Auf „Eisenkinder“ bin ich über JED aufmerksam geworden, die mir das Gefühl gegeben hatte, dass dieses Buch einen ganz guten Eindruck in die Gedankenwelt derjenigen bietet, die in der DDR aufgewachsen sind und die beim Fall der Mauer noch am Anfang ihres beruflichen Lebens standen. Als jemand, der in einem kleinen Ort in NRW aufgewachsen ist, habe ich zwar damals die Berichterstattung im Fernsehen verfolgt, aber nicht sehr viel von der „Wiedervereinung“ mitbekommen. Ich habe mich über die Dinge aufgeregt, die man über die Treuhand erfahren hat, und in den ersten Jahren mit meinem Vater seine Verwandschaft in Leipzig besucht und wenig später während des Studiums Freundinnen gefunden, die aus Ostdeutschland kamen, aber Ost- oder Westherkunft war zwischen uns damals kein Thema. Es gab zu viele aktuellere Dinge, die uns damals beschäftigten – oder zumindest ging es mir so.
Nach dem Lesen von „Eisenkindern“ finde ich vieles befremdlich. Obwohl ich einige Sachen nachvollziehbar finde und in dem Alter zum Teil selbst das gleiche Gefühl von Hilflosigkeit und Verlorenheit verspürt habe, fallen mir vor allem die Unterschiede im Umgang mit diesen Gefühlen auf. Dabei sind es wieder einmal die – für die Autorin – Alltäglichkeiten, die mich irritiert haben, wie etwa die Selbstverständlichkeit, mit der Sabine Rennefanz als Schülerin die politisch erwünschten, aber unwahren Antworten bei einem wichtigen Gespräch mit einer Schuldirektorin gab. Diese … hm … Diplomatie hätte ich in dem Alter vermutlich nicht aufgebracht – vielleicht auch, weil es einfach in meinem Umfeld so nicht notwendig gewesen ist. So eine – recht nebensächlich geschilderte – Szene fand ich im Nachhinein deutlich beeindruckender als die lang und breit beschriebenen Entwicklungsphasen der Autorin.
Auf der anderen Seite sind es oft nicht die Ost-West-Unterschiede, die mich irritieren, sondern Charaktereigenschaften, die Sabine Rennefanz in dieser Biografie offenlegt. Das wiederum hat es mir sehr schwer gemacht, mich auf die Passagen zu konzentrieren, die mehr über den Wechsel von der DDR in einen – mit der Situation überforderten – deutschen Gesamtstaat erzählten. Trotzdem fand ich es ganz faszinierend, von der Verunsicherung der Autorin zu lesen. Mir war zwar bewusst, dass ein solch „kontrolliertes“ Leben wie in der DDR auch einiges an Sicherheit bietet – so betont Sabine Rennefanz immer wieder, dass ihr Leben allein schon durch die Aufnahme an einer Elite-Schule auf Jahre gesichert und festgelegt gewesen wäre. Dass daraus aber auch folgte, dass eine so chaotische und ungewisse Phase wie die Jahre der Wende Ängste und Überforderung hervorrufen kann, habe ich mir vorher nicht bewusst gemacht.
Dies wiederum hat wohl bei ihr (und anscheinend einer Menge anderer Jugendlicher) zu der Zeit dazu geführt, dass sie auf extreme Gruppierungen reingefallen ist. Bei Sabine Rennefanz war es die Religion, bei anderen – wie sie immer wieder einfließen lässt – rechtsradikale Gruppen. Aber ich fürchte, dass hier dann meine „West-Arroganz“ durchkommt, denn ich kann noch verstehen, dass man anfangs neugierig ist oder aus Protest mit radikalem Gedankengut kokettiert (und da ist es mir egal, ob religiös oder politisch oder sonst etwas) wird – ähnliches habe ich als Jugendliche genauso in meinem „Westumfeld“ erlebt. Aber mir fehlt das Verständnis für … hm … ein längeres Aufrechterhalten eines solchen Lebens. Letztendlich gibt es eben Erfahrungen, die ich nie werde nachvollziehen können, nicht nur weil sich eine Ost- und eine Westjugend doch in einigen gravierenden Dingen voneinander unterschieden haben.
Vielleicht liegt es an der persönlichen Perspektive der Autorin, vielleicht hätte mich das Buch mit weniger Fragen zurückgelassen, wenn „Eisenkinder“ ein neutrales Sachbuch und weniger ein biografischer Rückblick gewesen wäre oder wenn Sabine Rennefanz auch die Erfahrungen anderer Personen gesammelt und mit ihren eigenen verglichen hätte. Bei vielen Punkten frage ich mich, ob das ein „Ostjugendlicher“ genauso empfunden hat, der vielleicht in einem kritischeren Elternhaus oder in einer größeren Stadt aufgewachsen ist. Oder ob die Autorin vielleicht doch den Einfluss ihrer Eltern unterschätzt, denn am Ende erzählt sie von ihrem kleinen Bruder, der eine Zeitlang mit der rechten Szenen liebäugelte, weil die ihm damals so cool vorkam, und der von der Mutter anscheinend problemlos davon abgebracht werden konnte.
Ich hätte gern mehr darüber erfahren, gerade weil Sabine Rennefanz in ihrem Buch immer wieder auf die Zwickauer Terrorzelle zurückkommt. Auch fehlte mir bei vielen Passagen eine „objektivere“ Sichtweise auf das Geschehen: Die von Sabine Rennefanz geschilderten Vorkommnisse sind lange genug her, um auch mal kritischer mit den eigenen Gedanken und Gefühlen umgehen zu können. Immer scheint sie von sich auf andere zu schließen, andere Erlebnisse und Reaktionen auf die Wende als ihre eigenen scheint es nicht gegeben zu haben. Ebenso fehlt mir zumindest ein Absatz zum Thema Stasi/Bespitzelung oder ähnliches. Für Sabine Rennefanz scheint das nie ein Thema gewesen zu sein, aber selbst sie als „unbelastete“ Jugendliche oder später als eher „verstörte“ Studentin nach dem Mauerfall muss sich doch irgendwann einmal Gedanken darüber gemacht haben. In ihrem Buch gibt es keine Auseinandersetzung mit den negativen Seiten der DDR.
Doch auch wenn ich nach dem Lesen von „Eisenkindern“ unbefriedigt zurückbleibe, so hat das Buch doch dafür gesorgt, dass ich mich mit einer Freundin über diese Zeit (und das Buch) ausgetauscht habe, was ich sehr interessant fand.
Wer jetzt gerne einmal eine „Ostmeinung“ zu dem Buch lesen würde, der findet HIER JEDs Meinung zu dem Titel.
Spannend, wie unterschiedlich das Buch wahrgenommen wird, gerade aus Deiner "West"perspektive.
Ich glaube, DEN Ostjugendlichen gibt es ohnehin nicht, nur Gemeinsamkeiten, die sehr "typisch" sind.
Und gerade die habe ich bei Rennefatz wiedergefunden.
LG,
JED
Ich denke, dass ich einfach zu viele Lücken habe, wenn es um das alltägliche Leben in der DDR geht, um dieses Buch so beurteilen zu können wie du. Und die Verallgemeinerungen der Autorin haben mich stellenweise richtig geärgert.
Den Ostjugendlichen gibt es vermutlich ebenso wenig wie den Westjugendlichen, aber gerade deshalb hätte ich mir eine objektivere Heransgehensweise von Sabine Rennefanz gewünscht. Meine Freundin zum Beispiel hat mir erzählt, dass sie sich auch vollkommen neu orientieren musste, dass sie aber auch erschrocken war über die Dinge, die nach der Wende über die DDR-Regierung zum Vorschein kamen.
Mir war die Autorin in ihren Schlussfolgerungen zum Teil auch zu restriktiv und verallgemeinernd. Einfaches Schwarz und Weiß, Gut und Böse gab es auch in der DDR nicht, wie sie in ihrem Roman ja auch selbst darlegt, wenn sie z.B. von den Anpassungen bei Aufnahmeprüfungen berichtet – sie passte sich an die Gegebenheiten (Wahrheiten) notwendigerweise an ("man musste eine Rolle spielen"). Je älter man wurde, desto mehr traten sie zu Tage, einigen – je nach Wohnort und gesellschaftl. Umfeld – wurden sie deutlich früher bewusst. Ich gehörte nicht zu den letzteren, aufgewachsen und groß geworden einem Dorf nahm ich vieles als Teil des Lebens hin. Das änderte sich erst später, als ich in der Abistufe war bzw. ein paar Semester studierte.
Auch finde ich nicht, dass meine Eltern und ich ein falsches Leben geführt hatten, das würde alles negieren, was sie nach ihrer Flucht bzw. dem Krieg aufgebaut, meinen Geschwistern und mir vermittelt haben, das würde mich als heutige Person negieren. Vielleicht hat die Autorin es – nur?- damals so empfunden, aber so wirken ihre Sätze nicht. Empfindet sie es wirklich heute so? Durch das Wörtchen "wir" klingt es zudem – trotz "meine Etern" und "ich" im Nebensatz – so, als würde es nicht nur für sie gelten, sondern generell.
Das Buch enthält Vieles, das anzusprechen wichtig ist. Ich kann problemlos nachvollziehen, dass sich die Autorin – und nicht nur sie – orientierungslos gefühlt hat, weil gerade in ihrem Alter, kurz vor dem Abi, kurz vor dem Start in ein sozial gesichertes Berufsleben (so jedenfalls wurde es präsentiert u. empfunden), alles in Fluss geriet und Lehrer und Eltern kaum Hilfe leisten konnten. Selbst mit abgeschlossenem Abi musste man damit rechnen, dass dies in einigen der Alt-Bundesländer nicht anerkannt wurde. Vielmehr wurde sogar vermutet, dass die Abinoten geschönt, entsprechende Leistungen gar nicht vom Schüler erbracht wurden (reizend, die Kammmschererei … ).
Nur, es gab eben auch neue Möglichkeiten, neue Wege, Optionen. Ich habe mich z.b. mit dem Arbeitsamt nicht nur vor Ort in MeckPomm, sondern auch mit denen in Niedersachsen und NRW in Verbindung gesetzt, denn dort kannte man zumindest die Strukturen in den Altbundesländern. Eine Verwandte konnte jetzt, wie sie erkannte, ihren Berufswunsch erfüllen und wechselte vollständig in eine andere Richtung nach Umschulung.
Die Vermengung persönlicher Erfahrungen der Autorin mit ihren Rückschlüssen auf Dritte (ich erinnere einen hingeworfenen Satz, dass die Menschen dachten, mit den (alten DDR-)Möbeln zugleich auch ihre Vergangenheit auszuräumen, diese Verallgemeinerung empfinde ich als anmaßend) finde ich problematisch, weil diese Vermischung im Buch nicht immer sichtbar wird. Es ist subjektiv und ich erkenne das aufgrund meiner eigenen subjektiven Erfahrungen, die naturgemäß andere Leser nicht teilen. 😉 Ich fürchte etwas, dass Leser dieses Buch als "einfache Wahrheit" akzeptieren, besonders jüngere Leser, die nur das wiedervereinte Deutschland kennen, falls es keine Begleitung oder Einführung o.ä. in die Lektüre gibt…
Danke, Natira, das hast du wunderbar auf den Punkt gebracht! Über den Satz mit den Möbeln z.B. war ich auch gestolpert, weil mich solche Verallgemeinerungen grundsätzlich stören. (Und das nicht nur bei Büchern und bei schwerwiegenden Themen, sondern auch sonst sehr oft. 😉 ) Umso wichtiger finde ich es solch ein Buch etwas differenzierter zu schreiben und eben nicht immer von sich auf andere zu schließen. Dein Beispiel und das deiner Verwandten zeigt ja, dass man auch anders auf die Wiedervereinigung reagieren und diese Veränderung auch als Chance nutzen konnte. Dass so eine gravierende Systemänderung ein Schock ist, ist meiner Meinung nach keine Frage, und dass da viel schief gelaufen ist auch nicht, aber mit so vielen Jahren Abstand wäre ein etwas gereifterer Rückblick schön (und für mich hilfreicher) gewesen.