G. R. Gemin: Milchmädchen

Neyashas Kurzeindruck zu „Cowgirl“ von G. R. Gemin war der Grund dafür, dass ich mir die deutsche Ausgabe „Milchmädchen“ in der Bibliothek habe vormerken lassen. Die Geschichte wird aus Gemmas Sicht erzählt und schon zu Beginn bekommt man als Leser mit, dass ihr Leben zur Zeit nicht gerade rosig verläuft. Ihr Vater sitzt seit fast zwei Jahren im Gefängnis, ihre Mutter ist – dank anstrengendem Vollzeitjob – nur noch gestresst und will abends ihre Ruhe habe, ihr kleiner Bruder nervt und lässt sich immer häufiger mit Typen ein, deren Ideen selten legale Aktivitäten beinhalten, und überhaupt ist die Gegend, in der Gemma wohnt, nicht gerade ein Ort an dem man sich heimisch und sicher fühlen kann. Gemmas einziger Ausweg aus der Situation ist ihr Fahrrad, mit dem sie jeden Tag lange Touren unternimmt – immer auf der Suche nach dem Ort, an dem sie mit ihrer Familie mal einen wunderschönen Tag verbracht hat.

Eine Angewohnheit von Gemma ist es, sich (mit geschlossenen Augen) die Hügel ihrer walisischen Heimat runterrollen zu lassen, im vollen Bewusstsein, wie gefährlich das ist. Doch eines Tages stürzt sie, als sie einer Herde Kühe ausweichen muss, die auf der Straße steht. Zu ihrer Überraschung stellt sie fest, dass diese zwölf Kühe ihrer Mitschülerin Kate gehören. Kate, die von allen in der Schule nur „Cowgirl“ genannt wird, ist eines der Mädchen, mit denen man nicht zusammen gesehen werden will, wenn man nicht dem gleichen Mobbing ausgesetzt sein will wie die anderen Verlierer an der Schule. Trotzdem kommt es dazu, dass sich Gemma im Laufe der Zeit mit der starken und selbstbewussten Kate anfreundet und dann feststellen muss, dass auch ein Mädchen wie das „Cowgirl“ mal Hilfe benötigt. Gemeinsam mit ihrer Oma und den diversen Nachbarn verstecken Gemma und Kate die Kühe des Mädchens inmitten einer Wohnsiedlung und stoßen so einen völlig neuen Umgang der Bewohner zueinander an.

Es gab viele Elemente an „Milchmädchen“, die ich mochte. Gemmas Sicht der Ereignisse hat sich gut lesen lassen. Gemma läuft mit den „bösen Mädchen“ der Schule mit, weil sie nicht das Opfer dieser Mitschülerinnen sein will, sie flüchtet von daheim und gibt sich angenehmen Tagträumen hin, und sie hat Probleme, sich allein ihren vielen Ängsten zu stellen, was sie relativ realistisch wirken lässt. Und nachdem die Freundschaft zu Kate dafür sorgt, dass sie mal über ihren Tellerrand hinausblickt und etwas Rückgrat entwickelt, lernt Gemma, dass es manchmal gar nicht so schlimm ist, wenn man nicht mitläuft, wenn man aus der Masse heraussticht und einfach mal etwas tut, was einem am Herzen liegt. Auch sonst gibt es viele sympathische Figuren in der Geschichte und die Vorstellung, dass eine ganze Siedlung eine Kuhherde versteckt und versorgt, ist wirklich sehr schön.

Trotzdem muss ich zugeben, dass dieses Jugendbuch bei mir nicht so richtig gezündet hat. Vielleicht bin ich zu zynisch, aber ich glaube nicht, dass eine Kuh im Garten von einem Tag auf den anderen dafür sorgt, dass Menschen ihre rassistischen Vorurteile ablegen, ihre Diebstähle einstellen, verantwortungsbewusste Personen werden oder auf einmal den Sonderling nebenan problemlos akzeptieren. Das Ganze lief mir in „Milchmädchen“ einfach zu glatt, es gab viel zu wenige Widerstände, viel zu wenige Hindernisse und das Ende war so perfekt und zuckersüß, dass es mich regelrecht ärgerte. Erst baut der Autor so viele und angenehm realistische Probleme in Gemmas Leben ein, und dann lösen sich all diese Probleme innerhalb weniger Tage auf, weil ein Mädchen seine Kühe nicht verlieren will. Auch wenn der Gedanke, dass es so laufen könnte, wirklich schön ist, so ist eine solche Auflösung mir doch zu unrealistisch angesichts der Tatsache, dass G. R. Gemin seine Geschichte mit sich real anfühlenden Personen und Problemen gestartet hat.

4 Kommentare

  1. Schade, dass dich das Buch nicht überzeugen konnte. Ich stimme dir zu, dass zum Ende hin einiges zu glatt gelaufen ist, andererseits hat es mich aber nicht so gestört. Ich hatte den Eindruck einer kleinen Gemeinschaft, in der sich ja doch alle kennen und in der es quasi nur einen Stein als Anstoß gebraucht hat, damit sie es wieder schaffen, miteinander zu reden und sich aufzurappeln.

  2. @Danny Core: So habe ich es nun mal empfunden. Ich hätte das Buch gern von Anfang bis Ende gemocht.

    @Neyasha: Bis zum Schluss, wo ihr Vater dann auch noch ins Spiel kommt (und dann der Nachsatz kommt mit dem Park), konnte ich das auch hinnehmen, dass sich so viel verändert. Das war mir dann aber zu viel und das hat mich geärgert.

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