„Der Geruch von Häusern anderer Leute“ von Bonnie-Sue Hitchcock ist mir in den vergangenen Monaten auf diversen Blogs untergekommen und irgendwann bin ich dann auch neugierig auf die Geschichte geworden. Die Handlung wird aus der Perspektive einiger Jugendlicher erzählt, die im Jahr 1970 in Fairbanks (Alaska) leben. Genau genommen leben Ruth, Dora, Alyce und ihre Freundinnen in Birch Park – und egal, ob man zu den Athabasken, den Inupiat oder zu den Weißen gehört, reich ist keiner der Einwohner dieses Stadtteils. Jedes der drei Mädchen hat mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen, ebenso wie Hank, der mit seinen beiden Brüdern zwar nicht in Birch Park lebt, dessen Leben sich aber im Laufe des Jahres mit dem der anderen drei Erzählerinnen kreuzen wird.
„Ich wartete jahrelang auf Mamas Rückkehr und machte mir große Sorgen um Lily, weil ich fürchtete, sie würde nie erfahren, wie schön das Leben eigentlich war.“
(Ruth, Seite 15)
Ich mochte, dass Bonnie-Sue Hitchcock den verschiedenen Erzählern so unterschiedliche Stimmen verliehen hat, weniger sprachlich als von der Atmosphäre her, die ihre jeweiligen Passagen durchdrang. Man beginnt das Buch mit Ruth, die davon erzählt, wie glücklich ihre Kindheit war, als ihr Vater noch lebte, ihre Mutter regelmäßig das Haus mit Blumen schmückte und sie alle sich auf die Geburt ihrer kleinen Schwester Lily freuten. Doch dann kommt Ruths Vater bei einem Flugzeugunglück ums Leben und sie und ihre kleine Schwester landen bei ihrer Oma in Birch Park, wo das Leben deutlich freudloser ist. Bei ihrer Großmutter gilt es hingegen, stets bestimmte Regeln einzuhalten und sich nicht besonders hervorzutun. So ist es kein Wunder, dass Ruth verzweifelt auf der Suche nach etwas Schönheit und Aufmerksamkeit ist, nach jemandem, für den sie wichtig ist.
„Dumplings Dad hat ihr beigebracht, dass das Glas halb voll ist. Meiner hat mir beigebracht, dass es randvoll ist – mit billigem Whiskey.“
(Dora, Seite 44)
Noch freudloser ist das Leben in Birch Park für Dora, die vor einer Weile von der Nachbarfamilie (der Familie ihrer Mitschülerin Dumpling) aufgenommen wurde, nachdem ihr Vater ins Gefängnis kam. Ihren Teil fand ich besonders schwierig zu lesen, weil ihr Leben nie schön war und weil ihr nun – im Gegensatz zu den anderen dreien – die Hoffnung fehlt, dass es irgendwann einmal besser wird. Sie kann einfach nicht daran glauben, dass die Zukunft auch für sie etwas Besonderes bereithalten könnte. Dora ist so jung und doch so verbittert, und sie hat solche Angst davor, den kleinen Halt, den ihr die Nachbarfamilie bietet, zu verlieren. Und bei Dora schwingt so viel zwischen den Zeilen mit, wenn sie von ihren Eltern erzählt oder wenn sie beobachtet, wie Dumplings Familie miteinander umgeht.
„Meine Mutter kommt zu den Aufführungen – meistens übernimmt sie den Ticketverkauf an der Abendkasse -, aber Dad hat mich noch nie tanzen gesehen. Dads Leben findet auf dem Boot statt. Und wenn ich nicht mehr auf dem Boot mithelfe, wer füllt dann die Lachseier in Tüten? Wer nimmt die Fische aus und säubert sie? Das waren schon immer meine Jobs.“
(Alyce, Seite 70)
Alyce‘ Welt scheint im Vergleich deutlich weniger düster zu sein, und doch weiß sie nicht, wie sie seit der Scheidung ihrer Eltern ihre beiden Welten (das Leben in Fairbanks mit ihrer Mutter inklusive des Ballettunterrichts und im Sommer das Leben auf dem Fischkutter ihres Vaters mit all den dazugehörigen Verpflichtungen) mit einander vereinbart bekommen soll. Ich fand es besonders schön, dass man aus Alyce‘ Perspektive zwar erfuhr, was für eine harte und dreckige Arbeit der Fischfang ist, aber eben auch, wie schön es sein kann, wenn man als Familie gemeinsam so eng zusammenarbeitet.
„Wisst ihr noch, wie meine Mutter gesagt hat: „Warte nur, bis dir von heute auf morgen der Boden unter den Füßen weggezogen wird“? Jetzt weiß ich, dass ein Leben mehrere Böden hat.“
(Hank, Seite 160)
Hank hingegen scheitert mit gerade mal siebzehn Jahren daran, dass er nach dem Tod des Vaters „der Mann im Haus“ und somit verantwortlich für das Wohlergehen seiner beiden Brüder ist. Und es ist noch schwieriger geworden, für seine Brüder zu sorgen, seitdem seine Mutter einen neuen Mann ins Haus geholt hat. Bei ihm fand ich es besonders schön zu lesen, dass ihm durch und durch bewusst ist, dass seine Brüder so anders sind als er selbst und dass er sie – genau so, wie sie sind – mag und dass er alles dafür tun würde, um sie zu beschützen. Weder Hank noch die anderen drei Erzähler fällen im Laufe der Handlung besonders kluge Entscheidungen, aber alle vier Teenager entwickeln sich in diesem einen Jahr, in dem man ihr Leben verfolgen kann, deutlich weiter.
Obwohl es im Jahr 1970 zu einigen einschneidenden und dramatischen Entwicklungen kommt, mochte ich vor allem die vielen kleinen Momente, in denen Ruth, Dora, Alyce und Hank von ihrem Leben und ihren Familien und Freunden erzählten. Ich mochte die kleinen Beobachtungen und Gedanken, die die vier Erzähler beschäftigen, wie zum Beispiel wenn Ruth darüber nachdenkt, dass ein Haus besser riecht, wenn eine Mutter darin wohnt, und wie sehr sie den Geruch nach Schimmel und Armut in dem Haus ihrer Großmutter hasst. Es ist schön zu lesen, wenn Dora beschreibt, wie wunderbar chaotisch das Haus von Dumplings Familie ist, weil all das Chaos von Zuneigung und Wärme zeugt, von der Tatsache, dass in diesem Haus darauf geachtet wird, was jemand gern zum Nachtisch isst und ob jemand etwas Aufmerksamkeit oder Raum für sich benötigt.
Unter all diese kleineren und größeren Erlebnisse mischen sich die Elemente, die von dem Leben in Alaska zeugen. Die davon erzählen, dass nicht jeder froh war, als Alaska zu einem Bundesstaat der USA wurde, dass durch diesen geplanten Zusammenschluss viele Ängste erzeugt wurde – gerade bei den Menschen, die ihre traditionelle Lebensweise erhalten wollten -, dass aber diese gemeinsamen Ängste auch dafür sorgten, dass man unabhängig von der Herkunft (Athabasken, Inuquiat und Weiße) zusammenarbeitetete, um diesen Zusammenschluss zu verhindern. Auch die Voruteile zwischen den verschiedenen Bewohnern in Birch Park erzählen von der Geschichte Alaskas, von den unterschiedlichen Abstammungen der Erzähler, von den Schubladen, in die die verschiedenen Familien gesteckt werden, und von dem Versuch, ein Leben zu führen, in dem man als Individuum mehr zählt als seine Herkunft. Dabei baut Bonnie-Sue Hitchcock diese Aspekte nicht schulbuchmäßig in ihre Geschichte ein, sondern erzählt „einfach nur“ von den Dingen, die zum Alltag ihrer Protagonisten gehören – und das ist am Ende nicht nur interessant und unterhaltsam, sondern auch bewegend und wunderschön zu lesen.