Wenn ich ein Buch lese, dann mach ich mir in der Regel ein paar Notizen. Ich halte meine Eindrücke fest oder kommentiere den Roman. Bevor ich dann eine Rezension schreibe, schau ich mich online ein bisschen um und gucke, was andere Leute über das Buch geschrieben haben. Und manchmal frage ich mich, ob ich den gleichen Titel vor der Nase hatte, wie diese Jubelrezensenten (z.B. bei Amazon). Tanja Wekwerths Roman „Mitternachtsmädchen“ hinterlässt bei mir wieder dieses Gefühl, dass ich ein anderes Buch gelesen habe als die anderen.
Laut Klappentext handelt das Buch von den Zwillingen May und April, die kurz nach ihrer Geburt getrennt werden und sich ein Leben lang unvollständig fühlen. Doch der größte Teil dieses Romans dreht sich um Molly. Molly ist in Kilborough geboren und hat schon als Teenager angefangen sich um eine kleine Pension am Rande des Ortes zu kümmern. Vier kleine und gemütliche Zimmer und ein Speisesaal mit einer umwerfenden Ausblick auf das Meer stehen dort den Gästen zur Verfügung. Mit Molly zusammen lernt man den Alltag in der kleinen Pension und die unterschiedlichen Besucher kennen und vor allem gelingt es der Autorin den Leser für die Landschaft, das Meer und den fast magisch wirkenden Speisesaal zu begeistern.
In dieser Pension ist Mary zu Gast, als sie die Zwillinge May und April zur Welt bringt. Von vornherein ist klar, dass die junge Frau nur wieder zurück nach London will – ohne Kinder und ohne die Erinnerung an den Mann, von dem sie diese empfangen hat. Für Molly hingegen sind die Mädchen ein Segen und sie fürchtet den Tag, an dem sie sich von ihnen trennen müsste. Ganz genau hat sie sich schon ausgemalt, wie sie für die Zwillinge in Zukunft sorgen kann. Doch dann gibt Mary eine ihrer Töchter zur Adoption frei …
April geht zusammen mit einem deutschen Ehepaar nach Berlin, doch das ist nur die erste Station auf ihrem Lebensweg. May hingegen bleibt Molly und der Pension erhalten und wagt nur selten eine Reise, die sie von Kilborough wegführt. Während die Schwestern ohne voneinander zu wissen ihr Leben führen, sind beide doch immer auf der Suche nach ihrer Vergangenheit und dem fehlenden Teil in ihrem Leben.
Mich hat das Buch ein wenig unbefriedigt zurückgelassen. Die Autorin springt zwischen den verschiedenen Personen und bringt so ein wenig Abwechslung in die Geschichte, doch letztendlich dümpelt die Handlung wie ein See an einem windstillen Sommertag. Die Pension wird stimmungsvoll beschrieben und es entsteht eine regelrechte Sehnsucht nach dem Meer beim Lesen – und doch ließ mich der später eintretende Verfall des Gebäudes kalt. Doch vor allem hatte ich ein Problem mit den Charakteren. Molly ist eine nette und etwas einfacher Person, die man schnell ins Herz schließt. Aber sie wird überlagert von all den Figuren, die durch ihren Egoismus, ihren Ergeiz und ihren Selbstbetrug hervorstechen.
Keine der vielen Frauenfiguren hatte ein einigermaßen normales Verhältnis zu einem Mann – oder gar zu ihrem eigenen Körper. Und auch wenn ich es erfrischend fand, dass dieser Roman keine Happy-End-Liebesgeschichte beinhaltete, so wären mir in einigen Passagen weniger erigierende Penisse (und dies ohne Sexzenen!) und dafür mehr Tiefgang doch lieber gewesen. Die „Mitternachtsmädchen“ waren unterhaltsam und die Landschaften wurden sehr stimmungsvoll beschrieben, aber am Ende blieb bei mir vor allem das Gefühl zurück, dass die Autorin selber nicht so recht wusste, was sie mit ihrer Geschichte erzählen wollte.
>>>Wenn ich ein Buch lese, dann mach ich mir in der Regel ein paar Notizen. Ich halte meine Eindrücke fest oder kommentiere den Roman. Bevor ich dann eine Rezension schreibe, schau ich mich online ein bisschen um und gucke, was andere Leute über das Buch geschrieben haben. Und manchmal frage ich mich, ob ich den gleichen Titel vor der Nase hatte, wie diese Jubelrezensenten (z.B. bei Amazon).<<<—Das kenne ich auch sehr gut.
Hallo Hans!
Schön zu sehen, dass ich mit meiner manchmal abweichenden Meinung nicht allein bin. 😉