Lisa O’Donnell: Bienensterben

Wie ihr sehen könnt, bin ich in dieser Woche fleißig dabei meine Bibliotheksbücher zu lesen und zu besprechen – und dazu gehört auch „Bienensterben“ von Lisa O’Donnell. Rezensionen zu dem Roman habe ich auf mehreren Blogs gesehen, letztendlich war es wohl Arianas Meinung, die mich dazu verleitet hat, den Titel vorzumerken. Die Handlung in „Bienensterben“ beginnt rund um Weihnachten, am 15ten Geburtstag von Marnie und dem Tag, an dem sie mit ihrer elfjährigen Schwester Nelly ihre toten Eltern im Garten vergräbt. Dass die Eltern keines natürlichen Todes gestorben sind, steht schnell fest, ebenso wie die Tatsache, dass die Mädchen eigentlich ganz erleichtert sind, dass sie die beide losgeworden sind, doch Details dazu erfährt man erst nach und nach.

Im Laufe der Geschichte, die ungefähr ein Jahr umspannt, lernt man als Leser Marnie und ihre etwas merkwürdige Schwester Nelly immer besser kennen. Man erfährt von all den Momenten in ihrer Kindheit, in denen sie von den Eltern vernachlässigt wurden, dass Marnie in gewisser Weise Nelly aufgezogen hat und dass Alkohol und Drogen zum Alltag der Familie gehörten. Aber man kann auch die innige Beziehung der beiden Schwestern zueinander miterleben (obwohl die beiden die Handlungen und Gedanken der anderen nicht immer nachvollziehen können), lernt Marnies Freundinnen kennen und den homosexuellen Nachbarn Lennie, der in der gesamten Stadt als Perverser verschrien ist und doch nichts anderes ist als ein alter Mann, der um seinen (heimlichen) Lebensgefährten trauert.

Erzählt wird dieser Roman aus den Perspektiven von Marnie, Nelly und Lennie – und die Autorin beweist ein wirklich tollen Händchen bei der Darstellung der verschiedenen Charaktere und ihrer Ansichten. Marnie wirkt am Anfang unheimlich abgebrüht. Sie arbeitet für einen drogendealenden Eisverkäufer und versucht so genügend Geld für den Lebensunterhalt der Mädchen aufzutreiben. Dass sie flucht, raucht und selber hin und wieder von den zu vertickenden Drogen nascht, scheint bei ihrer Vergangenheit unumgänglich zu sein. Doch so hart Marnie nach außen erscheint, so zerbrechlicher wirkt sie im Laufe der Geschichte. All die Lügen, die sie erzählen muss, die Verantwortung für die kleine Schwester, Auseinandersetzungen mit Dealern, die Geld von ihrem „verschwundenen“ Vater haben wollen, und andere Herausforderungen wachsen ihr fast über den Kopf.

Nelly hingegen wirkt anfangs sehr unschuldig und mädchenhaft, so dass es kein Wunder ist, dass Marnie sie vor allem beschützen möchte. Doch neben ihrer genialen Begabung fürs Geigenspiel und der wunderlichen Angewohnheit sich sehr altmodisch und gestelzt auszudrücken, zeichnet sich Nelly auch immer wieder durch eine überraschende Zähigkeit und Härte aus. Dabei ist ihre Sehnsucht nach einem „richtigen“ Zuhause so groß, dass sie bereit ist einige erschreckende Kompromisse einzugehen. Nelly war der Charakter, der mich im Nachhinein eigentlich am meisten beschäftigt hat, denn ihre Beweggründe und ihre Handlungen waren oft so verdreht, dass ich sie nicht recht verstehen konnte, weil sie so sehr in ihrer eigenen Logik gefangen war.

Der Nachbar Lennie hingegen ist einfach nur ein Schatz. Sehr höflich, sehr zurückhaltend, aber auch ungemein besorgt über die Zustände im Nachbarhaus. Nach und nach erwirbt er das Vertrauen der Mädchen, auch wenn sie ihn natürlich nie darüber aufklären, wohin ihre Eltern wirklich verschwunden sind. Durch Lennie erfahren Marnie und Nelly zum ersten Mal, wie es sich anfühlt, wenn sich ein erwachsener und verantwortungsbewusster Mensch um einen kümmert. Er versucht ganz behutsam den Mädchen ein Zuhause zu bieten und verwöhnt sie mit regelmäßigen und üppigen Mahlzeiten. Obwohl gerade Marnie ihn manchmal als sehr bevormundend empfindet, fand ich es beeindruckend, wie zurückhaltend sich Lennie den Mädchen gegenüber verhielt, wie vorsichtig er seinen Rat anbot und wie genau er von Anfang an spürte, dass er sie ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen musste, ohne sie dabei einengen zu dürfen.

Es gibt im Laufe der Geschichte einige schlimme Entwicklungen und immer wieder müssen Marnie und Nelly schwere Entscheidungen treffen, trotzdem gibt es neben den schrecklichen und melancholischen Momenten sehr viel Humor in diesem Roman (Wobei ich nicht verschweigen will, dass die ersten Seiten, in denen es um die Beseitigung der Leiche des Vaters geht, recht unappetitlich zu lesen sind). So schildert Lisa O’Donnell überraschend witzig, wie sich ein Drogendealer und seine Frau in Marnies Zuhause prügeln oder wie Marnie und ihre Freundinnen sich bei einem Ausflug die Zeit vertreiben. Dass jede dieser Szenen von einem nicht geringen Maß an Traurigkeit oder Resignation durchzogen sind, lässt sie nur noch eindringlicher wirken.

Auch wenn es mir etwas merkwürdig vorkommt ein Buch, in dem es um Vernachlässigung von Kindern, Tod, Misshandlung, Alkohol- und Drogenmissbrauch geht, als „schön“ zu bezeichnen, so hat mir „Bienensterben“ wirklich sehr gut gefallen. Dieser Roman verfügt über individuelle und faszinierende Protagonisten, eine tolle Erzählweise und eine Handlung, die mich – zum Teil gerade wegen diverser skurril wirkender Entwicklungen – sehr gepackt hat.

10 Kommentare

  1. Oh, wie schön, das Buch hat dir auch gefallen! Freut mich sehr, dass ich dich zum Lesen dieses besonderen Buches inspiriert habe und es dich nicht enttäuscht hat. 😀

  2. Merkwürdig, ich hätte schwören können, das ich das Buch schon auf der Wunschliste gesetzt habe…egal, jetzt auf jeden Fall. 😉

  3. @Ariana: Jupp, hat mir gefallen! Und vielen Dank für den Tipp! 🙂 Zwischendurch war mir beim Lesen schon etwas mulmig zumute, als Lennie eine wichtige Neuigkeit erfuhr, aber irgendwie hat sich auch das "richtig" aufgelöst. 🙂

    @Hermia: Vielleicht hattest du es zwischendurch schon wieder runtergenommen. Manche Titel sind ja welche, die immer wieder rauf und runter hüpfen und um die man eine Weile rumschleicht. 🙂

  4. Das klingt tatsächlich nach einem sehr skurrilen Buch. Ich weiß noch nicht, ob das wirklich mein Fall wäre, aber ich werde mal in der Bücherei danach Ausschau halten. Neugierig hat mich deine Rezension auf jeden Fall gemacht.

  5. @Neyasha: Es ist auf jeden Fall eine ungewöhnliche Geschichte, auf die man sich erst einmal ein bisschen einlassen muss. Aber es lohnt sich! Viel Glück in der Bibliothek! 🙂

  6. Ich habe schon geschaut und ess ist in der Bücherei – ausgeliehen u. für Andere vorgemerkt. 😉 Vormerken lassen löst in dieser Bibliothek übrigens Gebühren aus – ich werde das Buch wohl so im Hinterkopf behalten müssen, aber ich hatte mir Arianas Post auch schon als Erinnerungsstütze gemail; Deiner kommt hinz. 😉

  7. @Natira: Aber immerhin ist es in der Bibliothek vorhanden und du musst jetzt nur noch daran denken ab und an nach dem Buch zu gucken. 🙂

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