„The Arrival“ von Shaun Tan lässt sich nur sehr schlecht in ein Genre stopfen. Es ist eine Art Bilderbuch, aber nicht für kleine Kinder gedacht, obwohl diese sich gewiss auch an den Zeichnungen erfreuen können. Ich bezweifle aber, dass kleine Kinder den Inhalt wirklich erfassen würden. Ich persönlich habe den Titel jetzt mal als „Comic“ belabelt, einfach weil darunter für mich so gut wie jede Veröffentlichung fällt, die (vor allem) in Bildern erzählt wird (und eben kein Bilderbuch ist). „The Arrival“ kommt vollkommen ohne Text aus und wird von Shaun Tan ausschließlich in – sehr schön gearbeiteten – Bleistiftzeichnungen erzählt. Gestolpert bin ich über diesen Titel bei Natira (Link führt zu ihrer Rezension), die auch so lieb war und mir ihr Exemplar geliehen hat.
In „The Arrival“ begleitet der Betrachter einen Mann, der Frau und Tochter zurücklässt, um in einem neuen Land Fuß zu fassen. Seine Heimat wird von einer nicht näher definierten Gefahr bedroht, die sehr eindringlich durch dornige Tentakeln, die über allem schweben, dargestellt wird. Man kann Bild für Bild den Abschied von der Familie, die Abreise und die Überfahrt ins neue Land verfolgen, wobei Shaun Tan dem Betrachter viel Raum für eigene Gedanken lässt. So wird die Länge der Überfahrt zum Beispiel durch eine Doppelseite voller kleiner Wolkenbilder dargestellt, bei der man sich nicht nur gut vorstellen kann, dass jedes Bild für einen Reisetag steht, sondern man auch so weit beim Verfolgen der Handlung verlangsamt wird, dass man anfängt, sich all die Überlegungen, Ängste und Hoffnungen, die den Reisenden beschäftigen, vorzustellen.
Während das Heimatland des Reisenden – inklusive all der Details, die sein Zuhause zu einem Heim machten, – dem Betrachter vertraut vorkommt, wirkt das neue Land ungemein befremdlich. Doch bevor der Protagonist sich überhaupt umschauen kann, muss er eine ausführliche (und wie ich fand demütigende) Aufnahmeprozedur über sich ergehen lassen. Erst mit einem neuen Ausweisdokument in der Hand darf er einen Fuß in seine neue Heimatstadt setzen. Dabei verwendet der Zeichner wunderbar abstrakt und befremdlich wirkende Elemente, um zu verdeutlichen, wie verloren der Mann in diesem neuen Land ist, in dem er weder die Schrift noch die Gebräuche kennt.
Das gesamte Land ist bis ins Detail vollkommen fremdartig und verwirrend. Die Schrift besteht aus unverständlichen Symbolen, die Gebäude sind seltsam und irritierend und das Essen so unvertraut, dass der Mann häufig Hilfe benötigt, um überhaupt herauszufinden, was er damit anfangen soll. Dabei verzichtet Shaun Tan darauf, seinen Protagonisten einem feindlichen Umfeld auszusetzen, die Fremdartigkeit seiner neuen Stadt ist schon bedrückend genug. Umso schöner ist es, dass der namenlose Mann nach und nach andere Menschen kennenlernt, und so erfährt man auch von den anderen Personen, die Zuflucht in diesem Land gefunden haben, welche Gründe sie aus ihrer Heimat vertrieben haben.
Mit „The Arrival“ erzählt Shaun Tan eine ruhige, feine Geschichte von Auswanderung. Die Zeichnungen des Künstlers finde ich wirklich wunderschön, ebenso wie die Details, auf die er in dieser Geschichte seinen Fokus legt. Durch diese Reduziertheit auf wesentliche Aspekte – wobei die wesentlichen Elemente eben manchmal nur aus einem kleinen Gegenstand oder einer Geste bestehen – fand ich die Handlung besonders anrührend. Nach dem Lesen ist dieser Titel gleich auf meiner Wunschliste gelandet, weil er zu den Büchern gehört, die ich gern in meinem Bestand hätte, um sie immer wieder in die Hand nehmen zu können.
Ach ja, Beispielbilder und Hintergründe zu der Veröffentlichung finde man auf der Webseite von Shaun Tan: The Arrival