Meine erste Sachbuch-Rezension in diesem Jahr dreht sich um Erfindungen, die im viktorianischen Zeitalter gemacht worden. Ich habe das Buch „Der viktorianische Vibrator – Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik“ von Frank Patalong Ende letzten Jahres bei Elena gewonnen (bzw. mir als Gewinn gewünscht), nachdem Kiya Schuld daran war, dass der Titel überhaupt auf meinem Wunschzettel gelandet ist.
Es gibt bei dem Buch Höhen und Tiefen, und ein paar Sachen, die mir nicht so gut gefallen hat, kann ich ganz leicht benennen. So kann ich es nicht leiden, wenn Journalisten (und dieser Autor ist einer) ein Thema so angehen, als ob noch nie jemand sich damit auseinandergesetzt hätte – oder eben vom dümmsten möglichen Leser ausgehen, wenn sie ein Buch schreiben. Ebenso fand ich einige Formulierungen in „Der viktorianische Vibrator“ unglücklich gewählt. So denkt Frank Patalong, dass es, wenn wir alle ohne elektrisches Licht leben müssten, vielleicht so wäre, dass wir im Sommer länger und im Winter kürzer arbeiten würden. Aber da muss man nicht spekulieren, da kann man sich doch einfach anschauen, wie die Leute vor 150 Jahren gelebt haben.
Ebenso scheint er zu meinen, dass ein Leben ohne Elektrizität dazu führen würde, dass man nach Einbruch der Dunkelheit kaum noch etwas daheim machen kann – ohne zu bedenken, dass jahrhundertelang beim Licht von Öl-Laternen, Kerzenschein usw. ganze Bibliotheken abgeschrieben, Kleider genäht und andere „häusliche“ Tätigkeiten erledigt werden mussten. Das menschliche Auge kann sich, wenn es denn nötig ist, auch mit wenig Licht abfinden … Dass mich die diversen „Wortspiele“ nervten, trau ich mich kaum noch zu erwähnen und auch die ständigen Verweise auf und Vergleiche mit Twitter und anderen aktuellen Onlinediensten hätte sich Frank Patalong ruhig sparen können.
Insgesamt wurde das Buch in fünf große Themenbereiche („Unter Strom“, „Kommunikation und Musik“, „Mobilität, „Maschinen und Gesundheit“ und „Die Sache mit den Strahlen“) aufgeteilt.Gerade der erste Abschnitt rund um die Entdeckung der Elektrizität und ihre ersten Verwendungen scheint vor allem für Leser geschrieben zu sein, die sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Das hat dazu geführt, dass ich hier im allgemeinen Bereich nur sehr wenige neue Informationen gefunden habe. Was ich allerdings (und zwar das ganze Buch hindurch) interessant fand, waren die Bebilderungen und Einschübe, bei denen alte Werbeanzeigen, Artikel oder auch Zusammenfassungen kurioser Informationen präsentiert wurden, in denen es um elektrische Erfindungen und ihre Anwendung ging.
Bei „Kommunikation und Musik“ hatte ich – vor allem im Musikbereich – deutlich weniger Vorwissen als zum Thema Strom, was das Kapitel für mich deutlich interessanter machte. Vor allem Passagen, die beschreiben, wie zum Beispiel das Telefon als Übertragungsgerät für Orchesteraufführungen verwendet wurde oder mit welchen Alternativen zum „klassischen“ Telefon experimentiert wurde, fand ich gut zu lesen. Bei dem Bereich „Mobilität“ bin ich immer wieder erstaunt, wie viel ich über frühere Entwicklungen weiß – was vermutlich an diversen gut gemachten Fernsehsendungen zu dem Thema liegt. So waren es hier für mich vor allem kleine Begebenheiten und Anekdoten, die mein Interesse aufrecht erhielten, oder Informationen (wie der Werdegang der Wissenschaftlerin Mary Ward), die sonst gern ausgelassen werden, weil sie nicht direkt mit der Entwicklung von Automobilen zu tun haben.
So richtig interessant fand ich die letzten beiden Abschnitte, einmal über die diversen – aus heutiger Sicht ziemlich verrückten oder amüsanten – Anwendungen von Maschinen im Gesundheitsbereich und dann über die Entdeckung und Anwendung von radioaktiver Strahlung. In den Bereichen gab es für mich so einiges Neues zu entdecken und dementsprechend schnell habe ich diese Seiten auch gelesen. Auch fiel hier ins Auge, dass die Ausdrucksweise des Autors bei den ernsthafteren Themen auch die letzte Spur von Flapsigkeit verlor, was ich sehr angenehm fand. Was mich immer wieder (nicht nur beim Lesen dieses Sachbuchs) erschüttert, ist die Hemmungslosigkeit, mit der sich Menschen auf neue Erfindungen stürzen und mit der die Industrie in ihrer Werbung die Wirkung ihrer neuen Produkte anpreist. Selbst wenn sich die ersten schädlichen (bis tödlichen) Nebenwirkungen schon zeigen, so wird doch verkauft und beworben, bis es so viele Tote gibt, dass das Produkt von offizieller Seite verboten wird. Das war vor zweihundert Jahren ebenso der Fall wie heute …
Am Ende hat sich das Lesen des Buches für mich wirklich schon allein wegen der letzten beiden Themengebiete gelohnt, obwohl ich nach dem nicht ganz so interessanten Anfang rund um die Entdeckung des elektrischen Stroms und seiner Anwendung etwas skeptisch war. Dazu kamen noch all die Werbeanzeigen, etwas abseitigen zusätzlichen Informationen und Anekdoten, die selbst die nicht ganz so spannenden Kapitel auflockerten.
Ich hab das Buch bei den Taschenbuchtagen der Mayerschen letztes Jahr mitgenommen und auch direkt angelesen. Leider hat es mich direkt mit der endlos schwafeligen Einleitung verloren und das Hier-und-da-Reinlesen in verschiedene Kapitel konnte mich auch nicht begeistern. Vielleicht blätter ich aber nun doch noch mal aufm Klo durch … 😉
Der Anfang kostet wirklich Überwindung – und ohne die letzten beiden Themengebiete hätte ich das Buch nicht so positiv bewertet. Vielleicht fängst du einfach noch mal mit dem Bereich "Maschinen und Gesundheit" an und überliest die Nebenbemerkungen des Autors und konzentrierst dich auf die Fakten. 😉
Klingt zwar durchwachsen, aber wenn es zumindest in Teilen interessant war, hat sich die Lektüre ja doch noch gelohnt. Schade nur, dass man bei solchen Büchern meist nicht vorher weiß, wo sich die interessanten/lohnenden Teile befinden …
@Ariana: Ja, sehr schade. Wenn ich gewusst hätte, dass es noch so interessant wird, hätte ich die ersten Kapitel zügiger gelesen. 😉
Schade, dass das Buch deine Erwartungen nicht ganz erfüllt hat – ich denke, dass mich die angesprochenen Kritikpunkte auch stören würden. Aber schön, dass sich die Lektüre insgesamt doch noch für dich gelohnt hat!
@Neyasha: Ich frage mich ja schon manchmal, ob ich da besonders empfindlich auf einen bestimmten Tonfall bei solchen Sachbuchautoren reagiere. Aber selbst wenn dem so wäre, wenn es mich nun einmal stört, dann stört es mich eben. 😉 Trotzdem gab es noch einiges für mich aus diesem Buch zu ziehen. 🙂
Ich habe auch in den ersten Kapiteln schon durch die von dir angesprochenen Foto-, Werbe- und Anekdotenschnipsel genügend interessante Dinge für mich gefunden und auch von Anfang an mit einem für die Masse geschriebenen Buch gerechet (allein der Titel…), deshalb habe ich es vielleicht etwas milder beurteilt 😉 Aber die letzten Kapitel fand ich auch sehr spannend, wenn ich mich richtig entsinne.
@Kiya: Mit einem massentauglichem Buch hatte ich ja auch gerechnet, aber ich mag diese Nebenbemerkungen nicht. Und ich ärgere mich immer, wenn jemand nicht einfach Grundlagen sachlich zusammenfasst, was man ja gut zur Auffrischung oder Einleitung verwenden könnte, sondern sie so präsentiert, als ob sich der Leser (oder Zuschauer) noch nie zuvor damit befasst hätte.
Vor ein paar Tagen wäre ich deshalb beinah in den Fernseher gesprungen, als ich ihn anschaltete und den Schluss eines Berichts über Schäfer mitbekam, bei dem der Reporter meinte "Bislang dachte ich ja immer, Schäfer würden den ganzen Tag nur auf der Wiese stehen und nichts tun, aber nun weiß ich, dass da auch ganz schön viel Arbeit anfällt". 😉
Mich stört so etwas auch oft – manchmal mehr, manchmal weniger, das ist für mich auch vom Thema abhängig.
Wirklich amüsante Rezension! 😀 Besonders der Teil, was wohl wäre, wenn wir kein Licht hätten…^^
Deine Meinung scheint ja recht durchwachsen, aber nach den zwei letzten Kapiteln zu urteilen, fällt deine Meinung ja doch eher in Richtung positiv aus. Habe mal in meiner Bücherei geschaut, ob es das Buch da gibt – natürlich nicht. Aber ich habe eh das Gefühl, dass unsere Bib nicht so viel auf Lager hat. In dem Fall aber kein Problem. Das Schicksal hat entschieden.^^
@BücherFähe: Schön, dass du dich amüsiert hat. 😉 Bei dem Teil fragte ich mich auch, wie es denn wohl mit etwas mehr Recherche (oder Vorstellungskraft) wäre. 😉
Die letzten beiden Kapitel fand ich wirklich deutlich spannender als die anderen, und durchgehend haben mir die Anzeigen und Bilder gefallen. Aber es ist kein Titel, den man unbedingt gelesen haben muss. Da fand ich letztendlich das Buch über die diversen Erfinder und ihre Entwicklungen, das ich im letzten Jahr gelesen habe, spannender.
Nach der Rezension denke ich nciht , daß ich mir das Buch unbedingt kaufen würde.Allerdings sind meine Vorkenntnisse grade im Bereich Strom wahrscheinlich viel geringer ,da mein Gehirn das gleich mit Physik assoziiert und dabei habe ich seit der Schule grundsätzlich einfach abgeschalten.Ich habe leider nicht mal die einfachsten Lehrsätze begriffen.Falls ich es zufällig in der Bibliothek finde,werde ich es mir mal anschauen.Aber danke für Buchvorstellung.
@glencolumbscille: Mir lag Chemie immer mehr als Physik, aber solche Bücher finde ich eigentlich trotzdem interessant. Eben weil es nicht um Formeln geht, sondern darum das Grundprinzip zu begreifen und welche Folgen die Entdeckungen für den Alltag der Menschen hatte. 🙂
Das stimmt,die Auswirkungen auf die Menschen und ihr ganz normales Leben sind interessant,vor allem,weil sie oft nicht vorhersehbar sind.Ich denke, die Erfinder haben oft einfach nicht damit gerechnet , welche Folgen ihre Erfindungen haben .Meistens hatten und haben sie gar keine weltverändernden Motive.Ich muss da immer an den Star Trek Film "Der erste Kontakt " denken , den ich als einzigen mag.Der Erfinder des Warp Antriebs erfährt von der Enterprise – Besatzung aus der Zukunft , daß er die Weltraumfahrt revolutionieren und als Begründer der Neuen Zeit gelten wird,mit Staue und allem.Und er sagt dazu "ich wolltew doch nur Geld machen,um mich auf einer Insel mit vielen Frauen niederzulassen.Ich bin kein Held."Und so ist es oft wirklich.Die endgültige Bedeutung einer Erfindung zeigt sich oft erst später.
Ich musste bei dem Titel direkt an den Film "In guten Händen" denken, wo es um die Erfindung des Vibrators geht. Als ich den sah, wurde mir klar, wie gut wir es haben, nach der "sexuellen Revolution" zu leben 😉
Das Buch würde ich nach deiner Rezi eher nicht lesen wollen. Seit ich aber mal eine BBC Dokumentationsreihe über viktorianische Erfindungen gesehen habe, bin ich angefixt.
Wens interessiert: Bei youtube mal nach "What the Victorians did for us" suchen.
Das Thema Mobilität fand ich eher langweilig, aber besonders das Thema Radioaktivität/Gesundheit fand ich faszinierend – und dabei beängstigend.
@cat: Ich glaube auch, dass wir es – nicht nur in der Beziehung – relativ gut haben. Auf der anderen Seite frage ich mich manchmal, ob wir die Zustände und den … hm … Wissensstand so schlimm empfunden hätten, wenn wir zu der Zeit gelebt und es nicht anders gekannt hätten.
@Natira: Ah, du hattest den Titel schon gelesen.
Schade, schade, das Buch hätte mich eigentlich auch interessiert. Aber danke an cat, ich werde mir die Dokuunbedingt mal ansehen. LG mila
@Mila: Ich könnte dir das Buch mit deinen DVDs schicken und dann pickst du dir einfach die interessanten Passagen raus.
[…] Frank Patalong: Der viktorianische Vibrator – Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem… 288 S. […]