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Ebba D. Drolshagen: Der freundliche Feind – Wehrmachtssoldaten im besetzten Europa

Ich hatte schon bei dem „Vorauswahl-Beitrag“ für die Sachbuch-Challenge geschrieben, dass ich eigentlich etwas übersättigt bin, wenn es um das Thema „2. Weltkrieg“ geht. Aber wenn ich dann über einen Titel stolpere, der mir den Eindruck vermittelt, dass dort eine Seite des Kriegs vorgestellt wird, die ich noch nicht so gut kenne, werde ich doch wieder neugierig. So habe ich über „Eine Handbreit Hoffnung“ nicht nur das Schicksal einer jüdischen Familie in Polen verfolgt, sondern auch wieder mehr über das Verhältnis Polen-Russland-Ukraine gelernt. „Der freundliche Feind“ von Ebba D. Drolshagen hingegen beschäftigt sich mit Wehrmachtsoldaten, die als Besatzer jahrelang – relativ friedlich – außerhalb von Deutschland gelebt haben, und dem Verhältnis zwischen diesen Soldaten und der einheimischen Bevölkerung.

Vor allem konzentriert sich die Autorin dabei auf die Soldaten, die in Norwegen und Frankreich stationiert waren, und erklärt erst einmal die unterschiedlichen Ausgangssituationen in den beiden Ländern. Während Frankreich den Vormarsch der Deutschen genau verfolgen konnte und mit dem Einmarsch der Soldaten rechnen musste, wurden die Norweger über Nacht von der Inbesitznahme überrascht. So hatten auf der einen Seite die Franzosen viel Zeit, um sich die Gräueltaten auszumalen, die die Deutschen nach der Invasion an ihnen ausüben würden, während die Norweger gar nicht fassen konnten, dass sie – trotz erklärter Neutralität – nun unter deutscher Besatzung  standen.

Auch für die deutschen Soldaten brachte diese Besatzungszeit ungewohnte Herausforderungen mit sich. Auf der einen Seite mussten sie jahrelang in einer engen und von oben erzwungenen Kameradschaft leben, die keine Rücksicht auf individuelle Befindlichkeiten nahm, auf der anderen Seite durften sie nur in Uniform aus den Kasernen gehen und bekamen so natürlich die Feindschaft der Einheimischen zu spüren. Dazu kam bei den Soldaten noch das Wissen, dass sie – im Vergleich zu ihren Familien, die in Deutschland von den Alliierten bombardiert wurden, und den Soldaten an den Fronten – in einer sehr friedlichen und sicheren Lage den Krieg erlebten.

Nach dem ersten Schock standen die Einheimischen vor der Frage, wie sie mit den (aufgrund von Befehlen und Propagandaeinflüssen) oft recht freundlich agierenden Soldaten umgehen sollten. Gerade diejenigen, die kaum Kampfhandlungen erlebt hatten, schienen sich zu benehmen, als ob sie im Urlaub wären. So schwankten die Besetzten zwischen der Ablehnung gegenüber den Invasoren und der Höflichkeit gegenüber einem freundlichen Fremden, der nach dem Weg fragt oder für sich und seine Freunde nur ein Eis kaufen möchte – wobei natürlich das Zeigen der Ablehnung überwog, was zum Teil wiederum seltsame Maßnahmen von Seiten der einheimischen Obrigkeit provozierte, die versuchen musste, mit den Besatzern auszukommen. Sehr schön finde ich es auch, wie die Autorin anhand von Zitaten aus Tagebucheinträgen, Briefen und Erinnerungen von Zeitzeugen darstellt, wie unterschiedlich Verhalten oft ausgelegt wurde. So leisteten z. B. Ladenbesitzer Widerstand, indem sie den Deutschen keine Waren verkauften, sondern nur – wie es die Höflichkeit gegenüber Fremden gebot – eine Tasse Kaffee anboten. Das führte wiederum dazu, dass sich einige deutsche Soldaten in solchen Situationen überraschend willkommen fühlten, boten ihnen die Norweger doch trotz ihres Mangels an Waren bei jedem Besuch eine Tasse Kaffee an.

Natürlich verschweigt die Autorin nicht, dass die Deutschen – bei aller befohlenen „Freundlichkeit“ – als Invasoren im Land waren, dass Druck auf die Bevölkerung ausgeübt wurde, dass besetzt und geplündert wurde und dass die Einheimischen in Angst vor den fremden Soldaten lebten. Aber je länger man zusammenlebte und je enger man zusammenarbeitete – wie es oft besonders in ländlichen Regionen der Fall war -, desto häufiger haben beide Seiten nicht mehr den „Feind“, sondern auch den Menschen gesehen. Außerdem gab es natürlich – neben denjenigen die mehr oder weniger aktiv Widerstand leisteten – auch diejenigen, die die Besatzungszeit durch die Deutschen nutzten, um gute Geschäfte zu machen, ihre Feinde und Konkurrenten zu denunzieren oder auf andere Weise von den veränderten Machtverhältnissen zu profitieren.

Ebba D. Drolshagen erzählt im letzten Kapitel auch, wie sie als Deutsch-Norwegerin überhaupt auf das Thema gekommen ist – und wie sehr es sie anfangs irritiert hat, als sie sich Erzählungen von Norwegern und Deutschen angehört hat, die von der Kriegszeit erzählten. Denn während die Norweger von der beängstigenden Atmosphäre, von dem Hunger, dem Mangel und dem Zwang berichteten, vermittelten die ehemaligen deutschen Soldaten das Gefühl, als ob sie Norwegen als zweite Heimat empfunden und dort viele einheimische Freunde gefunden hätten. Erst mit viel Geduld und der Einsichtnahme in einige Dokumente aus dieser Zeit kam sie der Realität etwas näher, die eben nicht schwarz-weiß war, sondern aus unendlich vielen Grauschattierungen bestand – und an die man scih im Laufe der Jahre auf beiden Seiten nur noch sehr selektiv erinnerte.

Ich fand es spannend, mal ein Sachbuch zu lesen, das sich nicht in erster Linie mit der Vernichtung der Juden, den Ereignissen an der Front, den großen Schlachten und den unzähligen Verbrechen der Nazis beschäftigte (wobei ich betonen möchte, dass diese Aspekte in dem Buch nicht verschwiegen werden). Über den normalen Alltag in den besetzten Gebieten habe ich mir vorher kaum Gedanken gemacht, wenn ich von dem einen oder anderen Roman absehe, der eine sehr persönliche – und oft auch dramatische – Sicht auf das Thema präsentiert hat. Auch mochte ich den Versuch der Autorin, so neutral wie möglich die Erinnerungen und Ereignisse wiederzugeben. Sie erwähnt zwar, dass erschreckend viele der damals sehr jungen Deutschen auch im hohen Alter noch eine von der Nazi-Propaganda geprägte Sprache (und Gesinnung) zeigten, wenn sie von ihrer Wehrmachtszeit sprachen, betont aber auch, wie sehr das kollektive Schweigen der Besiegten wohl die objektive Auseinandersetzung erschwert hat.

Auf beiden Seiten zeigt die Autorin eine gewissen Schizophrenie auf, wenn es um die Taten aller Kriegsparteien geht sowie um die Wahrnehmung des individuellen Empfindens und der persönlichen Haltung – vor allem in der Rückschau und mit dem Wissen um den Ausgang des Krieges und die Details um die jeweiligen Verbrechen. So endet ihr Buch auch nicht mit dem Kriegsende, sondern geht auch noch kurz darauf ein, wie in den jeweiligen Ländern in den Jahren nach dem Krieg mit den Landsleuten umgegangen wurde, die – aus dem einen oder anderen Grund – den Besatzern vielleicht näher standen (oder von denen dies nur behauptet wurde) und wie dort die Ereignisse dieser Besatzungsjahre in den Geschichtsbüchern festgehalten wurden. Schließlich konzentrieren sich diese Bücher nicht auf die individuellen Erfahrungen der verschiedenen Beteiligten, sondern auf die großen politischen Entscheidungen, die entscheidenden Schlachten und die völkerumfassenden Auswirkungen des Krieges.

Sehr schade finde ich, dass die Quellen und Anmerkungen in einem Anhang zusammengefasst wurden, statt als Fußnoten auf derselben Seite aufgeführt zu werden. So musste ich immer viel blättern, obwohl die gesuchte Information oft nur aus einer kurzen (aber interessanten) Quellenangabe bestand, die ich bei einer anderen Anordnung mit einem kurzem Seitenblick hätte erfassen können, ohne dafür im Lesefluss unterbrochen zu werden.