Iris Grädler: Meer des Schweigens (Hörbuch)

In den letzten Monaten hatte ich ein paar Entscheidungsprobleme, wenn es um die Wahl neuer Hörbücher ging. Am Ende habe ich mich wegen Gabriele Blum, die ich in der Regel als Sprecherin mag, entschlossen, einen Versuch mit dem ersten Teil der Collin-Brown-Krimis, „Meer des Schweigens“, von Iris Grädler zu wagen. Ich muss zugeben, es war nicht die beste Wahl für ein „Gartenhörbuch“, denn wenn ich mal ein oder zwei Tage nicht in den Garten kam, hatte ich anfangs beim Weiterhören doch erstaunlich große Probleme mich wieder an all die Figuren zu erinnern. Dabei fand ich die Charaktere und ihre jeweiligen Handlungsstränge nicht uninteressant. Es waren nur so viele Personen und es gab zwischen den drei verschiedenen Gruppen so wenig Anknüpfungspunkte, dass ich mich häufig etwas verloren fühlte, wenn schon wieder der Name eine Nebenfigur fiel, die ich nicht auf der Stelle zuordnen konnte. Hätte ich die Geschichte als Roman gelesen, hätte ich gewiss weniger Probleme gehabt, weil ich 1. schneller lese als höre und 2. die Möglichkeit gehabt hätte kurz zurückzublättern, um meine Erinnerung aufzufrischen.

Der Haupthandlungsstrang dreht sich um den Polizisten Collin Brown, der seit ein paar Jahren in Cornwall lebt und arbeitet. Er hatte seiner Heimat Southampton den Rücken gekehrt, weil er nicht mehr jeden Tag mit den Gräueltaten leben konnte, die er in seinem Beruf zu sehen bekam. In Cornwall ist sein Dienst deutlich entspannter und er kann mehr Zeit mit seiner Frau und den drei Kindern verbringen. Gestört wird Collins Ruhe als erst ein toter Hund und wenig später ein toter Mann an die Küste geschwemmt werden. Beide wurden erst vergiftet und dann verstümmelt, was nahelegt, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Opfern gibt.

Parallel zu Collins Ermittlungen kann man die Geschichte von Elisabeth verfolgen, die zur Beerdigung ihres Bruders zurück nach England gekommen ist. Elisabeth hat vor vielen Jahren den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen, ist nach Australien ausgewandert und hat seitdem keinen Menschen aus der alten Heimat gesprochen. Ihre Rückkehr ist ihr sehr schwer gefallen, aber sie hofft, dass ihr Bruder ihr vielleicht ein Erbe hinterlassen hat, dass ihr helfen könnte, ihren kranken Sohn besser zu versorgen. Auch bei Su dreht sich fast alles um ihr Kind. Sie arbeitet als Putzfrau, um für sich und ihre Tochter aufzukommen, schwärmt heimlich für ihren Vermieter und bis eine neue Frau ins Leben dieses Herren tritt, scheint ihr Leben endlich eine Wendung zum Positiven genommen zu haben.

Alle drei Handlungsstränge werden sehr ruhig, atmosphärisch und ausführlich erzählt, was dazu führt, dass man die verschiedenen Figuren sehr gut kennenlernt und sich bei jeder (in der Regel eigentlich sehr harmlosen) Szene fragt, wie das Ganze mit den Morden zusammenhängt. Ich hatte nicht das Gefühl, ich könnte groß mitraten, dafür wird man als Hörer zu sehr im Dunklen gelassen, aber es hat Spaß gemacht jeden Dialog, jede Aussage nachklingen zu lassen, mit der Frage, ob da nun ein Hinweis auf eine Verbindung zum Mord versteckt sein könnte oder nicht. Und am Ende kommt man als Hörer doch deutlich früher auf die Lösung des Ganzen, wobei ich zugeben muss, dass der Collin sich eher bewusst weigert die Lösung zu akzeptieren, bevor er nicht mehr Beweise als sein Bauchgefühl dafür hat.

Auch fand ich es angenehm, dass Collin ein sehr entspanntes Familienleben hat. Seine Frau unterstützt ihn, seine Kinder haben keine gravierenden Probleme, wenn man davon absieht, dass seine Tochter adoptiert ist und mit ihrem afrikanischen Aussehen in der Region sehr auffällig ist. Collins Mitarbeiter sind stellenweise herausfordernd, aber auch das fand ich relativ stimmig, da sie eher darin geübt zu sein scheinen Verkehrssünder anzuhalten als an einer Mordermittlung beteiligt zu sein. Außerdem gibt es in jedem Job Personen, denen der pünktliche Feierabend und das freie Wochenende mehr wert sind als ein Beruf, in dem die Arbeitszeiten situationsbedingt schon mal länger sein müssten. Dabei hat Iris Grädler schön dargestellt, dass eine so ernsthafte Ermittlung das Arbeiten in der kleinen Polizeigruppe deutlich verändert und keine Person unberührt aus dem Fall herausgeht. Am Ende fügen sich alle Handlungsstränge zu einem zufriedenstellenden Ende zusammen. Zwar wird nicht jede Frage beantwortet, aber dass ist ja auch nur zu erwarten, wenn die einzigen Personen, die vollkommene Aufklärung geben könnten, schon verstorben sind.

Ich mochte vor allem die ruhige und ausführliche Erzählweise und dass die verschiedenen Beteiligten (vor allem die Polizisten) so angenehm „normal“ waren. Keiner war perfekt, alle hatten ihren (zum Teil auch lästigen) Macken, aber sie fühlten sich beim Hören an, als ob man schon einmal mit ähnlichen Personen zusammengearbeitet hätte. Dazu beschäftigt einen die ganze Zeit die Frage, wie die beiden anderen Handlungsstränge mit dem Mord zusammenhängen und wann die Ermittler eine entscheidende Entdeckung machen, die sie endlich in die richtige Richtung führt. Schön fand ich es auch, dass es sich aufgrund der relativ überschaubaren Bevölkerung an der Küste von Cornwall nicht unnatürlich anfühlte, wenn Collin und seine Truppe über eine Belanglosigkeit stolperten, die am Ende doch irgendwie weiterhalf,

Gabriele Blum hat ihre Sache wieder sehr gut gemacht. Ich mag sie als Sprecherin und fand, dass sie die verschiedenen Charaktere mit all ihren Ecken und Kanten sehr stimmig dargestellt hat. Es gibt Rezensionen, in denen kritisiert wird, dass sie schnieft und hustet, aber genau das machen die Figuren nun einmal in bestimmten Situationen, wie man den Gedanken des jeweiligen Erzählers entnehmen kann, und das kann und will ich der Sprecherin nicht anlasten. Schon gar nicht, wenn ich nicht kontrollieren kann, ob das nicht genauso von Iris Grädler in ihrem Roman geschrieben wurde. Insgesamt haben mir die Geschichte, die Erzählweise und die Sprecherin so gut gefallen, dass ich mir auch noch die Fortsetzung besorgt habe.

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