Schlagwort: Themen-Challenge

Susanne Goga: Die Tote von Charlottenburg

Über Hanne bin ich über das Buch „Die Tote von Charlottenburg“ gestolpert und hat mir dann aus lauter Neugier den Roman in der Bibliothek vorbestellt. Der Titel ist schon der dritte Roman rund um den Kommissar Leo Wechsler, aber ich hatte beim Lesen nicht das Gefühl, dass ich relevante Dinge verpasst hätte oder der Geschichte nicht folgen könnte, weil ich die ersten Teile nicht kannte.

Die Handlung setzt im Juli 1923 bei einem Urlaub in Hiddensee ein, den Kommissar Leo Wechsler gemeinsam mit seiner Freundin Clara Bleibtreu verbringt. Eines Morgens lernt Clara am Strand eine ungewöhnliche Frau kennen, die Ärztin Henriette Strauss. Obwohl sich die beiden Frauen nur kurz unterhalten, hinterlässt die Medizinerin einen nachhaltigen Eindruck bei Clara und so erzählt sie auch Leo von dieser Begegnung. Nur wenige Wochen später wird Leo gebeten in einem dubiosen Todesfall zu ermitteln, da sowohl der Hausarzt, als auch der Neffe der Toten befürchten, dass nicht eine einfache Lungenentzündung, sondern eine unnatürliche Einwirkung von Außen zum Tod der engagierten Ärztin Henriette Strauss geführt haben.

Ich muss zugeben, dass ich den Kriminalfall nur so ganz nett fand. Obwohl es so einige Verdächtige gibt, die alle ihren Grund gehabt hätten,  um der Ärztin Übles zu wollen, fand ich diesen Aspekt des Roman etwas zu sehr vorhersehbar. Sowohl die Hintergründe des Mordes, als auch die Ausgangssituation, die dazu geführt hat, lagen für mich viel zu schnell auf der Hand. Trotzdem habe ich „Die Tote von Charlottenburg“ sehr gern gelesen und mich gut unterhalten gefühlt. Susanne Goga hat für ihren Roman nicht nur realistische Figuren geschaffen, die mit ihren Stärken und Schwächen stimmig wirken und zum Teil schnell meine Sympathie hatten, sondern sie hat sich auch mit einem sehr interessanten Teil der deutschen Geschichte befasst.

Während man als Leser Leos Ermittlungen verfolgt, wird man mitten ins Berlin der 20er-Jahre geworfen. Hier herrscht durch die extreme Inflation, die Arbeitslosigkeit und politische Instabilität eine explosive Stimmung. Es gehört inzwischen zum erschreckenden Alltag, dass Kinder verhungern, weil sich die Eltern kein Essen mehr leisten können. Die Menschen verhökern ihr letztes Hab und Gut, um noch etwas Geld für Lebensmittel zu bekommen und für einen einzigen Brotkauf muss man mit einer ganzen Tasche voll Papiergeld zahlen.

Unter diesen Umständen ist es auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Frauen heimlich einen Weg suchen, um eine verbotene Abtreibung durchführen zu lassen. Was wiederum zu der Ärztin Henriette Strauss führt, die in einer Beratungsstelle für schwangere Frauen gearbeitet hat. Über diese Figur gelingt es der Autorin nicht nur einen kleinen Einblick in den umstrittenen Forschungsbereich in Krankenhäusern zu bieten, sondern auch eindringlich zu zeigen wie die Stellung der Frau zu dieser Zeit in der Gesellschaft war. Und auch der immer wieder aufflackernde Hass gegen Juden in der Bevölkerung, der durch den aufkommenden Nationalsozialismus noch angefacht wird, wird durch einen jüdischen Mitarbeiter von Leo gut in die Geschichte eingebunden.

Diese historischen Aspekte sind es dann auch, die „Die Tote von Charlottenburg“ so spannend machen. Susanne Goga erzählt in ihrem Roman eigentlich nichts Neues, aber ihr gelingt es die kleinen bekannten Details so zu verknüpfen, dass sie für den Leser realer werden. Man spürt die Frustration der Menschen, kann sogar ein wenig verstehen, wie es zu Ausschreitungen kommen kann und ist verzweifelt, weil man als Leser schon weiß, dass es nicht besser wird für die Menschen. Und es ist einfach ein Unterschied, ob man in einem Sachbuch über den Wertverlust des Geldes liest oder ob man in einem Roman den Alltag der Figuren unter diesen Umständen miterleben kann.

Auch hat es mir gefallen wie die Autorin die Charaktere angelegt hat. Obwohl Leo und Clara und Henriette Strauss (über die man im Laufe der Geschichte sehr viel erfährt) sehr intelligente und aufgeschlossene Menschen sind, sind sie doch Figuren ihrer Zeit. Sie haben – bei aller Offenheit für andere Meinungen – ihr Vorurteile, ihre auch mal beschränkten Vorstellungen vom Leben und ihre Ängste und Befürchtungen. Ein ganz einfaches Beispiel dafür ist Leos Unverständnis gegenüber Clara, als er sie bittet seine Frau zu werden. Ihm ist nicht bewusst, dass eine „normale Ehe“ für Clara eine Art Rückschritt wäre, nachdem sie sich von ihrem ersten Mann hatte scheiden (und somit die gesellschaftliche Ächtung über sich hatte ergehen) lassen und sich ein selbstständiges Leben aufgebaut hat.

Alles in allem hat mich „Die Tote von Charlottenburg“ als Kriminalroman zwar nicht so packen können, aber dafür hat mich das Buch als historischen Roman so weit überzeugt, dass ich die Augen nach weiteren Titeln von der Autorin aufhalten werde.

P.S.: Ich zähle den Roman für den Punkt „Feindschaft/Rivalität“ für die Themen-Challenge, da Rivalität ein Grund für den Mord war. Leider kann ich in diesem Text nicht direkt darauf eingehen, weil ich sonst die eh schon etwas arg offensichtige Lösung für diesen Mord bestätigen würde.

Sue Monk Kidd: Die Bienenhüterin

Über „Die Bienenhüterin“ bin ich auf mehreren Blogs (z.B. „Blattgold“ und „Bookberry“) gestolpert, aber aus irgendeinem Grund brauchte ich eine Weile, bis ich meiner Neugier nachgab und das Buch dann über die Bibliothek in die Finger bekommen habe. (Und nach dem Schreiben der Rezi ist mir dann noch aufgegangen, dass der Titel gut für den Punkt „Schuld“ der Themen-Challenge passt, so dass ich dafür auch endlich mal wieder etwas besprochen habe.)

Die Geschichte spielt im Jahr 1964 in den Südstaaten der USA und dreht sich in erster Linie um die junge Lily Owens. Das Mädchen ist die Tochter eines Farmers, der vom Anbau von Pfirsichen lebt. Während der Vater Lily ablehnt und sie ständig auf der Hut sein muss vor seinem unberechenbaren Temperament, seinen Schlägen und seinen Bestrafungen, findet sie etwas Halt bei der schwarzen Rosaleen, die sich seit Lilys viertem Lebensjahr um sie kümmert. Doch nicht einmal mit Rosaleen kann das Mädchen über seine Mutter Deborah reden, die durch eine Waffe getötet wurde, welche in den Händen der damals vierjährigen Lily losging.

Als Rosaleen dann auch noch ins Gefängnis geworfen wird, nachdem sie sich – wie es nach dem frisch erlassenen „Civil Rights Act“ ihr Recht ist – als Wählerin registrieren lassen will und dabei mit einer Gruppe rassistischer weißer Männer aneinandergerät, beschließt Lily, Rosaleen aus der Gewalt der Polizei zu befreien und mit ihr zusammen wegzulaufen. Unterschlupf finden die beiden bei drei ungewöhnlichen Schwestern. Die älteste Schwester Augusta hatte zwar vor Jahren am College für Farbige studiert, um Lehrerin zu werden, doch nun verdient sie ihren Lebensunterhalt als „Bienenhüterin“ (Imkerin). Auch die zweite Schwester, June, ist Lehrerin und lebt ansonsten für ihre Musik, während May, die dritte Schwester, psychische Probleme hat und sich in ihren „guten Phasen“ um den Haushalt der drei kümmert.

Diese drei Frauen bieten Lily und Rosaleen nicht nur eine Zuflucht, sondern auch ihre Zuneigung und Zeit, um sich zu erholen und zu sich selbst zu finden. Während Rosaleen sich problemlos in den Haushalt der drei Frauen einfügt, muss Lily mit einer Menge Dinge fertig werden. Sie ist nicht nur Schuld am Tod ihrer Mutter und hat diese Tatsache noch lange nicht verarbeitet, sondern muss auch damit leben, dass ihr Vater keinerlei Zuneigung für sie empfindet. Zusätzlich wird ihr bewusst, dass sie Rosaleens Situation durch ihre gemeinsame Flucht nicht einfacher gemacht hat und dass sie – trotz aller Gefühle, die sie für Rosaleen hegt – eine Menge Vorurteile gegenüber Farbigen hat, die sie nun revidieren muss.

„Die Bienenhüterin“ ist eine ruhige und leise Geschichte mit ganz viel Südstaatenatmosphäre und vielen kleinen, berührenden und liebevollen, aber auch skurrilen Szenen. Lily ist aufgrund ihrer Geschichte kein ganz normales Mädchen, aber trotzdem sehr realistisch von der Autorin angelegt worden. Die drei Schwestern sind sehr unterschiedlich, sehr sympathisch und genau das, was Lily in ihrem Leben gefehlt hat. Gerade zu Augusta baut sie eine enge Verbindung auf. Augusta macht ihr bewusst, dass sie – trotz der Schuld, die sie als kleines Kind auf sich geladen hat – wert ist, geliebt zu werden.

Mir hat es auch gefallen, wie Sue Monk Kidd in dieser Geschichte mit dem Thema Rassismus umgeht. Durch die Verabschiedung des „Civil Rights Act“ kommt sehr viel in Bewegung, und doch ist jedem bewusst, dass ein Gesetz allein nicht ausreicht, um gegen Rassismus vorzugehen. Obwohl sowohl Rosaleen, als auch Zack, ein Freund von Lily, der Willkür der Weißen ausgesetzt sind und schlimme Momente erleben müssen, hatte ich nicht das Gefühl, dass die Autorin diese Szenen ganz schlicht beschrieben hätte. Sue Monk Kidd hat mit ihrer Darstellung eher die bedrückende Alltäglichkeit dieser rassistischen Verhaltensweisen beschrieben, statt sie besonders zu betonen. Ich empfinde so ein Vorgehen immer als eindringlicher, als wenn mir große Tragik vorgesetzt würde.

Doch vor allem Lilys Suche nach Absolution, nach Zuneigung, nach einem Platz im Leben und nach Informationen über die Mutter, die auf so schreckliche Weise gestorben ist, stehen im Mittelpunkt des Romans. Und während Lily von Augusta in die Kunst des Bienenhütens eingeweiht wird und Details über die drei Schwestern und ihr Leben erfährt, erlebt sie zum ersten Mal, dass es Menschen gibt, die ihr Luft zum Atmen lassen und sie so akzeptieren, wie sie ist. Trotzdem ist es für Lily nicht einfach, mit ihren Erinnerungen fertig zu werden und einen Weg zu finden, mit sich und den Altlasten, die ihre Eltern ihr mitgegeben haben, umzugehen. Das alles fand ich berührend, aber auch bedrückend, amüsant und wunderbar atmosphärisch.

Und da mich der Roman an einige Filme erinnert hat, die ich sehr gern gesehen habe, werde ich mir vermutlich irgendwann auch noch die Verfilmung besorgen und schauen, ob sie dem Buch gerecht wird.

K. L. Going: Evies Garten

Es fällt mir sehr schwer, über „Evies Garten“ zu schreiben. Ich könnte es mir einfach machen und nur sagen, dass diese kleine, feine Buch eine wirklich berührende, märchenhafte und bezaubernde Auseinandersetzung mit dem Thema Tod ist. Aber das würde euch kein Bild von der Handlung vermitteln … Schon im Prolog wird deutlich, dass es für die siebenjährige Evie und ihre Mutter selbstverständlich ist, ihre Welt mit einem ganz besonderen Zauber zu versehen. Gemeinsam träumen die beiden in diesem Prolog von ihrem ganz eigenen Paradies, einem Garten voller Obstbäume und Fabelwesen, in dem sie als Familie einfach glücklich sein können.

Drei Jahre später ist das Leben für Evie alles andere als glücklich. Ihre Mutter ist in der Zwischenzeit an Krebs gestorben und ihr Vater hat es sich in den Kopf gesetzt, in Beaumont (New York) einen unfruchtbaren Apfelgarten zu bewirtschaften. Für Evie ist dieser Umzug unerträglich: Ihre Großeltern bleiben ebenso in Michigan zurück wie das Grab ihrer Mutter. Außerdem weiß das Mädchen nicht, wie es mit seiner Trauer umgehen soll, während der Vater sich in die Arbeit stürzt und kaum einen Moment Zeit für sie hat.

Auch der Ort Beaumont und ihr neues Zuhause sind nicht gerade dazu geeignet, Evie aufzumuntern. Die Stadt liegt ebenso im Sterben wie die – laut den Einheimischen verfluchte – Apfelplantage. Und mit dem Wohlstand durch den Obstanbau verschwand auch ein Großteil der Einwohner. Da scheint es nur das letzte Tüpfelchen auf dem I zu sein, dass das zur Plantage gehörende Haus neben dem Friedhof von Beaumont liegt – auf dem am Ankunftstag von Evie und ihrem Vater prompt eine Beerdigung stattfindet.

Es scheint nur zwei Menschen zu geben, die sich für Evies Wohlergehen interessieren, nämlich zum einen Ladenbesitzerin Maggie, die in dem Haus neben dem Friedhof aufgewachsen ist und deren Bruder die Obstplantage an Evies Vater verkauft hat. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Junge Alex, der Tag für Tag auf dem Friedhof rumgeistert und dessen Gesicht Evie von einen Totenkärtchen kennt, welches anlässlich der letzten Beerdigung verteilt wurde. Nachdem Maggie Evie von den drei magischen Saatkörnern erzählt hat, die vom Apfelbaum des Paradies stammen sollen, beschließen Evie und Alex, sich auf die Suche nach ihrem Paradies zu machen.

Dabei will ich betonen, dass K. L. Going in „Evies Garten“ zwar die biblische Idee vom Apfelbaum aus dem Paradies aufgreift, sich aber sonst nicht an die christlichen Mythologie hält und stattdessen etwas ganz Eigenes aus dieser Grundidee schafft. Aber es ist weniger ihre Variante des Paradieses, die mich gefangen hat, als die vielen atmosphärischen Momente in der Geschichte. Evies Erinnerungen an ihre Mutter sind voller Wärme, Sonnenschein und Magie, und immer wieder wird deutlich, was für eine lebensbejahende, fröhliche und fantastiebegabte Frau sie gewesen sein muss.

Und nach ihrem Tod – aber besonders nach dem Umzug nach Beaumont – ist Evies Leben voller Kälte, Wind, Einsamkeit und Trauer. Sie sehnt sich nach ihrer Mutter, aber auch danach, dass ihr Vater sie mal tröstet, sie in den Arm nimmt und ihr zeigt, dass sie ihm wichtig ist. Ihm aber fällt es schwer, Gefühle zu zeigen und auf seine Tochter zuzugehen. Stattdessen versucht er, seine Trauer in den Griff zu bekommen, indem er hart arbeitet. Er setzt all sein Können als Gärtner ein, um die unfruchtbare Apfelbaumplantage wieder zum Blühen zu bringen, und immer wieder schimmert dabei durch, dass er auf die heilenden Kräfte der Natur und den Frühling hofft.

Evies Freund Alex hingegen geistert Tag für Tag auf dem Friedhof umher. Er kann Evies Trauer um ihre Mutter nachvollziehen und erzählt ihr im Gegenzug, dass er seit der Beerdigung schrecklich einsam ist und dass seine Eltern ihn nicht mehr wahrnehmen, obwohl er sich so viel Mühe gibt. Alex hilft Evie auf der Suche nach dem Paradies – wo sie natürlich ihre Mutter wiederzufinden hofft – und hat doch seine ganz eigenen Motive. Ich verrate wohl nicht zu viel, wenn ich sage, dass am Ende alles gut ausgeht (schließlich ist „Evies Garten“ immer noch ein Kinderbuch). Aber bis zum Ende hat der Leser so einige emotionale Momente, überraschende Wendungen, philosphische Gedanken und anrührende Szenen durchzustehen.

Und trotz des schwerwiegenden und traurigen Themas gelingt es der Autorin, die Geschichte so fein und leicht zu erzählen, dass einen Evies Schicksal zwar berührt, man aber die ganzen amüsanten, märchenhaften und niedlichen Momente trotzdem würdigen kann. Auch sind mir die verschiedenen Charaktere – selbst die anfangs so spröde wirkenden Figuren – wirklich ans Herz gewachsen und ich habe mit ihnen gebangt und gehofft und hier und da sogar eine Träne um sie vergossen.

Dermot Bolger: Wo die verlorenen Seelen wohnen

Ich habe anlässlich der Themen-Challengen immer wieder über den Punkt „Das Böse oder Pakt mit dem Bösen/Teufel“ nachgedacht – vor allem, weil ich keinen zu diesem Thema auf der Hand liegenden klassischen Roman lesen wollte. Und dann habe ich mir heute endlich „Wo die verlorenen Seelen wohnen“ für den Blog vorgenommen und hätte beim Schreiben über den Roman am Liebsten mit dem Kopf auf die Tischplatte gehauen, weil ich in den letzten Wochen nicht bemerkt habe, dass dieses Buch perfekt für die Challenge passt.

Mit „Wo die verlorenen Seelen wohnen“ hat Dermot Bolger einen gruseligen und wirklich spannenden Jugendroman geschrieben, der mir sehr gut gefallen hat. Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt, unter anderem von Thomas, der 1932 als Junge Angst davor hat, dass die Jazz-Musik ihn in die Hölle bringen könnte, von Joey, der 2009 die Schule wechselt, weil er in seiner alten Klasse gemobbt wurde, und von Shane, der 2007 seine Seele für ein anderes Leben geben würde.

Die drei Jungen verbindet, dass sie alle drei nicht glücklich in ihrem Leben sind. Und während Thomas‘ Part die Vorgeschichte zu den Ereignissen im Jahr 2009 bildet, dreht sich die Hauptgeschichte doch vor allem um Shane und Joey. Als Joey die Schule wechselt, ist er scheußlich nervös und hat Angst, dass es in der neuen Klasse genauso schieflaufen wird wie mit seinen früheren Mitschülern. Doch stattdessen findet der schüchterne Junge in dem selbstbewussten und coolen Shane schnell einen Freund.

Einzig seine Mitschülerin Geraldine, die vor zwei Jahren mit Shane gut befreundet war, warnt Joey, dass der Junge nicht normal sei und dass er ihm nicht zu sehr vertrauen solle. Doch so sehr Joey Geraldine mag und davon träumt, dass sie sich mal mit ihm verabreden würde, so wenig kann er ihr glauben, dass Shane einen bösen Kern haben soll. Erst im Laufe der Zeit fallen Joey immer mal wieder kleine Ungereimtheiten in Shanes Geschichte auf. und auch sein Umgang mit einer Gruppe von „verlorenen“ Jungen verwundert ihn. Von Shane lässt er sich immer wieder zu Dingen aufstacheln, die er sonst niemals tun würde und die im Nachhinein ein ungutes Gefühl bei Joey hinterlassen.

Dem Leser wird einige Zeit vor Joey klar, welche Hintergründe hinter Shanes Verhalten stecken, obwohl erst einmal offen bleibt, ob Shanes Persönlichkeitsveränderung darauf zurückzuführen sind, dass der Junge auf die schiefe Bahn geraten ist, oder ob wirklich etwas Altes und Böses dahintersteckt. Und trotz der verschiedenen Verbrechen und Unglücke gelingt es Dermot Bolger, dem Leser immer wieder bewusst zu machen, dass keine der handelnden Personen abgrundtief schlecht ist, selbst wenn sie anscheinend einen Pakt mit dem Bösen eingegangen ist.

Dieses Spiel mit den Perspektiven und die damit verbundenen Zeitsprünge lassen die Geschichte zu einem spannenden Puzzle werden, bei dem die einen Personen sicher sind, dass all die Vorkommnisse nur fantastische Ausgeburten eines psychisch Kranken sind, während die anderen von der Existenz des Bösen überzeugt sind. Unabhängig davon, was genau die Ursache für die Ereignisse ist (es ist ganz schön schwierig, diese Rezension zu schreiben, ohne zu spoilern), fand ich die Geschichte wirklich mitreißend.

Die ganz Zeit über hatte ich eine deutliche Ahnung, worauf es am Ende hinauslaufen würde, und jedes Mal, wenn sich meine Befürchtungen bewahrheitet hatten, bangte ich mehr um Joey und die anderen. Dabei liegt die Stärke von Dermot Bolger vor allem in der Aufrechterhaltung eines leisen Gruselgefühls, was deutlich atmosphärischer ist, als wenn er radikale Actionszenen verwendet hätte. Auf jeden Fall werde ich die Augen nach weiteren Büchern des Autors aufhalten, weil mir diese Geschichte nicht nur gut gefallen hat, sondern sie auch nach dem Lesen noch eine Weile in mir nachgeklungen hat.

[Kurz und knapp] Melanie Lahmer: Knochenfinder

Klappentext: 

Ein Schüler verschwindet spurlos. Wenig später wird in einem Geocaching-Versteck im Rothaargebirge ein Finger gefunden, und an der Schule des Vermissten kursieren brutale Gewaltvideos. Kommissarin Natascha Krüger und ihre Kollegen suchen nach einem Täter – und ahnen nicht, welches grausame Spiel dieser mit ihnen spielt. Denn kurz darauf gibt es einen weiteren Geocaching-Fund …

Theoretisch könnte man fast jeden Krimi unter den Oberbegriff „Suche“ packen, da im Großteil dieser Romane die Suche nach dem Täter im Mittelpunkt steht. Aber ich habe „Knochenfinder“ nicht wegen des Krimianteils für diesen Punkt der Themen-Challenge ausgewählt, sondern wegen der Passagen rund ums Geocaching. Es gelingt Melanie Lahmer, diesen Teil ihrer Geschichte sehr reizvoll zu schildern, gerade in den Szenen, in denen es um Caches geht, bei denen der Suchende auch noch Rätsel zu lösen hat oder sich wie bei einer Schnitzeljagd von Hinweis zu Hinweis bewegt, um am Ende den Cache in die Finger zu bekommen, der die eigentliche „Beute“ darstellt.

Was die restliche Geschichte angeht, so habe ich mich ganz gut unterhalten gefühlt. Kein Roman, der mich mitreißen konnte, aber auch keine Enttäuschung. Die Hauptfigur Natascha Krüger wurde von der Autorin – ebenso wie ihre diversen Kollegen – recht sympathisch angelegt, die Handlung war nicht atemberaubend, hat mich aber immer wieder fesseln können, und ihre Heimat Siegen, wo der Roman spielt, hat Melanie Lahmer sehr liebevoll geschildert. Trotz diverser Details zur Stadt, ihrer Geschichte und ihrer Umgebung hatte ich nicht das Gefühl, dass ich hier einen Regionalkrimi in der Hand hätte – was jetzt vermutlich zu einer Diskussion über die Definition von Regionalkrimi führen könnte. 😉 Stattdessen hatte ich den angenehmen Eindruck, dass da jemand über etwas Vertrautes schreibt, ohne damit zu übertreiben.

Doch bei all den netten Charakteren und den persönlichen Szenen (zum Beispiel zwischen Natascha und ihrem dreibeinigen Kater Fritz oder die, in denen der Leser mehr über das Familienleben von Nataschas Vorgesetztem Winterberg erfährt), fehlte mir das richtige Mitratenkönnen bei diesem Krimi. Es gab eine Menge Personen, die nur kurze Auftritte hatten, und obwohl ich das Buch an einem Tag gelesen habe, gab es immer wieder Momente, in denen ich zurückblättern musste, weil ich mir nicht mehr sicher war, ob ich jetzt die richtige Figur dem richtigen Gespräch zuordnete – und das passiert mir sonst wirklich sehr selten. Bei all der Masse an Dialogen, Wiederholungen von Informationen, Figuren und mehr oder weniger relevanten Hinweisen und Überlegungen blieben bei mir zwar viele Eindrücke zurück, aber vieles davon war nicht greifbar genug, um den Charakteren genug Profil zu verleihen oder mir das Gefühl zu geben, ich könnte mitermitteln.

Und am Ende empfand ich den Täter und sein Motiv als unglaublich unbefriedigend. Ich muss als Leser nicht unbedingt die Gründe für ein Verbrechen nachvollziehen können, aber ich erwarte vom Autor, dass er mir glaubhaft vermittelt, dass der Täter aus einer bestimmten Motivation heraus handelt. Und egal, wie gestört, besessen, wütend, dumm oder was auch immer der Verbrecher ist, ich mag am Ende einer Geschichte nicht dasitzen und mich fragen, ob das wirklich alles gewesen sein soll. Selbst wenn es vielleicht realistischer ist, dass ein Motiv für einen Außenstehenden nicht stimmig zu sein scheint, so sollte es in einem Krimi, bei dem einige Passagen auch aus der Sicht des Täters geschrieben sind, für den Leser nachvollziehbar sein.

Trotz dieses für mich frustrierenden Endes ist „Knochenfinder“ ein solides Debüt – und ich hoffe sehr, dass es irgendwann einen zweiten Roman von Melanie Lahmer geben wird, der zeigt, dass sie nicht nur realistische Ermittlungen, interessante Details über diverse Themengebiete und sympathische Charaktere präsentieren kann, sondern auch eine mitreißendere Handlung mit einem überzeugenderen Bösewicht.

Nachtrag: Beim Thema „Geocaching“ kommt mir zur Zeit übrigens als erstes „Fünf“ von Ursula Poznanski in den Sinn (welches ich hoffentlich auch bald lesen kann). Ich weiß nicht, ob es Zufall ist, dass zwei Romane mit diesem Thema so zeitnah veröffentlicht wurden, finde es aber interessant, dass Melanie Lahmer am Ende ihres Buches einen recht deutlichen Verweis auf „Erebos“ eingebaut hat. 😉

[Kurz und knapp] Richard Russo: Diese alte Sehnsucht

Über dieses Buch bin ich gestolpert, als Ulrike Rudolph von den Seitenspinnerinnen es auf ihrem Blog erwähnte. Sie meinte, dass sie bei der Geschichte hätte weinen müssen, obwohl es „‚eigentlich‘ sehr leicht geschrieben und überwiegend tiefsinnig lustig ist“. Diese Aussage sowie die Tatsache, dass der Roman zum Großteil auf Cape Cod spielt (manche Schauplätze üben einfach eine vorhersehbaren Zauber auf mich aus), hat mich dazu veranlasst, den Titel in der Bibliothek vorzumerken.

Als das Buch dann bei mir ankam, habe ich schnell reingelesen und der Anfang gefiel mir. Trotzdem blieb der Roman fast drei Monate liegen – und wenn ich ihn nicht morgen zur Bibliothek bringen müsste, dann würde er vermutlich immer noch im Regal ruhen und darauf warten, dass ich ihn zum unzähligen Mal erneut in die Hand nehme. Dabei gefällt mir Richard Russos Erzählweise: Es gelingt ihm, dass ich gemeinsam mit Griffin den Weg nach Cape Cod nehme und Szenen seiner Kindheit und seiner Ehe durchlebe.

Griffin fährt in diesem Roman zweimal nach Cape Cod und beide Male zu einer Hochzeit. Die erste Reise löst bei ihm mit Mitte Fünfzig die Erkenntnis aus, dass seine Eltern einen wesentlich größeren Einfluss auf sein Leben hatten, als ihm bislang bewusst war. Außerdem hat sein Verhältnis zu seinen Eltern dafür gesorgt, dass es auch in seiner eigenen Ehe zu einer Entwicklung gekommen war, die weder ihn noch seine Frau Joy besonders glücklich macht. Für mich als Leser war das Buch anfangs recht deprimierend, obwohl es wirklich leicht geschrieben und amüsant ist.

Erst nach der Hälfte der Geschichte, als Griffin sich ein Jahr später auf den Weg zur zweiten Hochzeit macht und man die Entwicklung spürt, die er (und sein Umfeld) in den letzten Monaten durchgemacht haben, fühlte sich dieser Roman für mich „gut“ an. Ab diesem Zeitpunkt wirkt es, als ob sich Griffin so langsam mit seinen (inzwischen verstorbenen) Eltern anfreunden und sie gerade deshalb in gewisser Weise loslassen könnte. Er – und damit auch ich als Leser – ist am Ende der Geschichte deutlich zufriedener und scheint auf dem richtigen Weg zu sein.

Und obwohl die beiden Romane eigentlich so gut wie keine Gemeinsamkeiten haben, hat mich „Diese alte Sehnsucht“ beim Lesen immer wieder an „Wonder Boys“ von Michael Chabon erinnert – vielleicht, weil sich die beiden Hauptfiguren dieser Bücher so sehr verrannt haben und in ihrem Leben an einem Punkt angelangt sind, bei dem auf der Hand liegt, dass etwas nicht stimmt, aber keiner von beiden in der Lage ist, sich aus seiner aussichtslosen Situation zu befreien. Beide verharren lange Zeit in ihrer – wenn auch sehr unterschiedlichen – Art der Selbstzerstörung, und es bedarf erst einschneidender Impulse von außen, damit die beiden Herren ihre Scheuklappen abnehmen und sich aktiv darum bemühen, ihr Leben glücklicher zu gestalten.

Doch während ich „Wonder Boys“ als außenstehende Betrachterin genossen habe (und ausnahmsweise mal zugeben muss, dass mir die Verfilmung besser gefällt als der Roman), hat mich „Diese alte Sehnsucht“ immer wieder an meine eigene Familie und an so manche Eigenart meiner Eltern denken lassen. So lässt mich die Geschichte etwas zwiegespalten und „aus dem Lot“ zurück, auch wenn ich die Geschehnisse rund um die zweite Hochzeit (und den vorhergehenden Probetermin mit all seinen Katastrophen *g*) genossen habe. Es passiert selten, dass ich mir einen Roman gut als Verfilmung vorstellen könnte, aber hier ist das der Fall. Und ich glaube, dass ich mich von einem Film weniger persönlich berührt fühlen würde als von dem Roman und stattdessen die Figuren, die verschiedenen Szenen und die liebevollen kleinen Details besser würdigen könnte.

Caroline Vermalle: Als das Leben überraschend zu Besuch kam

Nachdem mir „Denn das Glück ist eine Reise“ von Caroline Vermalle so gut gefallen hatte, war ich sehr neugierig auf ihren neuen Roman „Als das Leben überraschend zu Besuch kam“. Wieder hat die Autorin recht alte Protagonisten für ihre Geschichte gewählt und gemeinsam mit ihren Figuren reist man durch die Bretagne und erlebt viele kleine bezaubernde Augenblicke. Im Zentrum der Geschichte steht die dreiundsiebzigejährige Jacqueline, die von einem Tag auf den anderen ihren Mann Marcel verlässt. Während er absolut keine Ahnung hat, wo seine Frau sein könnte, reist sie anfangs ziellos durch die Gegend. Doch dann erinnert sie sich an ihre Kusine Nane, die sie seit über fünfzig Jahren nicht mehr gesehen hat, und beschließt die Ile d’Yeu, auf der Nane lebt, als Startpunkt für einen Neuanfang zu wählen.

Dabei wird die Geschichte aus der Sicht eines Schmetterlings erzählt, der bei Jaquelines Erscheinen vor Nanes Tür spürt, dass hier etwas Besonderes vor sich geht. Und was dieser Schmetterling nicht selber beobachten kann, wird ihm von den verschiedenen Winden oder andere Insekten zugetragen, so dass sich die Handlung aus vielen kleinen Szenen zusammensetzt. Nur hier und da wechselt Caroline Vermalle die Perspektive, wenn es darum geht dem Leser die unausgesprochenen Gedanken ihrer Figuren zu vermitteln.

Mir sind die drei Hauptfiguren wirklich ans Herz gewachsen, obwohl das aufgrund der Schmetterlings-Perspektive und Jacquelines sprödem Wesen nicht so einfach war. Die alte Dame war eindeutig nicht glücklich in ihrer Ehe, wobei man beim Lesen nicht das Gefühl hat, dass ihr Mann Marcel das Problem war. Stattdessen scheint Jacquelines – schon vor 33 Jahren verstorbene – Mutter einen unguten Einfluss auf das Leben ihrer Tochter genommen und bis zum heutigen Tag vergällt zu haben. Sie war auch der Grund, warum der Kontakt zwischen Jacqueline und Nane abbrach, obwohl sich die Kusinen in den vergangenen Jahrzehnten sehr vermisst haben.

Nane ist ein deutlich lebenslustiger Charakter als Jacqueline. Sie hat früh einen Künstler geheiratet und sich selber als Bildhauerin einen Namen gemacht. Mit inzwischen achtzig Jahren genießt sie ihren Mittagschlaf im Garten, ihr liebevoll zubereitetes Essen und die vielen Besuche von Freunden und Familienmitgliedern. Obwohl auch ihr Leben nicht perfekt ist, scheint sie doch ihren Weg gegangen und letztendlich zufrieden zu sein. Zuletzt ist da noch Marcel, der nach dem Weggang von Jacqueline feststellen muss, dass es sehr vieles gibt, was er über seine Frau nicht wusste. Und weil man nicht über fünfzig Jahre Ehe einfach wegwerfen kann, will er zwei Fliegen mit einer Klappe erlegen. Auf der einen Seite will er sich einen Jugendtraum erfüllen, in dem er die Loire von der Quelle bis zur Mündung hinunter schwimmt und auf der anderen Seite will er so die Ile d’Yeu erreichen und dort – dank seiner großen Leistung – die Bewunderung (und die Liebe) seine Frau wiedererlangen.

Jacqueline stößt nicht nur bei Nane und Marcel viele Gedanken an, es werden auch einige weitere Personen durch ihre Handlungen beeinflusst und dazu veranlasst über ihr Leben und ihre Wünsche nachzudenken. Und je verzweifelter Jacqueline nach dem Punkt sucht, an dem sie sich verloren hat, und Ausschau nach einem Weg für ihre Zukunft hält, desto mehr Bewegung bringt sie in das Leben der Personen, die ihr nahe sind. Für den Leser gibt es so auch genügend Anlässe, um darüber nachzudenken wie wichtig die eigenen Hoffnungen und Wünsche sind und dass es nie zu spät ist, seine Prioritäten neu zu überdenken und sich an die Verwirklichung eines Traumes zu wagen.

Alles in allem hat mir die Geschichte wirklich gefallen, aber es gibt zwei Punkte, die dafür gesorgt haben, dass mich dieser Roman lange nicht so sehr bewegt hat wie „Denn das Glück ist eine Reise“. Erst einmal sind die Passagen, die aus der Sicht des Schmetterlings geschrieben wurden, sehr poetisch erzählt. Es sind bezaubernde kleine Szenen, die mich teilweise an die „windigen“ Passagen aus „Chocolate“ erinnert haben (während Nane Judi Dench Darstellung der Armande Voizin in der Verfilmung entsprach), aber diese Schmetterlingsszenen haben dafür gesorgt, dass ich die gesamte Handlung mit einem gewissen Abstand verfolgt habe. Die Geschichte wäre – in meinen Augen – so viel berührender und magischer gewesen, wenn sich die Autorin auf die einfache und reduzierte Erzählweise beschränkt hätte, die ihr Debüt ausgezeichnet hat.

Und dann gibt es am Ende des Romans einen Brief, den Jacqueline einer Freundin schreibt, und in dem sie erklärt, welche Teile der Handlung von ihr ausgeschmückt worden wären und welche nicht. Für mich wird damit eine wunderschöne und bewegende Geschichte radikal entzaubert. Ich möchte in so einem Buch keine Auflösung auf den letzten Seiten, die das Ganze „realistischer“ wirken lässt. Ich möchte den Roman zuklappen können und das Gefühl haben, dass da eine Autorin eine wunderschöne Geschichte voller leiser und bezaubernder Momente geschaffen hat, die in mir viele Gedanken und Gefühle ausgelöst hat. Und ich will am Ende eines solchen Buches das Gefühl haben, dass alles möglich ist und alles gut ausgeht, wenn man sich nur Mühe gibt …

Simmone Howell: Kunst, Baby!

„Kunst, Baby!“ von Simmone Howell gehört zu den Büchern, die mich sehr zwiespältig zurücklassen. Auf der einen Seite hat mich die Geschichte gefesselt und ich habe den Roman mit einem guten Gefühl aus der Hand gelegt, aber auf der anderen Seite hatte ich die erste Hälfte über den Eindruck, ich würde in Zeitlupe einen Autounfall beobachten. Da war so ein Unbehagen beim Lesen und die Gewissheit, dass es noch deutlich unangenehmer wird, bevor es überhaupt besser werden kann …

Gem (Germaine), Lo und Mira sind beste Freundinnen. Die drei Mädchen sind anders als die anderen in ihrer Klasse, keine „Strichcode“-Schülerinnen, sondern etwas ganz Besonderes – und gemeinsam fühlen sie sich stark, obwohl jede von ihnen auch ihre Schwachstellen hat. Für Gem ist die Freunschaft mit Lo und Mira sehr wichtig. Ihr Leben lang war Gem eine Außenseiterin, was nicht nur daran lag, dass ihre (alleinerziehende) Mutter Bev eine Künstlerin und Feministin mit Alt-Hippie-Angewohnheiten ist, die einen unübersehbaren Einfluss auf ihre Tochter hat. In dem kleinen Vorort, in dem die Mädchen wohnen, fällt jemand wie Bev natürlich besonders aus dem Rahmen, und so passte auch Gem nie so recht zu den anderen. Erst nachdem Lo (zu Beginn der zehnten Klasse) neu in die Schule kam und die Freundschaft der beiden Außenseiterinnen Mira und Gem suchte, gehörte Gem auch endlich einmal zu einer Gruppe dazu.

Während Gem – aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird – Mira und Lo einfach nur cool  findet (und sich selbst daneben so schrecklich unbeholfen und schüchtern), konnte ich ihre beiden Freundinnen von Anfang an nicht so recht leiden. Mira ist vor allem hinter den Jungs her und lässt sich durchgehend von Lo manipulieren, obwohl Lo – meinem Gefühl nach – die beiden anderen Mädchen nur ausnutzt, um selbst cooler zu wirken. Auch Gem sieht nicht, dass ihre beiden Freundinnen nicht gerade freunschaftlich handeln. Sie fühlt sich in der Nähe von Lo und Mira stärker und mutiger und sie liebt es, dass Lo immer so unglaubliche Ideen hat. So war auch das Sommerprojekt Los Idee, bei dem sich die drei Mädchen auf ein Thema konzentrieren, das ihre Außenseiterrolle festigen soll. Im vergangenen Jahr haben sich die drei deshalb mit Okkultismus beschäftigt, und für diesen Sommer wirft Gem das Thema „Underground“ ins Gespräch.

Gem will sich dabei ernsthaft mit dem Thema Kunst und Kunstaktivismus auseinandersetzen, aber Lo fühlt sich eher von dem Bereich Kunst-Terrorismus angezogen – und natürlich zieht Mira bei Los Vorschlägen mit. So werden im Laufe der letzten Schulwochen vor den Ferien die Unterschiede zwischen den Mädchen immer deutlicher. Gem recherchiert intensiv zum Thema Andy Warhol und will einen Film drehen – was auch eine gute Vorbereitung für die Bewerbung an der Filmhochschule wäre -, während Lo und Mira sogenannte „Happenings“ veranstalten, bei denen weniger ein künstlerischer als ein zerstörerischer Aspekt im Mittelpunkt steht. Je weniger Gem bereit ist mitzumachen, desto mehr wird sie von ihren Freundinnen ausgegrenzt …

Ich muss gestehen, dass die Geschichte für mich erst dann erträglich wurde, als Gem erste Anstalten machte, sich aus dem Einfluss von Lo zu lösen – was nicht gerade dadurch erleichtert wurde, dass Gems Mutter selbst von Lo total hingerissen war und in ihr im Prinzip eine Seelenverwandte gefunden zu haben glaubte. Sehr passend fand ich eine Bemerkungung ganz zu Anfang des Romans, als Gem von Lo und Mira aufgezogen wird, die im Prinzip aussagt, dass gute Freunde zwar die Schwachstellen des anderen kennen, aber dieses Wissen nicht ausnutzen. Um so ärgerlicher war es für mich, dass Gem lange Zeit verzeihen konnte, dass ihre besten Freundinnen kurz darauf genau dieses Wissen so sehr missbrauchen.

Erst als Gem bewusst wird, dass Lo und Mira sich schon lange nicht mehr wie Freundinnen benehmen, sie nur noch ausnutzen und sich selbst die Zukunft mit ihren Aktionen auf unsagbar dumme Weise verbauen, sieht sie ein, dass es besser ist, keine Freunde zu haben, als sich weiter von falschen Freunden beeinflussen zu lassen. Ab diesem Punkt hat mich das Buch deutlich besser unterhalten, denn es war wirklich schön zu verfolgen, wie Gem immer erwachsener mit diesem Thema umging und wie sie Entscheidungen traf, die nicht von ihren Freundinnen beeinflusst wurden. Parallel zu Gems Geschichte entwickelt sich auch der Film, den sie am Ende zu ihrem ganz privates Sommerprojekt macht, wobei ich in diesen Passagen eine Menge Neues über Kunst und Film gelernt habe. Stellenweise gab es mir aber auch schon fast zu viele Informationen über Andy Warhol und sein Umfeld, und bevor ich mich das nächste Mal mit dem Thema beschäftige, benötige ich erst einmal wieder eine Auszeit.

Insgesamt hat Simmone Howell mit „Kunst, Baby!“ ein ungewöhnliches und wirklich interessantes Jugendbuch über Freunschaft und Erwachsenwerden geschrieben. Trotzdem war die erste Hälfte für mich regelrecht unangenehm zu lesen und ich musste erstaunlich viele Pausen machen, weil ich mich so über Gem, Mira und Lo aufgeregt habe. Andererseits konnte ich die Finger auch nicht von dem Roman lassen, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht und was aus Gem wird, wenn sie endlich merkt, dass ihre Freundinnen schon lange keine mehr sind. Wer sich mit anfangs etwas sperrigen Figuren abfinden kann, sollte ruhig mal einen Blick in „Kunst, Baby!“ werfen.

Da das Thema „Freundschaft“ bei diesem Roman so unübersehbar im Vordergrund steht, zähle ich ihn als meine zweite Station für die „Themen-Challenge“ von Neyasha.

Rick Riordan: Die Katakomben von Paris

Mit „Die Katakomben von Paris“ habe ich nun endlich mein erstes Buch für die Themen-Challenge gelesen. Eigentlich war ich nur neugierig auf eine Geschichte von Rick Riordan, die nichts mit Percy Jackson zu tun hat, als ich den Roman in der Bibliothek fand. Aber da das Thema „Rätsel“ in diesem Kinderbuch so präsent ist, muss ich es einfach für die Challenge besprechen. Eine Information noch vorneweg: „Die Katakomben von Paris“ ist der erste Band der Serie „Die 39 Zeichen“ und der einzige Teil, der von diesem Autor geschrieben wurde. Konzept dieser Reihe scheint es zu sein, dass jeder Band von einem anderen Schriftsteller verfasst wird, auch wenn ich keine Erklärung gefunden habe, warum man das so gemacht hat.

Hauptfiguren in „Die Katakomben von Paris“ sind die vierzehnjährige Amy und ihr elfjähriger Bruder Dan. Die beiden Cahill-Kinder sind Waisen und leben gemeinsam mit wechselnden Au-pair-Mädchen in einer kleinen Wohnung in Boston. Eigentlich stehen sie unter der Vormundschaft ihrer Großtante Beatrice, doch die hat kein Interesse an den beiden. Einziger Lichtblick für die Kinder waren bislang die Wochenenden, die sie bei ihrer Großmutter Grace verbringen durften, doch die alte Dame verstirbt zu Beginn der Geschichte. Und mit der Beerdigung von Grace und dem Verlesen ihres Testaments beginnt für Amy und Dan eine aufregende und sehr gefährliche Zeit.

In ihrem Testament hat Grace verfügt, dass ein Teil ihrer Verwandtschaft die Chance auf das große Erbe der Cahills haben soll. Und so bekommen diejenigen, die zur Testamentsverlesung eingeladen sind, die Wahl zwischen einer Millionen Dollar oder einem Hinweis, der letztendlich zu einem kostbaren Familiengeheimnis führen kann, welches dem, der alle Spuren richtig enträtselt, unfassbar große Macht verleihen wird. Natürlich entscheiden sich so einige Familienmitglieder für das Geld, aber Amy und Dan ist es wichtiger die Erwartungen ihrer Großmutter zu erfüllen (und sich nicht den Drohungen und Einschüchterungsversuchen der anderen zu ergeben). Doch während die sechs gegnerischen Teams über Geld, Einfluss und andere hilfreiche Dinge verfügen, müssen Amy und Dan mühsam das Geld für die notwendigen Reisen zusammenkratzen und ihr Au-pair-Mädchen Nellie dazu überreden, dass sie als „Aufsichtsperson“ begleitet.

Rick Riordan verwurstet in „Die Katakomben von Paris“ nicht nur so einige altbekannte Klischees (tapfere Waisenkinder, die von ihrer unsympathischen und skrupellosen Familie misshandelt werden; die Kinder haben besondere Interessensgebiete und Fähigkeiten, die ihnen das Lösen ihrer Aufgaben überhaupt ermöglicht), er verwendet auch einige nicht ganz so logische Wendungen und unglaubwürdige Zufälle in der Handlung. Außerdem recherchieren Amy und Dan zwar sehr viel, aber ihre Schlüsse ziehen die Kinder trotzdem eher intuitiv, so dass der Leser zwar einige interessante und wissenswerte Fakten aus diesem Roman lernen kann, diese Informationen aber leider nicht so viel mit der Lösung der verschiedenen Rätsel zu tun haben.

Trotz all dieser Kritikpunkte habe ich wirklich viel Spaß beim Lesen gehabt. Mir sind die beiden Kinder ans Herz gewachsen und selbst die anfangs so gleichgültig wirkende Nellie entpuppt sich im Laufe der Zeit als sympathisches Wesen. Doch vor allem haben mich die verschiedenen Rätsel und Hinweise unterhalten, ich habe mich gemeinsam mit Amy gefragt, wer sich hinter dem Pseudonym Richard S. verbirgt, habe über einem Zahlenrätsel geknobelt, mich nebenbei online über Benjamin Franklin informiert und vor allem bin ich  nach Beenden dieses Bandes wirklich neugierig darauf, was sich hinter dem großen Rätsel um die Cahill-Familie verbirgt. Auch wenn Rick Riordan mit „Die Katakomben von Paris“ keine Geschichte geschaffen hat, die man unbedingt gelesen haben muss, werde ich mir die folgenden Teile der Serie auch noch in der Bibliothek besorgen und hoffen, dass ich hinter das Geheimnis der Familie Cahill komme.