Erich Kästner: Der kleine Mann

„Der kleine Mann“ von Erich Kästner gehört zu den ersten Büchern, die ich selber gelesen habe und ich habe ihn immer wieder gelesen, weil es einfach eine bezaubernde Geschichte ist. Von vielen (Kinderbuch-)Klassikern kann man ja sagen, dass sie zeitlos sind, aber das trifft auf den „kleinen Mann“ definitiv nicht zu. Genau genommen verfügte die Geschichte schon über einen altmodischen Charme, als ich sie zum ersten Mal gelesen habe, denn sie strotzt vor Figurentypen und Nebenbemerkungen, die einfach in ihre Zeit (das Buch wurde 1963 geschrieben) gehören und heute so nicht mehr erzählt werden würden.

Die Hauptfigur in „Der kleine Mann“ ist Mäxchen Pichelsteiner, ein Junge, der gerade mal fünf Zentimeter groß ist, und der nach dem Tod seiner Eltern von dem Zirkus-Zauberer Jokus von Pokus aufgezogen wird. Gemeinsam mit den beiden Tauben Emma und Minna und dem Kaninchen Alba gehören die beiden zum Zirkus Stilke und reisen so durch alle möglichen Länder. Auch Mäxchens Eltern gehörten zum Zirkus bis sie eines Tages vom Eiffelturm geweht wurden und für immer verschwanden – nur die beiden falschen Zöpfe, die sie in ihrer Rolle als „chinesische“ Akrobaten trugen, wurden einige Zeit später aus dem Meer gefischt. Auch Mäxchen möchte ein Akrobat werden, obwohl Jokus von Pokus ihm immer wieder erklärt, dass er aufgrund seine Größe nie als normaler Artist im Zirkus auftreten kann. So macht ihm der Zauberer immer wieder neue Vorschläge, was für einen Beruf Mäxchen doch ergreifen könnte, während dieser so langen an seinem Traum festhält, bis Jokus eine vielversprechende Idee hat …

Als erwachsener Leser finde ich es natürlich schön zu erleben, dass es nur ein bisschen Nachdenken und Kreativität erfordert, damit Mäxchen doch noch seinen Traumberuf ergreifen kann – auch wenn er dafür ungewöhnliche Wege gehen muss. Als Kind hingegen war es für mich vollkommen selbstverständlich, dass der kleine Mann ein Akrobat werden würde – schließlich war das sein Wunsch. 😉 Auch heute noch mag ich den Einfallsreichtum und die vielen amüsanten Elemente in der Geschichte. Einige Scherze und Anmerkungen sind schon arg altmodisch und würden heutzutage so in keinem (Kinder-)Buch mehr auftauchen, aber das finde ich in erster Linie charmant und nicht unangenehm. Bei der Beschreibung des Tods von Mäxchens Eltern ist mir sogar positiv aufgefallen, wie wenig „Aufwand“ in der Geschichte darum gemacht wurde. Erich Kästner beschreibt kurz was passiert ist, erzählt von der Beerdigung und wie traurig der Junge war – und dann geht die Geschichte weiter.

Überhaupt werden die traurigen oder nachdenklichen Momente eher beiläufig eingeflochten und der Leser kann sich dann selber vorstellen wie es Mäxchen damit wohl ergeht und welche Gedanken und Kümmernisse er wohl haben mag, die er nicht zum Ausdruck bringt. Ich fand es angenehm, mal wieder ein Buch zu lesen, bei dem diese emotionalen Elemente nicht so betont wurden und hatte wirklich nicht das Gefühl, dass dabei die Figurentiefe fehlen oder die Charakterentwicklung zu kurz kommen würde. In einigen Bereichen ist die Geschichte schon etwas einfach gestrickt, aber das fällt bei all dem Humor und den sympathischen Figuren gar nicht auf. 🙂

P.S.: Die Fortsetzung „Der kleine Mann und die kleine Miss“ habe ich natürlich im Anschluss auch wieder gelesen und der Roman ist ebenso hübsch wie der erste Band. 🙂

12 Kommentare

  1. @Aly: Ich weiß auch nicht, in welcher Kiste meine Exemplare sind, deshalb habe ich mir die Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen. 😀

  2. Oh, das Buch sagt mir ja gar nichts und dabei habe ich früher so viel von Kästner gelesen. Das muss ich mir mal für einen Büchereibesuch merken.

  3. @Neyasha: Es unterscheidet sich auch etwas von seinen anderen Kinderbüchern. Wenn ich mich recht erinnere, dann waren "Der kleine Mann" und "Der kleine Mann und die kleine Miss" die letzten Kinderbücher, die er geschrieben hat – und das für seinen Sohn.

  4. Ich hab mit meinen Kindern im Sommer Kästners "Der 35. Mai" gelesen – und sie fanden es trotz etwas altmodischer Sprache wunderbar. Ein großartig antiautoritäres, kreatives Buch. Da muss ich den kleinen Mann wohl auch mal anschaffen. LG mila

  5. @Mila: Ich wäre gespannt, wie deine Kinder den kleinen Mann empfinden. Grundsätzlich hat Erich Kästner einfach eine schöne Art zu erzählen, ich glaube, das hilft über die ab und an altmodische Sprache wunderbar hinweg.

  6. @Hermia: Und dir ist nicht mal etwas von Kästner vorgelesen worden? Er gehört ja schon zu den klassischen Kinderbuchautoren, an deren Geschichten man – so dachte ich zumindest immer – so gar nicht drumherum kommt.

  7. Ich glaube nicht. Ich kann mich nur an die Märchen der Brüder Grimm erinnern.Mir wurde aber auch nicht sooo lange vorgelesen – als ich etwa 7 war, konnte meine Oma nicht mehr vorlesen (wegen ihrer Augen) und danach habe ich ihr vorgelesen. Und da gab es dann natürlich keine Kinderbücher, sondern die Zeitung und ihre heißgeliebten Klatschzeitschriften. 😉

    Das fliegende Klassenzimmer und Co., die sagen mir natürlich schon was, aber ich könnte nicht sagen, ob ich da einfach mal eine Verfilmung oder Hörspiel kennen gelernt habe.

    Lustigerweise habe ich aber erst vor ein paar Wochen beschlossen, das ich mir auch mal ein paar Bücher von Kästner genauer ansehen könnte und habe u.a. "Fabian: Die Geschichte eines Moralisten" auf die Weihnachtswunschliste gesetzt. 😉

  8. @Hermia: Ich hatte da das große Glück, dass meine große Schwester mir ab und an vorgelesen hat oder Bücher aus der Bibliothek mitbrachte, die wir beide lesen konnten. Dann kam die Zeit, in der ich selber in der Bibliothek auf die Kinderbuchabteilung zugreifen konnte – und da fanden sich halt auch ein Menge Kinderbuchklassiker.

    Schön, dass du für deine Oma dasein und ihr vorlesen konntest, auch wenn das in den Alter schon eine ungewöhnliche Lektüre ist. 🙂

    Oh, wirklich ein lustiger Zufall! Dann hoffe ich, dass du das Buch auch zu Weihnachten bekommst und dass es dir gefällt! 🙂 Ich hingegen habe relativ wenige Erwachsenentitel von Kästner gelesen.

  9. Ich habe nur einen kleinen Bruder, der auch noch der absolute Nicht-Leser ist, so wie meine Eltern auch. Bin halt eine Außenseiterin, das schwarze Schaf der Familie sozusagen. 😉

    Ich bin auch schon gespannt, ob es klappt! Allerdings bekomme ich nur ein Geschenk und auf meiner Wunschliste stehe viiiiele Bücher…

  10. @Hermia: Auch wenn ich deine Familie nicht kenne, würde ich spontan behaupten, dass mir die schwarzen Schafe deiner Familie besonders sympathisch sind. 🙂

    Hm, dann musst du dir vielleicht selber ein Weihnachtsgeschenk machen oder dich zum Jahresanfang buchig verwöhnen.

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