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Regina Stürickow: Mörderische Metropole Berlin – Authentische Fälle

Von Regina Stürickow hatte ich Anfang des Jahres schon „Kommissar Gennat ermittelt – Die Erfindung der Mordkommission“ gelesen und war damit nur teilweise zufrieden, was vor allem an der Präsentation der Informationen und der fehlenden Abstimmung zwischen dem Text, der schon in einer älteren Auflage veröffentlicht worden war, und dem Bildmaterial meiner Ausgabe lag. „Mörderische Metropole Berlin“ hat nun nicht einen einzelnen Polizisten als Aufhänger, sondern liest sich zu Beginn wie eine Stadtführung durch das kriminelle Berlin der 1920er Jahre, während später einzelne Fälle dargestellt werden, die damals passiert sind. Dieser Stadtführungsaspekt hatte dafür gesorgt, dass ich nach dem ersten Anlesen im Sommer erst einmal das Buch zur Seite gelegt hatte, weil ich darauf wenig Lust hatte. In diesem Monat hat es hingegen mit mir und „Mörderische Metropole Berlin“ hervorragend gepasst, und das nicht nur, weil die kurzen Texte sich in einen gut gefüllten Alltag einschieben ließen.

Mit diesem Titel präsentiert die Autorin Kriminalfälle, die sich in Berlin zwischen 1914 und 1933 ereignet haben. Dabei erfährt man als Leser nicht nur, was überhaupt passiert ist und wie die Polizei am Ende auf den Täter kam, sondern Regina Stürickow bietet auch sehr viele Details rund um das alltägliche Leben dieser Zeit und die dunklen Seiten der Gesellschaft. Deutlich wird dabei auch immer wieder, wie sehr schon damals die Menschen von Verbrechen fasziniert waren, und so verkauften sich nicht nur die Zeitungsausgaben besonders gut, in denen reißerische Geschichten über – mehr oder weniger – reale Verbrechen veröffentlicht wurden, sondern es gab auch gedruckte Reiseführer und Führungen (bei denen häufig Kriminalbeamte die Stadtführer spielten) durch das kriminelle Berlin oder von Kriminalkommissaren veröffentlichte Milieuschilderungen. Interessant finde ich, dass die Führungen bei den Betreibern der „Unterweltkneipen“ angeblich nicht so beliebt waren, schließlich vertrieben all die Touristen ihr eigentliches Klientel, auf der anderen Seite führten diese Touren auch nicht in die wirklich schlimmen Ecken der Stadt, schließlich konnten die Stadtführer nicht riskieren, dass ihre Kunden zu Schaden kamen.

Von den Mordfällen, die Regina Stürickow in „Mörderische Metropole Berlin“ aufführt, kannte ich einige schon aus „Kommissar Gennat ermittelt“. Es gab aber noch genügend neue Kriminalfälle, um das Buch zu einer interessanten Lektüre zu machen. Spannend fand ich zum Beispiel die Details rund um den Mord an dem ehemaligen osmanischen Großwesir Talât Pascha, bei dem der Täter freigesprochen wurde, obwohl es mehrere Zeugen für die Tat gab und der Mörder geständig war. Faszinierend waren dabei nicht nur die Gründe für den Freispruch, sondern auch die Informationen, die später noch zu den Hintergründen der Tat herauskamen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist für mich bei diesen Berichten die Intensität, mit der in einigen Fällen ermittelt wurde, und die Hilflosigkeit der Polizei in anderen Fällen. Es gab zu dieser Zeit noch kein festgelegtes Prozedere, wenn es um (Mord-)Ermittlungen ging, und die Spurensicherung steckte noch immer in den Kinderschuhen – es fehlte dabei meist nicht am Wissen, sondern an den Möglichkeiten (oder am Personal), dieses auch umzusetzen. Dazu kam, dass die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu einer radikalen Erhöhung der Kriminalitätsrate führte und natürlich nicht genügend Beamte da waren, um all diesen Verbrechen die nötige Aufmerksamkeit zu widmen.

An längsten haben mich die Fälle beschäftigt, bei denen es am Ende der Beschreibung hieß, dass sie nicht aufgeklärt wurden. Manchmal war das so, weil es einfach nicht genügend Hinweise auf den Täter gab, dann wieder gab es zwar einen begründeten Verdacht, aber keine Beweise, mit denen man den Mörder hätte überführen können. Interessant finde ich auch die Fälle, bei denen Jahre später eine Aussage der Akte zugefügt wurde, in der jemand die Identität des Mörders verriet, bei denen aber keine Verhaftung mehr erfolgen konnte, weil die Person schon verstorben war, oder der Zeuge nicht genügend Informationen zur genauen Identifizierung des Täters beisteuern konnte. Angesichts der Beschreibungen, die es zur Aktenverwaltung in diesem Buch (und auch dem anderen Titel der Autorin) gibt, scheint es mir fast schon ein Wunder zu sein, dass diese Information dann noch ihren Weg in die dementsprechende Akte fand. Auch mag ich mir kaum vorstellen, wie schwierig die Zusammenarbeit mit Ermittlungsstellen in anderen Teilen Deutschlands oder im Ausland war, und finde es dann umso bewundernswerter, wenn in einem Fall nach jahrelanger Arbeit doch noch Informationen aus dem Ausland zu weiteren Spuren bei einer Ermittlung führten.

Ich gebe zu, dass „Mörderische Metropole Berlin“ jetzt nicht so viele neue Informationen für mich enthielt, aber all diese kleinen Details zu entdecken, die mir ein genaueres Bild vom Alltag (und der Polizeiarbeit) dieser Zeit vermitteln, hat mir wieder sehr viel Spaß gemacht.

Regina Stürickow: Kommissar Gennat ermittelt – Die Erfindung der Mordinspektion

Über Regina Stürickow und ihre Veröffentlichungen rund um Berliner Kriminalfälle und Kommissar Gennat bin ich im vergangenen August das erste Mal gestolpert, als mein Mann und ich ein „Mörderisches Wochenende“ verbrachten. Als Folge dieses Wochenendes und der intensiven Beschäftigung mit dem Film „M“ von Fritz Lang landeten zwei neue Titel auf meiner Wunschliste, die beide inzwischen auch bei mir eingezogen sind. Einer davon ist „Kommissar Gennat ermittelt – Die Erfindung der Mordinspektion“, und weil ich so neugierig darauf war, habe ich in den letzten Tagen bei jeder Gelegenheit darin gelesen. Wichtig ist es mir noch, anzumerken, dass „Kommissar Gennat ermittelt“ die überarbeitete Neuauflage des 1998 erschienenen Titels „Der Kommissar vom Alexanderplatz“ ist, wobei für diese aktuelle Veröffentlichung die Texte überarbeitet und neues Bildmaterial und weitere Kriminalfälle eingefügt wurden.

Kommissar Gennat war mir zwar schon länger ein Begriff, aber da ich ihn vor allem aus Romanen kannte, die die reale Person in fiktive Geschichten einbetteten, fand ich es spannend, mehr über diesen ungewöhnlichen Kriminalbeamten zu erfahren. Die Zeit, in der Ernst Gennat bei der Polizei arbeitete, war von vielen Umbrüchen geprägt. So ist er 1904 mit 24 Jahren in den Dienst der Polizei getreten und blieb bis zu seinem Tod im August 1939 bei der Kriminalpolizei. Während er also den Ersten Weltkrieg und das Ende der Kaiserzeit, die Weimarer Republik und die ersten Jahre des Nationalsozialismus erlebte, erwarb sich Ernst Gennat – in der Regel sogar relativ unabhängig von der aktuellen Politik – einen Ruf als unvergleichlicher Kriminalist und nutzte diesen, um zur Gründung der ersten Kriminalpolizeilichen Abteilung in Deutschland beizutragen (und diese im Laufe der Zeit weiterzuentwickeln).

Von politischer Seite aus scheint Ernst Gennat bis 1933 recht freie Hand gehabt zu haben, auch wenn er – dank seines mangelnden Ehrgeizes – nie in eine so hohe Position kam, dass er seiner Arbeit auf diese Art und Weise ohne wohlwollende Vorgesetzte hätte nachgehen können. Nach 1933 wurde es für die Mordermittlung deutlich schwieriger, weil die Kriminalpolizei nun auf der einen Seite zum politischer Handlanger wurde (und das häufig zur Freude derjenigen Ermittler, deren Gesinnung ebenso rechts war wie die neue Regierung) und es auf der anderen Seite keine Fahndungsaufrufe oder ähnliche Möglichkeiten für die Ermittlungsarbeit mehr gab, damit die Bevölkerung in dem Glauben gehalten werden konnte, dass es unter dem rechten Regime zu keinen großen Verbrechen mehr kommen würde.

Insgesamt ist mir im Laufe des Buches aufgefallen, wie wenig eigentlich über den Menschen Ernst Gennat bekannt ist. Es gibt Informationen über seine Eltern und seinen Bruder, über sein abgebrochenes Jurastudium und über seine extreme Vorliebe für Kuchen, die auch schon mal dazu führte, dass auf der Fahrt zu einem Tatort eben noch an einer Konditorei angehalten wurde. Aber von diesen wenigen Details abgesehen sind wohl wirklich nur Informationen über seine Arbeit als Kriminalist erhalten geblieben. Eine Errungenschaften bei seiner Arbeit war, dass es ihm extrem wichtig war, dass ein Tatort so erhalten blieb, wie er vorgefunden wurde, bis alle Fakten festgehalten werden konnten. Etwas, das heute selbstverständlich ist, während das damals vollkommen unüblich war. Auch die Einführung des sogenannten „Mordautos“ – ein Fahrzeug mit allen notwendigen Gerätschaften für die ersten Arbeiten am Tatort sowie mobilem Arbeitsplatz für eine Sekretärin – wird ihm zugeschrieben. Dabei hat wohl nicht nur seine akribische Arbeitsweise, sondern auch die Tatsache, dass sich Gennat gut mit all den Kriminellen verstand, mit denen er zu tun hatte, zu seinen Ermittlungserfolgen geführt. Er gab den Tätern das Gefühl, er würde sie verstehen und nachvollziehen können, wie es zur Tat gekommen war. Und anscheinend hat er auch oft genug in seinen Berichten an die Staatsanwaltschaft erwähnt, welche mildernden Umstände zum Tragen kommen könnten, um zum Beispiel bei einem Mörder die Todesstrafe zu verhindern und ihn stattdessen nur zu lebenslanger Haft zu verurteilen.

Spannend fand ich in diesem Buch auch Details, die eher wenig mit der Person Ernst Gennat zu tun hatte, wie die Aussage, dass die Fotos, die damals an Tatorten gemacht wurden, großartiges Material für Historiker bieten, weil sie das Leben und Wohnen quer durch alle Bevölkerungsschichten genau abbildeten. Wenn man da mal genauer drüber nachdenkt, dann ist das wohl das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass man nicht durch Ausgrabungen, Gemälde und Haushaltsbücher Informationen über das Leben der Menschen bekommt (und das vor allem über Personen, die über ein gewisses Einkommen verfügten), sondern über detailliertes Festhalten des aktuellen Zustands einer Wohnung und der darin lebenden Menschen in Zusammenhang mit einem Kriminalfall.

Leider habe ich auch einige Kritikpunkte bei diesem Buch gefunden, die mich – obwohl ich die Lektüre sehr interessant und spannend fand – sehr gestört haben. Erst einmal mag ich es nicht, wenn man alte Fotos für eine Veröffentlichung so bearbeitet, dass einzelne Elemente rot aus den schwarzweißen Bildern herausstechen. Das ist unnötig reißerisch und lenkt von anderen Details ab, die ich persönlich in der Regel viel interessanter fand. Aber ob einen dieses Bildelement stört, ist ja Geschmackssache. Viel unangenehmer fand ich, dass Text und Foto häufig nicht zusammenpassten. So beschreibt die Autorin in einem Absatz ein Ereignis, bei dem alle zu dem Zeitpunkt aktiven Kriminalkommissare anwesend waren (inklusive Charakter, Arbeitsweise und zum Teil zukünftigem Werdegang der Personen), aber das folgende Foto wurde bei einer ganz anderen Gelegenheit aufgenommen und zeigt nur einen der erwähnten Männer. Ich vermute, dass solche Fehler durch die Überarbeitung der alten Auflage (und das eventuelle Auslaufen von Bildrechten) passiert sind, aber es ärgert mich sehr, wenn ich im Text zum Beispiel explizit auf einen Mann mit Goldrandbrille hingewiesen werde und er im ganzen Kapitel auf keinem einzigen Foto auftaucht.

Ebenso gab es stellenweise Probleme mit der Anordnung von Bild und Texte, weil dort lieber auf eine nicht so statische Präsentation gesetzt wurde statt auf die Lesbarkeit der historischen Dokumente und Zeitungsausschnitte. Kleine Textzeilen und Bilddetails, die im Falz liegen, sind nun einmal nicht erfassbar, wenn man nicht das ganze Buch dafür auseinandernehmen möchte, Und ich verstehe so eine Anordnung bei einem Sachbuch auch nicht, wenn man das Bild genauso gut auf eine Seite und den Text gegenüberliegend hätte platzieren können, so dass alles für den Leser problemlos zu erkennen gewesen wäre. Auch sonst wurden die Fotos meinem Gefühl nach oft unpassend platziert, wenn man zum Beispiel über einen bestimmten Kriminalfall liest und auf der gleichen Seite ein Bild zu sehen ist, das sich auf einen anderen Fall bezieht. Selbst wenn diese beiden Fälle oft genug zusammenhingen oder zeitgleich von Gennat in diesen Fällen ermittelt wurde, so konnte ich beim Lesen dieses Foto erst einmal nicht zuordnen und musste dann, wenn ich auf den nächsten Seite dann endlich den Bezug herstellen konnte, wieder zurückblättern, um das Gelesene mit dem Bild in Verbindung bringen zu können.

Außerdem meint Regina Stürickow im Vorwort, dass sie hier und da Details frei ergänzt habe, und auch das hätte es für mich nicht gebraucht. Natürlich liest es sich flüssiger, wenn einem ein Kriminalfall als Geschichte inklusive Nebenbemerkungen zum Charakter des Opfers oder des Täters erzählt wird, aber das sorgt bei mir auch immer dafür, dass ich mich frage, welche Details nun aus den Polizeiakten stammen und welche die Autorin hinzugefügt hat. Ich möchte mich bei einem Sachbuch nicht fragen, welcher Teil nun „wahr“ ist und welcher Teil „ergänzt“ wurde. Ebenso stören mich Elemente wie ein fiktives Interview mit Ernst Gennat. Auch wenn es viele Artikel gibt, die die Meinung des Polizisten zu den diversen Themen und Fällen wiedergaben und ich davon ausgehen kann, dass die ihm zugeschriebenen Antworten auf die Fragen stimmig sind, so brauche ich kein Interview als „Zusammenfassung“ seiner Ansichten und Aussagen, wenn ein solches Interview so nie stattgefunden hat.

Das klingt jetzt alles sehr nörgelig und ich muss zugeben, dass ich mich beim Lesen wirklich häufig geärgert habe. Aber trotz dieser Kritikpunkte hat sich „Kommissar Gennat ermittelt“ für mich wirklich gelohnt, weil ich so viele Details über das Leben (in Berlin) zwischen 1904 und 1939 erfahren habe. Auf die Veränderungen in der Polizeiarbeit geht Regina Stürickow eher allgemein ein, ich vermute mal zugunsten der Autorin, dass da gar nicht so viele Informationen über schrittweise Weiterentwicklungen erhalten geblieben sind. Stattdessen bekommt man als Leser Dinge erzählt wie die Tatsache, dass Ernst Gennat bei dem Versuch, eine umfassende Verbrecherdatei aufzubauen, auch schon mal die abgeschlossenen Fälle anderer Dienststellen anforderte und dann „vergaß“, sie zurückzugeben. Solche Elemente finde ich interessant, weil sie einem eine Vorstellung von dem Charakter eines Menschen vermitteln.

Auch finde ich es spannend, wenn die Autorin statistische Zahlen zum Beispiel zur Einfuhr von Milch und Eiern nach Berlin in den Text einfügt, um die wirtschaftliche Entwicklung in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen und zu erklären, warum es zu einer solchen Steigerung der Kriminalitätsrate kam. Und so sehr ich den Umgang mit dem Bildmaterial kritisiert habe, so faszinierend fand ich doch in der Regel die Fotos. Es ist eben ein Unterschied, ob man nur liest, dass eine sechsköpfige Familie plus „Untermieter“ in einer 1-Zimmer-Wohnung lebt, oder ob man ein Foto von diesem Zimmer betrachten kann und eine konkretere Vorstellung davon bekommt, unter welchen Umständen die Menschen in dieser Wohnung gehaust haben. So interessant ich dieses Buch fand, so werde ich mit dem Lesern von „Mörderische Metropole Berlin“ von der selben Autorin noch ein bisschen warten, da ich davon ausgehe, dass es die eine oder andere Überschneidung mit „Kommissar Gennat ermittelt“ geben wird.