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Simmone Howell: Kunst, Baby!

„Kunst, Baby!“ von Simmone Howell gehört zu den Büchern, die mich sehr zwiespältig zurücklassen. Auf der einen Seite hat mich die Geschichte gefesselt und ich habe den Roman mit einem guten Gefühl aus der Hand gelegt, aber auf der anderen Seite hatte ich die erste Hälfte über den Eindruck, ich würde in Zeitlupe einen Autounfall beobachten. Da war so ein Unbehagen beim Lesen und die Gewissheit, dass es noch deutlich unangenehmer wird, bevor es überhaupt besser werden kann …

Gem (Germaine), Lo und Mira sind beste Freundinnen. Die drei Mädchen sind anders als die anderen in ihrer Klasse, keine „Strichcode“-Schülerinnen, sondern etwas ganz Besonderes – und gemeinsam fühlen sie sich stark, obwohl jede von ihnen auch ihre Schwachstellen hat. Für Gem ist die Freunschaft mit Lo und Mira sehr wichtig. Ihr Leben lang war Gem eine Außenseiterin, was nicht nur daran lag, dass ihre (alleinerziehende) Mutter Bev eine Künstlerin und Feministin mit Alt-Hippie-Angewohnheiten ist, die einen unübersehbaren Einfluss auf ihre Tochter hat. In dem kleinen Vorort, in dem die Mädchen wohnen, fällt jemand wie Bev natürlich besonders aus dem Rahmen, und so passte auch Gem nie so recht zu den anderen. Erst nachdem Lo (zu Beginn der zehnten Klasse) neu in die Schule kam und die Freundschaft der beiden Außenseiterinnen Mira und Gem suchte, gehörte Gem auch endlich einmal zu einer Gruppe dazu.

Während Gem – aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird – Mira und Lo einfach nur cool  findet (und sich selbst daneben so schrecklich unbeholfen und schüchtern), konnte ich ihre beiden Freundinnen von Anfang an nicht so recht leiden. Mira ist vor allem hinter den Jungs her und lässt sich durchgehend von Lo manipulieren, obwohl Lo – meinem Gefühl nach – die beiden anderen Mädchen nur ausnutzt, um selbst cooler zu wirken. Auch Gem sieht nicht, dass ihre beiden Freundinnen nicht gerade freunschaftlich handeln. Sie fühlt sich in der Nähe von Lo und Mira stärker und mutiger und sie liebt es, dass Lo immer so unglaubliche Ideen hat. So war auch das Sommerprojekt Los Idee, bei dem sich die drei Mädchen auf ein Thema konzentrieren, das ihre Außenseiterrolle festigen soll. Im vergangenen Jahr haben sich die drei deshalb mit Okkultismus beschäftigt, und für diesen Sommer wirft Gem das Thema „Underground“ ins Gespräch.

Gem will sich dabei ernsthaft mit dem Thema Kunst und Kunstaktivismus auseinandersetzen, aber Lo fühlt sich eher von dem Bereich Kunst-Terrorismus angezogen – und natürlich zieht Mira bei Los Vorschlägen mit. So werden im Laufe der letzten Schulwochen vor den Ferien die Unterschiede zwischen den Mädchen immer deutlicher. Gem recherchiert intensiv zum Thema Andy Warhol und will einen Film drehen – was auch eine gute Vorbereitung für die Bewerbung an der Filmhochschule wäre -, während Lo und Mira sogenannte „Happenings“ veranstalten, bei denen weniger ein künstlerischer als ein zerstörerischer Aspekt im Mittelpunkt steht. Je weniger Gem bereit ist mitzumachen, desto mehr wird sie von ihren Freundinnen ausgegrenzt …

Ich muss gestehen, dass die Geschichte für mich erst dann erträglich wurde, als Gem erste Anstalten machte, sich aus dem Einfluss von Lo zu lösen – was nicht gerade dadurch erleichtert wurde, dass Gems Mutter selbst von Lo total hingerissen war und in ihr im Prinzip eine Seelenverwandte gefunden zu haben glaubte. Sehr passend fand ich eine Bemerkungung ganz zu Anfang des Romans, als Gem von Lo und Mira aufgezogen wird, die im Prinzip aussagt, dass gute Freunde zwar die Schwachstellen des anderen kennen, aber dieses Wissen nicht ausnutzen. Um so ärgerlicher war es für mich, dass Gem lange Zeit verzeihen konnte, dass ihre besten Freundinnen kurz darauf genau dieses Wissen so sehr missbrauchen.

Erst als Gem bewusst wird, dass Lo und Mira sich schon lange nicht mehr wie Freundinnen benehmen, sie nur noch ausnutzen und sich selbst die Zukunft mit ihren Aktionen auf unsagbar dumme Weise verbauen, sieht sie ein, dass es besser ist, keine Freunde zu haben, als sich weiter von falschen Freunden beeinflussen zu lassen. Ab diesem Punkt hat mich das Buch deutlich besser unterhalten, denn es war wirklich schön zu verfolgen, wie Gem immer erwachsener mit diesem Thema umging und wie sie Entscheidungen traf, die nicht von ihren Freundinnen beeinflusst wurden. Parallel zu Gems Geschichte entwickelt sich auch der Film, den sie am Ende zu ihrem ganz privates Sommerprojekt macht, wobei ich in diesen Passagen eine Menge Neues über Kunst und Film gelernt habe. Stellenweise gab es mir aber auch schon fast zu viele Informationen über Andy Warhol und sein Umfeld, und bevor ich mich das nächste Mal mit dem Thema beschäftige, benötige ich erst einmal wieder eine Auszeit.

Insgesamt hat Simmone Howell mit „Kunst, Baby!“ ein ungewöhnliches und wirklich interessantes Jugendbuch über Freunschaft und Erwachsenwerden geschrieben. Trotzdem war die erste Hälfte für mich regelrecht unangenehm zu lesen und ich musste erstaunlich viele Pausen machen, weil ich mich so über Gem, Mira und Lo aufgeregt habe. Andererseits konnte ich die Finger auch nicht von dem Roman lassen, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht und was aus Gem wird, wenn sie endlich merkt, dass ihre Freundinnen schon lange keine mehr sind. Wer sich mit anfangs etwas sperrigen Figuren abfinden kann, sollte ruhig mal einen Blick in „Kunst, Baby!“ werfen.

Da das Thema „Freundschaft“ bei diesem Roman so unübersehbar im Vordergrund steht, zähle ich ihn als meine zweite Station für die „Themen-Challenge“ von Neyasha.