium der Verleihbaren Schätze“ beschäftig sich Elizabeth auch viel mit ihren neuen Kollegen. Gleich an ihrem ersten Tag hat sie zu ihrer großen Freude feststellen können, dass der beliebte Marc Merritt von ihrer Schule ebenfalls als „Page“ dort arbeitet – und auch mit Aaron, Anjali (und Anjalis jüngerer Schwester Jaya) freundet sich das Mädchen schnell an. Natürlich schwärmt auch Elizabeth für Marc – und benimmt sich deshalb im Laufe des Buches manchmal etwas dümmer, als man es von ihr erwarten sollte, aber alles in allem hat Polly Shulman die verschiedenen Beziehungen sehr schön in die Geschichte eingearbeitet.

Die gesamte Handlung wird aus Elizabeths Perspektive erzählt, und die Schülerin ist – wie es sich für eine klassische Märchenfigur gehört 😉 – ein wirklich nettes, verantwortungsbewusstes und fürsorgliches Mädchen. Überhaupt haben mir all die Anspielungen auf Märchenelemente, -charaktere und –gegenstände ganz wunderbar gefallen. Hier und da plätschert die Handlung objektiv gesehen vielleicht etwas dahin, aber beim Lesen fällt das überhaupt nicht auf, weil man sich an all den kleinen Szenen und fantastischen Einfällen der Autorin erfreuen kann.

Zwei Sachen hingegen sind nicht ganz so schön gelungen: Einmal gibt es eine unübersehbare Unstimmigkeit in der Handlung (die man durch das Streichen des Wörtchens „gestern“ locker hätte beheben können), als sich Mr. Mauskopf im Januar in einem Gespräch mit Elizabeth auf eine Szene bezieht, die sich vor den Weihnachtsferien zugetragen hatte – von der er meint, dass er das „gestern“ gesehen hätte. Nicht schlimm, aber irgendwie bleibt es hängen und hat mich geärgert.

Das andere sind die vielen Zeitsprünge in der Handlung, die man leicht mit einer Leerzeile hätte kenntlich machen können. Da aber der Sprung im Text nur durch einen Absatz kenntlich gemacht wird, muss man sich als Leser erst einmal neu orientieren, wenn man feststellt, dass sich zwischen dem aktuellen Satz und dem davor Ort und Zeit geändert haben. Vielleicht fand man ja die vielen kleinen Abschnitte nicht so schön oder wollte Seiten sparen, aber übersichtlicher – und somit auch angenehmer – wäre es schon gewesen, wenn man diese Sprünge deutlicher gemacht hätte.

Doch beide Punkte sind nun keine so gravierenden Fehler, dass sie mir das Lesevergnügen verleiden konnten. Und Spaß hat mir Elizabeths Geschichte wirklich gemacht. Hier bekommt man vielleicht – im Vergleich zu manch anderem Jugendfantasybuch – keine herzergreifende Liebesgeschichte, keine rasanten Actionsszenen oder kniffelige Herausforderungen für die Charaktere präsentiert, aber dafür wirklich sympathische Figuren, lustige und fantasievolle Einfälle, leise und angenehm realistisch wirkende Beziehungen und viele kleine Momente, die einfach dafür sorgen, dass man sich in der Geschichte wohlfühlt.

Für mich hat dieser Roman etwas angenehm Altmodisches, das mich an viele Jugendbücher erinnert, die ich während meiner Kindheit gelesen habe (uiui, das klingt, als hätte ich das Rentenalter schon erreicht). Das „Repositorium der Verleihbaren Schätze“ hat meine Fantasie angeregt und ein bisschen hoffe ich, dass der Autorin noch einmal eine Idee für ein Roman kommt, der mit diesem wundersamen Ort verbunden ist. „Die geheime Sammlung“ wird auf jeden Fall in mein Regal wandern und in den nächsten Jahren immer mal wieder gelesen werden.