Robin McKinley: Chalice

Robin McKinley lese ich schon sehr lange und kenne doch bislang erstaunlich wenig von der Autorin, obwohl ich jeden Roman von ihr, den ich gelesen habe, sehr mochte. So wurde es zu Weihnachten dringend Zeit mal wieder ein weiteres Buch von ihr auf den Wunschzettel zu setzen und nachdem mir in den letzten Tagen nach ungewöhnlicher Fantasylektüre war, habe ich zu „Chalice“ gegriffen.

Von Anfang an fällt bei „Chalice“ die ungewöhnliche Erzählweise auf, die nicht nur durch viele zeitliche Sprünge, sondern auch die Perspektive etwas ist, worauf man sich erst einmal einlassen muss. Überhaupt lässt Robin McKinley sehr vieles offen, wenn es um die Welt, die Magie und die Traditionen geht, die in „Chalice“ eine Rolle spielen. Aber ich fand es sehr angenehm, dass ich mir so beim Lesen sehr viele Gedanken um all die Kleinigkeiten machen musste, die mir eben nicht auf dem Silbertablett präsentiert werden. Selbst Elemente, die relativ einfach erklärt werden könnten, musste ich mir als Leser selber erarbeiten. So habe ich mich lange gefragt, wie groß wohl das Gebiet ist, um das es sich hier dreht. Die Menschen kennen einander und stehen sich so nah, dass es wie ein Dorf oder größeres Gut wirkt. Aber wenn man sich überlegt wie viele Personen an der Verwaltung des Gebietes beteiligt sind und wie wichtig die einzelnen Positionen sind, dann dreht es sich wohl eher um eine Art kleines Fürstentum. Ich mag es, wenn ich mich so mit den Hintergründen einer Geschichte beschäftigen kann, ohne dass dabei die Figuren oder das Geschehen zu sehr überlagert werden.

Die Handlung dreht sich um ein Gebiet, in dem zeitgleich der „Master“ und die „Chalice“ gestorben sind ohne einen Erben zurückzulassen und nun durch zwei Personen ersetzt werden müssen, die keinerlei Ausbildung für ihre neue Aufgabe erfahren haben. Die neue „Chalice“ wird durch den „Circle“ gefunden, in einem Auswahlverfahren, das angeblich keinen Raum für Irrtümer zulässt – und so steht die Imkerin und „Waldhüterin“ Mirasol von einem Tag auf dem anderen vor einer großen Herausforderung. Als Chalice ist es ihre Aufgabe das Land zusammenzuhalten, mit dem Circle zusammenzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass es allen Lebewesen gut geht.

Auch der Master ist auf magische Weise mit dem Land verbunden und entstammt normalerweise der Blutlinie des vorhergehenden Masters ab. Doch aufgrund der Tatsache, dass der verstorbene Master sich nicht gut mit seinem jüngeren Bruder vertrug, wurde dieser zu den Priestern des Feuers geschickt und ist nun eigentlich nicht mehr für seine neue Aufgabe geeignet. Er ist tief mit dem Feuer verbunden und weniger Mensch als Element, trotzdem will er alles versuchen, um dem Gebiet die Unruhe zu ersparen, die mit einem Wechsel der Blutlinie einhergehen würde. So sind sowohl Chalice als auch Master sehr unsicher in ihrer neuen Aufgabe und es hilft nicht, dass die Menschen in ihrer Umgebung ihnen kein besonders großes Vertrauen entgegen bringen. Zu sehr hängt die Sicherheit aller und das Wohl des Landes davon ab, dass die beiden wichtigsten Positionen von Menschen gehalten werden, die dafür sorgen können, dass das Land ausgeglichen ist und die Magieflüsse gleichmäßig fließen.

Mir hat vor allem die ruhige Erzählweise gefallen und die Tatsache, dass mir die Geschichte Raum und Zeit zum Nachdenken gelassen hat. Ausnahmsweise konnte ich das Buch gut aus der Hand legen, weil so viele Kleinigkeiten in mir nachhalten und die Langsamkeit der Handlung mich nicht drängte noch eine und noch eine Seite zu lesen bis ich wusste wie es endete. Dann sind da auch all die kleinen Szenen zwischen Master und Chalice, die beide auf ihre Weise das Beste für ihr Land wollen und doch so unsicher sind, ob sie ihrer Aufgabe gerecht werden. Obwohl auch Mirasol immer wieder Angst vor dem Feuer in ihrem Master hat, so ist er es doch, mit dem sie sich relativ offen über all die Dinge austauschen kann, die sie beschäftigen.

Aufgrund der Perspektive ist man als Leser sehr nah bei Mirasol, bekommt ihre Selbstzweifel mit, ihre Unwissenheit und all die großen und kleinen Unannehmlichkeiten, die mit ihrer neuen Position einhergehen. Ich mag es immer wieder, dass Robin McKinley bei solchen Beschreibungen ein Händchen für Details beweist, die meinem Gefühl nach sonst oft untergehen. So bemerkt Mirasol an einer Stelle an, dass sie mit allen möglichen Problemen gerechnet hat, aber nicht mit den Rückenschmerzen, die die Arbeit als Chalice mit sich bringen. Als Waldhüterin ist sie nicht gerade untrainiert, aber das lange Stehen während der Sitzungen – da sich die Chalice bei der Ausübung ihrer Pflichten traditionsgemäß nicht hinsetzen darf – beansprucht ihren Körper ganz anders als ihre frühere Arbeit.

Und dann gibt es noch all die Szenen rund um die Bienen, den Gewinn von Honig und die Beschreibungen des unterschiedlichen Geschmacks der verschiedenen Honigsorten. Mirasol ist die erste Chalice, deren Magie mit Honig verbunden ist, und dementsprechend wichtig sind die Bienen und die Imkerei für sie. Dabei ist ihr schon bewusst, dass kaum jemand sich in der Nähe ihrer Bienen wohlfühlt und die meisten Menschen Angst vor den Insekten haben. Doch für sie bedeuten die Bienen und ihr stetiges Summen Geborgenheit – und so ist es auch passend, dass die Chalice und ihre Bienen sich im Laufe der Zeit ungewöhnlich entwickeln und eine immer größere Rolle bei der Erhaltung ihres Landes einnehmen.

Da eigentlich relativ wenig in dem Roman passiert und die Geschichte von den kleinen Momenten und Entwicklungen lebt, ist es schwierig mehr über die Handlung zu schreiben. Aber wer von euch sich mal auf eine etwas andere Fantasygeschichte einlassen mag, sollte einen Versuch mit „Chalice“ wagen.

4 Kommentare

  1. Ohhhhh, ich freu mich so, dass du diesen Roman rezensiert hast. Mir wurde der schon vor ein paar Jahren als "ein bisschen ähnlich wie McKillip" empfohlen und seither habe ich ihn auf meiner Wunschliste. Da ich nur recht wenig darüber gefunden habe, war ich mir die ganze Zeit nicht sicher, ob ich den nun kaufen soll oder nicht.
    Aber was du darüber schreibst, klingt gut und ganz nach meinem Geschmack. Ich schätze, dafür werde ich nun den Rest meines Weihnachtsgutscheins investieren. 🙂

  2. Und mich freut es, dass sich jemand für den Roman interessiert! 🙂 Es ist zu lange her, dass ich McKillip gelesen habe, um da einen Vergleich zu ziehen. Aber ich denke, dass du kein Problem mit der langsamen Erzählweise und der relativ wenig aufregenden Handlung haben wirst und dafür die Details und Figuren genießen kannst. 🙂

  3. Dann bin ich mal gespannt, wann du Zeit und Lust hast und wie es dir gefällt. Es ist auf jeden Fall ein Buch, das man gut pausieren lassen kann und somit Stressphasen-geeignet. 😉

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