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Clara Kramer (und Stephen Glantz): Eine Handbreit Hoffnung – Die Geschichte meiner wunderbaren Rettung

„Eine Handbreit Hoffnung“ ist die Geschichte der jüdischen Clara Kramer, die sich als Jugendliche in Polen vor den Nazis verstecken musste. Geschrieben wurde das Buch von Stephen Glantz, basierend auf dem Tagebuch, das Clara damals führte, und auf ihren Erinnerungen, ergänzt durch Materialien (Briefe, Tagebücher u.ä.) und Erzählungen anderer Überlebender, die Kontakt zu Clara und ihrer Familie hatten. Ich habe schon einige Erfahrungsberichte aus dieser Zeit gelesen, ebenso Romane, die sich entweder auf wahre Ereignisse stützten oder eine fiktive Geschichte erzählten, um all die schrecklichen Fakten zu vermitteln. Viele dieser Bücher spielten in Deutschland oder den Niederlanden, einige auch in den jüdischen Ghettos in Polen, und obwohl es schon einige Zeit her ist, dass ich sie gelesen habe, so haben sie doch in der Regel einen anhaltenden Eindruck bei mir hinterlassen.

Auch „Eine Handbreit Hoffnung“ werde ich wohl so schnell nicht vergessen – nicht nur, weil die lange Zeit des Versteckens so eindringlich geschildert wird, sondern auch, weil ich die ganzen zusätzlichen Komplikationen für die jüdische Familie durch die Ukrainer und Russen sowie die schon vor dem Einmarsch der Deutschen schwierige politische Situation spannend fand (auch wenn es sich angesichts der Erlebnisse von Clara Kramer und ihrer Familie komisch anfühlt, das Ganze als „spannend“ zu bezeichnen).

Anhand von Clara Kramers Erzählungen kann man gut nachvollziehen, wie schleichend die Veränderungen für die 5000 polnischen Juden in der Stadt Zólkiew kamen. Erst die Berichte von der Machtergreifung Hitlers und der Unglaube, dass so ein Mensch auch noch Unterstützung findet, dann die ersten Flüchtlinge, die im Osten Zuflucht suchten und von der Zerstörung ihrer Synagogen, von Plünderungen und Misshandlungen berichteten – und das alles, während sie einmal die Woche am schön gedeckten Esstisch vom besten Porzellan bewirtet wurden – und ein Jahr später der Nichtangriffspakt zwischen Russland und Deutschland, der Polen schutzlos zurückließ.

Als die Nazis im September 1939 in Zólkiew einmarschierten, war Clara gerade mal zwölf Jahre alt. Aus Angst vor den Deutschen wagten sich die jüdischen Kinder nicht auf die Straße, bekamen aber später erzählt, dass sich die Deutschen wie ein Haufen Touristen verhalten hätten. Trotzdem war es eine Erleichterung für die Juden, als kurz darauf die Russen das Gebiet übernahmen. Die Russen waren zwar keine Freunde der Juden und hatten schon so einige Polen in Straflager nach Sibirien geschickt, aber alle sind sich sicher, dass das Leben unter den Kommunisten der Behandlung durch die Nazis vorzuziehen sei.

Doch nach und nach verschlechtert sich das Leben – nicht nur der Juden – in der Stadt. Erste Familien werden deportiert und Russen ziehen übergangslos in die Häuser der verschwundenen Familien ein und übernehmen die zurückgelassenen Besitztümer. Auch in Claras Familie gibt es erste Verhaftungen – erst Jahre später wird ihnen bewusst, dass die Deportation nach Kasachstan für viele von ihnen ein Glücksfall war, da diese Familienmitglieder so den Nazis entgingen. Andere Familienmitglieder – so wie Claras Großvater – werden von ukrainischen Nationalisten ermordet, als sich im Frühling 1941 die Russen zurückziehen und das Gebiet den Deutschen überlassen.

Wenige Monate später wird den Juden bewusst, dass all das Geld, das sie Monat für Monat dem Kommandanten der SS von Lemberg überreichen, ihr Leben nicht sichern kann. Während die einen versuchen, einen Fluchtweg aus der Stadt zu finden, graben die Familie Schwarz (Claras Familie), Melman und Patrontasch ein Versteck unter dem Fußboden des Hauses der Melmans. Eine geschickt ausgeschnittene Luke im Parkettboden des Schlafzimmers bildet den Eingang, und anfangs ist die Lücke unter dem Haus so klein, dass nur die Kinder graben können. Im Laufe einiger Wochen schaffen die drei Familien es so, die Hälfte des Hauses zu „unterkellern“, wobei es keine Verbindung zum kleinen „offiziellen“ Keller unter der Küche des Hauses gibt und das Versteck so niedrig ist, dass man nicht darin stehen kann.

Doch erst das Angebot des volksdeutschen Ehepaars Beck (Julia Beck hat früher als Haushälterin für Claras Familie gearbeitet, ihr Mann hingegen ist als Antisemit bekannt), das Haus der Melmans zu übernehmen und so das Versteck der drei jüdischen Familien zu schützen und ihre Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern, ermöglicht es ihnen ab Dezember 1942, dieses Kellerloch zu nutzen.

Bis zum Juli 1944 müssen die drei Familien in ihrem Kellerversteck überleben, lange Monate ohne Frischluft, ohne ausreichendes Essen, ohne nennenswerte Bewegung, auch wenn sie anfangs immer mal wieder hinauf zu den Becks steigen können. Doch je länger der Krieg andauert, desto schwieriger wird nicht nur die Versorgung der Versteckten mit Lebensmitteln, sondern desto gefährlicher wird auch ihre Lage. Diverse Personen – darüber natürlich auch Nazis – werden bei den Becks einquartiert, Gerüchte machen die Runde, dass sich bei den Becks Flüchtlinge verstecken, so dass es immer wieder zu Hausdurchsuchungen kommt – und Beck selbst ist auch ein Risiko. Beck ist ein Spieler und Säufer, er betrügt seine Frau, er kann den Mund nicht halten und bringt sich durch Geschäfte mit Nazis, Ukrainern und Russen in Gefahr – und somit auch immer die Juden, die auf ihn angewiesen sind.

Auch im Versteck gibt es immer wieder Veränderungen. So bricht in der Straße ein Feuer aus und eine Person flüchtet vor lauter Angst aus dem Haus, während die anderen versuchen, unbemerkt von der Außenwelt Wasser zum Löschen heranzuschaffen. Weitere Juden (in der Regel Familienmitglieder der schon Versteckten) tauchen vor Becks Tür auf und brauchen Hilfe oder eine Zuflucht. So ändert sich im Laufe der Zeit die Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppe und es gibt immer mehr Reibung zwischen den unterschiedlichen Personen, was noch dadurch erschwert wird, dass sie tagelang keinen Laut von sich geben dürfen, während über ihnen die deutschen Besatzer ein- und ausgehen.

Abgesehen von den ersten Seiten, in denen Clara Kramer ihre sehr große Familie und auch die Familien der Nachbarschaft vorstellt, lässt sich „Eine Handbreit Hoffnung“ sehr gut lesen. Die Flut der Namen – bei denen sich einige wiederholen oder gar mehrfach vorkommen, weil man die Kinder nach den Vorfahren benannt hat – ist wirklich anstrengend, und auch im Laufe der Geschichte musste ich hin und wieder innehalten und mich erinnern, welche Person da nun gemeint war und in welchem Verhältnis sie zu Clara stand. Davon abgesehen empfand ich „Eine Handbreit Hoffnung“ überraschend ausgewogen. Auf der einen Seite basiert das Buch zwar auf den Tagebüchern, die Clara während ihrer Zeit im Kellerversteck geschrieben hat, was zu einer eindringlichen und berührenden Schilderung führt, auf der anderen Seite liegen gut sechzig Jahre zwischen den Ereignissen und dem Verfassen des Buches (und das eigentliche Schreiben wurde von Stephen Glatz erledigt), was zu einem gewissen Abstand führt, der es ermöglicht, mehrere Seiten zu beleuchten und manche Geschehnisse in einem größeren Zusammenhang zu sehen.

Dieser „Abstand“ führt aber nicht dazu, dass einem die Ereignisse beim Lesen egal sind. Ich fand es interessant, mal die „Vorgeschichte“ mitzuerleben, zu lesen, wie es für die jüdische Familie unter der russischen Herrschaft war und welche Rolle die ukrainischen Nationalisten spielten. Und – gerade weil ich wusste, was in den kommenden Jahren noch folgen wird – ich fand es schrecklich, die immer größer werdende Gefahr für die Familie zu verfolgen, die Überlegungen, ob man flieht oder bleibt, und schließlich diese langen anderthalb Jahre im Kellerversteck. Die Enge, die Hitze, der Hunger, die Fassungslosigkeit angesichts der Geschehnisse, aber auch die ungläubige Dankbarkeit über die Hilfe aus unerwarteter Richtung – das alles lässt einen beim Lesen definitiv nicht ungerührt.