Patricia C. Wrede: The Lyra Novels

Vor einiger Zeit habe ich eine Liste mit Buchtiteln von Lieblingsautoren erstellt, die ich noch nicht in meinem Bestand habe. Gerade bei Autoren, die ich für mich entdeckt habe, als ich noch keine englischen Romane las, habe ich einige Lücken, da eben nicht alle Titel ins Deutsche übersetzt wurden. Die Lyra-Romane von Patricia C. Wrede gehören zu diesen Büchern und so habe ich mir vor einigen Wochen die fünf Bände als eBook-Bundle gekauft, um meine Sammlung zu vervollständigen. Die Lyra-Romane enthalten Geschichten, die alle in der Welt Lyra spielen, aber – trotz des einen oder anderen Querverweis – eigentlich unabhängig voneinander zu lesen sind.

„Shadow Magic“ von 1982 ist der erste Roman, den Patricia C. Wrede überhaupt geschrieben und veröffentlicht hat und man merkt der Geschichte ihr Alter und die Unerfahrenheit der Autorin an vielen Stellen auch an. Allerdings habe ich auch immer wieder Szenen gefunden, in denen schon der Humor von Patricia C. Wrede durchblitzt, und auch schon in diesem ersten Buch gelingt es ihr Charaktere zu erschaffen, die sich realistisch anfühlen und die ihren eigenen Kopf haben. Die Handlung an sich ist ein High-Fantasy-Klassiker: In einer Grenzstadt wird die Tochter des Fürsten entführt und während ihr Bruder und sein Freund sich aufmachen, um sie zu retten, entdeckt sie, dass sie besondere Fähigkeiten hat, die am Ende gebraucht werden, um das Land vor seinen Erzfeinden zu retten. Wie gesagt, die Geschichte ist ziemlich simpel, aber es hat mir Spaß gemacht den Roman zu lesen, weil ich die Figuren mochte und weil ich bei den Dialogen immer wieder schmunzeln musste. Diese Ausgabe wurde übrigens von Patricia C. Wrede vor der Neuveröffentlichung etwas überarbeitet, weil ihr zwar immer noch die Geschichte gefällt, die sie damals geschrieben hat, aber ihr Stil sich natürlich deutlich verändert hat. Wie genau die Bearbeitung vorging, kann man anhand des Beispielkapitels sehen, wo die Autorin Satz für Satz erklärt, welche Teile sie warum gestrichen oder umgeschrieben hat. Den Teil fand ich auch sehr spannend, weil er einen noch einmal etwas aufmerksamer auf den Satzbau und die Erzählweise blicken lässt.
„Daughter of Witches“ von 1983 spielt in einem Land, das sehr weit weg von der kleinen Grenzstadt des ersten Romans zu sein scheint. Und nicht nur mit dem Setting, sondern auch mit der Geschichte entfernt sich Patricia C. Wrede etwas von dem, was in den 80ern bei den High-Fantasy-Romanen weit verbreitet war, auch wenn bestimmte vertraute Elemente natürlich trotzdem vorkommen. So ist die Protagonistin eine Sklavin (auf Zeit), in einer Stadt, die von einem Tempel regiert wird, und in der Frauen ihr Leben hinter einem Schleier führen. Zwei Ereignisse sorgen dafür, dass das Leben dieser jungen Frau auf den Kopf gestellt wird: Fremde bleiben – obwohl sie während dieser Zeit aus der Stadt verbannt wurden – während eines religiösen Festes in dem Gasthaus, in dem Ranira lebt, und einer hochrangiger Priester will die Sklavin zu seiner Tempelhure machen. Obwohl Ranira wenig Einfluss auf das hat, was mit ihr geschieht, versucht sie doch jede Entscheidung zu durchdenken und beweist immer wieder, dass sie nicht ganz hilflos ist. Ich mochte es auch, dass man als Leser sehr lange nicht erfuhr, was die Fremden überhaupt in die Stadt gebracht hat. Es wäre unglaubwürdig gewesen, wenn die Reisenden Ranira früher eingeweiht hätten, und so konnte man sich seine eigene Gedanken um ihre Motive machen. Bei der Wahl des Bösewichts hätte die Autorin ruhig noch etwas kreativer sein können, aber alles in allem habe ich mich – trotz des Alters der Geschichte und des relativ einfachen Aufbaus – gut unterhalten gefühlt. 
„The Harp of Imach Thyssel“ von 1985 dreht sich um einen Barden, der gemeinsam mit seinem besten Freund eine magische Harfe findet. Die Magie, die von der Harfe ausgeht, verändert nicht nur das Verhältnis der beiden Männer zueinandern, sondern wird auch von vielen weiteren Parteien gesucht. Während ich die Handlung an sich wieder etwas einfach fand, habe ich viele kleine Elemente wirklich genossen. So konnte man in dieser Geschichte nicht so einfach sagen, wer gut und wer böse ist, außerdem gibt es eine großartige Ruine und ich mochte die Darstellung der einen Familie mitsamt der verschiedenen Geschwister und ihres Verhältnis zueinander. Auch hier lässt einen die Autorin ziemlich lange im Dunkeln, wenn es um die Motive der verschiedenen Charaktere geht, was für mich in der Regel in Ordnung war, aber bei einer Partei ein bisschen gestellt wirkte. Insgesamt finde ich es spannend, wie unterschiedlich die verschiedenen Geschichten sind und welche Eigenheiten die verschiedenen Länder Lyras aufweisen.
Bei „Caught in Crystal“ von 1987 ist mir vor allem ins Auge gefallen, dass die Protagonistin eine Mutter ist. Ich habe vor ein paar Jahren schon mal angemerkt, dass Mütter in Fantasyromanen eigentlich keine Rolle spielen und dass ich das schade finde. Umso netter fand ich es, dass hier die Hauptfigur nicht nur eine Mutter ist, sondern dass ihr Muttersein für die Geschichte selber eigentlich keine so große Rolle spielt, obwohl ihre Kinder ständig präsent sind und ihr erster Gedanken häufig die Frage ist, ob ihre Kinder in dieser oder jener Situation gefährdet sind. So gibt es viele „ich muss die Kinder beschäftigt halten“-Gedanken, aber auch eine Menge Momente, in denen sich diese Figur mit den aktuellen Gefahren oder mit ihrer Vergangenheit – jupp, die Frau hatte ein Leben, bevor sie Mutter wurde! 😀 – beschäftigt. Ich glaube nicht, dass ich so eine Protagonistin schon einmal in einem Fantasyroman gesehen habe und ich habe schon so viele davon gelesen. Ansonsten spielt die Handlung deutlich vor den anderen Lyra-Romanen und obwohl auch hier viele traditionelle High-Fantasy-Elemente vorkommen, fand ich die Geschichte wieder sehr unterhaltsam zu lesen.
„The Raven Ring“ ist von 1994 und gerade wenn man die fünf Romane so hintereinander liest, fällt deutlich auf, wie sehr sich Patricia C. Wrede weiterentwickelt hat. Die Figuren sind stimmiger, die Handlung ist komplexer und ich mochte die Sicht der Protagonistin auf das ihr unvertraute Stadtleben. Überhaupt finde ich es sehr cool, was die Autorin aus der Grundidee (eine Kriegerin aus den Bergen geht in die Stadt, um die Habseligkeiten ihrer verstorbenen Mutter, die als Söldnerin gedient hat, heimzuholen) gemacht hat und wie die Protagonistin mit den Herausforderungen, die das unvertraute Stadtleben und die Folgen, die der Tod ihrer Mutter für sie hat, mit sich bringt, umgeht. Ich habe auch selten eine Kriegerin erlebt, die ich so stimmig fand. So ist sie weder unmenschlich noch fehlerfrei, analysiert aber so gut wie jede Situation und jeden Menschen, dem sie begegnet, mit den Augen einer Kriegerin. Was auch dazu führt, dass sie immer wieder ihre eigenen Schwächen und Fehler registriert und versucht daraus zu lernen.

Insgesamt war es wirklich sehr spannend die Entwicklung der Autorin und ihrer Welt über diese fünf Romane zu verfolgen. Aber auch unabhängig davon hat mir das Lesen der fünf Geschichten sehr viel Spaß gemacht. Aus heutiger Sicht sind die Bücher vielleicht etwas sehr simpel erzählt, aber ich fand sie unterhaltsam, mochte die verschiedenen Figuren und den Weltenbau und die kleinen ungewöhnlichen Ideen, die Patricia C. Wrede verwendet hat

2 Kommentare

  1. … was mich erinnert, dass ich immer noch nichts von Wrede gelesen habe. Immerhin steht sie auf meiner Fantasy-Liste, es wird also unausweichlich dazu kommen 😉
    Ich tendiere immer mehr dazu, neue Autoren auszuprobieren, daher bin ich bisher selten dazu gekommen, Autoren bei ihrer Entwicklung zu beobachten, aber den Gedanken finde ich doch spannend.

  2. Ich kann die Autorin nur empfehlen. Selbst die Geschichten, die relativ wenig ungewöhnlich sind, enthalten Elemente, die ich für ihre Zeit innovativ und interessant finde. Und ich habe das auch noch nie so intensiv verfolgen können, weil normalerweise ja auch nicht so viel Zeit zwischen den einzelnen Romanen einer Reihe (und somit so deutliche Entwicklungsschritte) liegt.

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