In „Der Mahlstrom“ kann der Leser zwei parallel laufende Kriminalfälle verfolgen. So ermittelt Rino Carlsen von der Polizei in Bodø in einem ungewöhnlichen Fall, bei dem ein Mann mit den Händen unter Wasser an einem Strand angekettet wurde. Stundenlang saß das Opfer so im Meer und erlitt höllische Qualen, während seine Glieder immer kälter wurden und die Flut das Wasser immer höher steigen ließ. Wie schon bei einem früheren Fall, bei dem ein Mann ums Leben kam, findet die Polizei in der Nähe des Tatorts eine Strichmännchen-Zeichnung. Und kurze Zeit später kommt es zu einem weiteren Vorfall, bei dem ein Mann an einen Heizofen gefesselt wird, und auch hier stellt eine Zeichnung Rino vor ein Rätsel.
Zur selben Zeit werden 300 Kilometer entfernt am Strand von Bergland Porzellanpuppen angespült – eigentlich kein ungewöhnlicher Vorgang, wären die Puppen nicht schon recht alt und würden sie nicht auf liebevoll gebastelten Flößen sitzen. Obwohl anfangs kaum jemand diese Puppenfunde ernst nimmt, beunruhigen sie den Polizisten Niklas Hultin. Dieser ist gerade erst nach Bergland gezogen, da seine Frau aus der Gegend stammt und nun näher bei ihrem kränklichen Vater wohnen möchte. Während Niklas noch versucht sich in der Gegend zurecht zu finden und die Bewohner des Ortes kennenzulernen, wird eine Frauenleiche am Strand gefunden, die eine auffallende Ähnlichkeit mit einer der gefundenen Porzellanpuppen aufweist.
Obwohl Frode Granhus mit seinem Debütroman das Krimigenre nicht gerade neu erfindet, habe ich den Roman wirklich genossen und werde die Augen nach weiteren Büchern von dem Autor aufhalten. Gleich vorweg (weil es doch einige Leute gibt, die dies bei skandinavischen Krimis nicht mehr lesen mögen) will ich darauf hinweisen, dass weder Rino Carlsen noch Niklas Hultin problembelastete, depressive oder desillusionierte Figuren sind. Beide haben ihre Problem, aber all das hält sich in einem glaubwürdigen Rahmen und führt dazu, dass die beiden Männer realistisch wirken.
So sorgt sich Rino um seinen Sohn, weil seine geschiedene Frau den Jungen mit Ritalin behandeln lassen will, und Niklas muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass er in absehbarer Zeit als Organspender herhalten muss. So sehr er gewillt ist ein Leben zu retten, so sehr fürchtet er sich vor solch einer Operation und den möglichen Folgen. Das alles ist nachvollziehbar erzählt und nimmt nicht so viel Raum ein, dass man von den Fällen abgelenkt wird. Auch gelingt es Frode Granhus beiden Erzählperspektiven genügend Individualität zu verleihen, dass man sich bei einem Wechsel jederzeit zurechtfindet, ohne dabei seine Erinnerung nach Einzelheiten durchforsten zu müssen oder gar noch einmal nachzuschlagen, was zuletzt bei diesem Handlungsstrang passiert ist.
Frode Granhus konzentriert sich in „Der Mahlstorm“ auf eine simple und distanzierte Erzählweise, aber gerade das hat bei mir dazu geführt, dass mich so manche Szene besonders berührt hat. Die Kriminalfälle sind eher solide konstruiert, ohne dass ich das Gefühl hatte, dass der Autor zu sehr übertrieben hätte. Einzig die – ab der Hälfte erfolgende – Verbindung der beiden Verbrechen und der dramatische Showdown waren mir einen Tick zu übertrieben. Gerade am Schluss kam bei mir ein bisschen das Gefühl auf, als ob der Autor (oder ein Lektor) gemeint hätte, dass es noch einmal richtig spannend werden sollte, obwohl es gereicht hätte, wenn Frode Granhus weiterhin seinen ruhigen Erzählstil beibehalten hätte.
Aber diese kleinen Kritikpunkte kann ich – ebenso wie die stellenweise vorherbare Entwicklung der Geschichte – angesichts der realistischen Charaktere und atmosphärischen Beschreibungen locker verzeihen. Stattdessen hat mir dieser Krimi große Lust auf eine Reise in den Norden gemacht. Ich hatte das Gefühl, dass ich durch die Augen des Autors die karge Schönheit der Lofoten erleben würde, während mich die eisige Kälte des Meers beim Lesen schaudern ließ …
Klingt nach einem Krimi den man gerne liest. Ich werd ihn mal auf meine Wunschliste setzen und sollte mein SUB endlich wieder Normalgröße erreicht haben, werd ich danach Ausschau halten.
lg KreaMa
@KreaMa: Erst einmal herzlich Willkommen! 🙂 Und mir hat der Krimi wirklich Spaß gemacht. Aber sag mal, wann hat so ein SuB denn seine Normalgröße erreicht? Schließlich definiert jeder Buchliebhaber einen "normalen" SuB doch unterschiedlich. 😉
Mh, das liest sich für mich jetzt doch eher wie so ein typischer Krimi aus Skandinavien. Die gleichen sich alle so sehr, dass ich sie schon gar nicht mehr auseinanderhalten kann. Aber ich sollte mal lieber meine Klappe halten, denn mit Spannung aus dem Norden hatte ich es ja noch nie so. Umso schöner, dass es andere Leser gibt, die diese Krimis zu würdigen wissen.
Mh, scheint ein skandinavischer Krimi wie alle anderen zu sein. Die sind sich irgendwie alle so ähnlich, dass ich, bis auf ein paar Ausnahmen, da ständig durcheinander komme. Aber ich sollte mal lieber meine Klappe halten, denn ich war noch nie ein Fan von Krimis aus dem hohen Norden – werde ich wohl auch nie sein. Umso schöner, wenn es Leser wie dich gibt, liebe Winterkatze, die diesen Krimis die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen. 🙂
… hört sich sehr interessant an. LG Beate
@nantik: Es gibt für mich (inzwischen) zwei Sorten skandinavische Krimis und die, die ohne depressive Ermittler auskommen, lerne ich immer mehr schätzen. 😉
Vielleicht liegt es daran, dass ich mich damals freudig auf Mankells Wallander-Romane und ähnliche Veröffentlichungen gestürzt habe, nur um dann schnell von all den depremierenden und düsteren Geschichten übersättigt zu sein.
Erschreckenderweise fällt mir gerade auf, dass das auch schon fünfzehn Jahre her ist …
@Beate: Gerade bei Debütromanen bin ich immer froh, wenn ich das Gefühl habe, dass der Autor eine solide Arbeit abgeliefert hat. 😉 Mich hat das Buch wirklich gut unterhalten.
Hör mir mit Wallander auf! Dem habe ich mein Skandinavien-Trauma zu verdanken! Alle um mich herum schwärmten von Mankells Wallander-Krimis – nur mich ließen sie total kalt. Ich gehöre aber auch zu den wenigen Lesern, die Nesser langweilig finden. Du siehst: mein nordischer Geschmack ist total verdorben. Ausnahmen wie Adler-Olsen und Theorin bestätigen die Regel. 😉
@nantik: Hihi, ich glaube, so geht es vielen von uns. Ich war so glücklich als so viele "neue" Krimis auf den Markt kamen und so unglücklich mit der Art der Krimis. 😉 Irgendwann habe ich die Isländer für mich entdeckt, die fühlten sich skandinavisch an, boten aber eine andere Atmosphäre …
@Winterkatze: Um ehrlich zu sein, kann ich mit den Isländern auch nur bedingt etwas anfangen. Mit Yrsa Sigurðardóttir habe ich es ein paar Mal versucht, aber weder ihr Stil noch ihre Geschichten liegen mir. Auch Arnaldur Indriðasons Schreibe mag ich nicht. Da bin ich mal bei einem Buch nach vier Seiten eingeschlafen, weil der Satzrhythmus so eintönig war – kein Witz! Ich freue mich natürlich immer wieder, wenn andere Leser von diesen beiden Schriftstellern begeistert sind, aber ich kann mit ihnen nichts anfangen. Mir liegen da schon eher die Krimis von Árni Thórarinsson. Die sind sprachlich etwas geschmeidiger, aber immer noch spröde genug, um die kantige Atmosphäre des Landes einzufangen. Wobei natürlich auch das reine Geschmacksache ist.
@nantik: Ich muss gestehen, dass ein Gespräch über isländische Autoren für mich (ohne Zugriff auf meine Büchersammlung) gerade etwas schwierig ist. Aber Arnaldur Indriðason zum Beispiel hatte mir gefallen, ich kenne aber auch nur die ersten beiden Romane von ihm. 😉
@nantik: Nachdem Blogspot so geschickt war die Sicherheitsfrage umzustellen, habe ich festgestellt, dass doch zum ersten Mal ein Kommentar im Spam-Ordner gelandet ist. Also nicht wundern, weil da zwei fast gleichlautende nantik-Kommentare auftauchen.
Ich werde wohl jetzt täglich mal den Spam-Ordner angucken müssen …