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Joshua Palmatier/Patricia Bray (Hrsg.): Temporally Out of Order (Anthologie)

In der von Joshua Palmatier und Patricia Bray herausgegebenen Anthologie drehen sich alle Geschichten um das Thema „Temporally Out of Order“. Die Idee kam Joshua Palmatier, nachdem er an einem Flughafen eine Telefonzelle mit diesem schönen Tippfehler beschriftet gesehen hatte und sich überlegte, was wäre, wenn dieses Telefon wirklich „temporally“ und nicht „temporary“ out of order wäre.

Seanan McGuire: Reading Lists
Seanan McGuires Geschichte „Reading Lists“ dreht sich um die (anfangs) siebenundvierzigjährige Megan Halprin, die zum ersten Mal in ihrem Leben im Besitz eines Bibliotheksausweises ist. Auf der Suche nach einem Buch kommt sie in einen Raum, an dessen Tür ein Schild mit „Temporally Out of Order“ steht. Die dort arbeitende Bibliothekarin stellt sich bei jedem von Megans Besuchen als überaus hilfreich heraus, obwohl Megan jedes Mal ein Buch ausleihen will, das schon vor Jahren auf ihren Ausweis verbucht wurde und lange überfällig ist. Ich mochte es sehr, wie man im Laufe dieser Kurzgeschichte erfährt, wie sehr die verschiedenen Bibliotheksbücher Megans Leben verändern und in welche (zeitliche) Richtung diese Veränderungen verlaufen. 😉

Elektra Hammond: Salamander Bites
Die Geschichte von Elektra Hammond führt den Leser in die Küche eines kleinen Restaurants, das erst vor einem Jahr eröffnet wurde. Die Geschichte beginnt an einem Abend, als Steve, der Chef des „With Wine“, sich Gedanken darüber macht, dass er wohl nie genug Geld mit dem Restaurant machen wird, um weitere Köche anzustellen. Er ist so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er beim Kochen gravierende Fehler macht – trotzdem kommen perfekte Gerichte aus seinem „Salamander“ (ein Ofen mit starker Oberhitze). So hervorragende Speisen, dass Steve den Vergleich mit seinem berühmten ehemaligen Chef nicht zu scheuen braucht, auch wenn er keine Ahnung hat, wieso sein Essen auf einmal so gelobt wird. „Salamander Bites“ ist eine bitterböse Geschichte, die mir beim Lesen gut gefiel. Allerdings muss ich zugeben, dass sie keinen besonders langanhaltenden Eindruck bei mir hinterlassen hat.

David B. Coe: Black and White
Protagonistin von „Black and White“ ist Jessie, die nach dem Tod ihres Großvaters sein Büro aufräumt. Dabei fällt ihr auf, dass in seinem Foto-Archiv einige Bilder fehlen. Beim Versuch, diese Fotos mit Hilfe der alten Kamera ihres Großvaters zu rekonstruieren, stolpert Jessie über ein unschönes Stück Familiengeschichte. Ich habe den Anfang von „Black and White“ geliebt, weil Jessies Erinnerungen an ihren Großvater und an die Zeit, als er ihr beibrachte, wie man fotografiert, so wunderbar beschrieben wurden. Und gerade weil dieser Anfang so schön ist, trifft es einen umso mehr, als man gemeinsam mit Jessie eine Seite an ihren Großeltern entdeckt, die die junge Frau lieber nicht enthüllt hätte. So bleibt am Ende der Geschichte die Frage im Raum stehen, wie man damit umgehen soll, dass die eigene Familie nicht immer auf der richtigen Seite gestanden hat und dass man sie trotzdem liebt. Das war gut geschrieben und ich mochte, dass der Autor eine Kamera als „temporally out of order“-Element genutzt hat.

Chuck Rothman: Dinosaur Stew
Diese Geschichte beginnt mit einer Mutter, die zu ihrer großen Überraschung von ihren Söhnen für ihr Essen gelobt wird und wenig später einen Dinosaurier-Zahn darin findet. Doch natürlich bleibt es nicht bei einem Zahn, und die weiteren Handlungsentwicklungen bringen die eine oder andere Überraschung mit sich. Mir hat die Geschichte großen Spaß gemacht, gerade weil ich mir nach dem Anfang mit dem Essen nicht so viel davon erwarte hatte. Am Ende hatte ich mich aber wunderbar amüsiert – nicht nur über die Slapstick-Szene, die zwei unbeholfene Männer und ein Kind in Dinosaurier-Verkleidung beinhaltete, sondern auch über den Sinneswandel der Protagonistin.

Faith Hunter: Not All Is As It Seems
Ich weiß, dass ich von Faith Hunter schon mehrere Geschichten gelesen habe, aber ich kann mir immer nicht merken, zu welchem „Universum“ die gelesenen Kurzgeschichten gehören. Diese hier ist „A Story from the World of Jane Yellowrock“, die Erzählerin Molly ist Jane Yellowrocks beste Freundin, und sie muss zu Beginn der Handlung herausfinden, was sie mit den beiden Vampiren anstellt, die vor ihrer Türschwelle stehen. Am Ende führen die beiden unerwarteten Besucher zu einer Geschichte voller berührender Momente, Überraschungen, einer ungewöhnlichen Teekanne und einem Wiedersehen zwischen sehr alten Freunden. Mir gefiel es sehr, dass dieses Mal die Autorin bei dem „Zeitreise“-Element einen ganz anderen Ansatz hatte als idie vorangegangenen Kurzgeschichten, und ich habe gerade große Lust, mehr über Molly (bzw. ihre Freundin Jane) zu lesen.

Edmund R. Schubert: Batting Out of Order
Ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich nicht weiß, was ich von der Geschichte halten soll. Protagonist ist der fünfzehnjährige Jerome, der in einer Zukunft lebt, in der Baseballkarten Hologramme erzeugen. Eines dieser Hologramme zeigt Jerome eine Zukunft, in der er nach seiner ersten Saison als Profispieler so schwer verletzt wird, dass seine Karriere endet. Theoretisch könnte sich der Junge nun dafür entscheiden, nie wieder Baseball zu spielen, doch aufgrund seiner familiären Umstände zieht er trotzdem eine Karriere als Profi in Betracht. Obwohl mich das Ende der Geschichte berührte, macht es mich doch wütend, dass ein Leben mit Behinderung sowohl von dem Protagonisten als auch von seiner Familie als wertlos empfunden wird. Außerdem hat es mich sehr aufgebracht, dass Jeromes Selbstaufopferung so heroisiert wird, obwohl es so viele andere Wege gäbe, um seiner Familie zu helfen. Doch natürlich wird keiner dieser Wege in dieser Geschichte in Betracht gezogen, es gibt nicht mal eine Andeutung, dass Jerome überhaupt mehr als einen Weg haben könnte, obwohl die Ausgangssituation der Handlung in meinen Augen nicht mal ein Problem ist. Je länger ich darüber nachdenke, desto frustrierter bin ich mit „Batting Out of Order“.

Steve Ruskin: Grand Tour
Eine wirklich hübsche Geschichte über einen Maler, dessen verstorbene Frau ihn darum gebeten hatte, dass er nach ihrem Tod 1. ein Medium aufsucht und 2. die gemeinsam geplante Grand Tour nach Italien unternehmen würde. Auch wenn man das Verhältnis der beiden zueinander nur in seinen Erinnungen mitbekam, so fand ich es schön, von ihrer Zuneigung zu lesen. Ebenso schön fand ich die „Unterstützung“, die die Verstorbene ihrem Mann mit auf den Weg gegeben hat und in welcher Form sie sich manifestierte. Außerdem musste ich sehr über „Foxx’s Techniques of Michelangelo“ schmunzeln – das wäre ein Bildband, den ich auch gern einmal studieren würde.

Sofie Bird: „A“ is for Alacrity, Astronauts, and Grief
Eine Geschichte über eine Schwester im Koma, einen liebevollen Vater, eine toxische Mutter und einen Neffen, den die Protagonistin beschützen will. Ich mochte die Idee mit der Schreibmaschine, die kryptische Nachrichten zu schreiben scheint, wenn man auf ihr tippt, und die kleinen Andeutungen über die Zukunft der Familie. Auf der anderen Seite denke ich nicht, dass mir diese Geschichte lange in Erinnerung bleiben wird, obwohl sie bei mir den einen oder anderen Nerv getroffen hat.

Laura Resnick: The Spiel of the Glocken
Der Protagonist erlebt einen aufregenden Morgen, inklusive Büffelherde, Mammut, dem Aufmarsch einer Armee und der Annäherung an eine Barista, die er schon seit Wochen näher kennenlernen will. Eigentlich eine nette Geschichte, aber für mich waren die darin eingestreuten deutschen Brocken etwas irritierend, weil das für mich keine Atmosphäre schafft, sondern eher das Gefühl gibt, dass da jemande seine Vokabeln noch einmal hätte nachschlagen müssen. Ebenso verwirrte mich ein vom Münchner Marienplatz inspiriertes Glockenspiel, das den Rattenfänger von Hameln zeigt, ein Gänseliesel-Brunnen und das jährliche Oktoberfest – ich bin vermutlich einfach zu norddeutsch, um damit leben zu können, dass all das in einen Topf geworfen wird. 😉

Amy Griswold: The Passing Bell
Die Geschichte mochte ich wirklich gern! Dieses Mal sind es Kirchenglocken, die den Tod eines Menschen melden, bevor dieser wirklich gestorben ist – was natürlich dazu führt, dass die Bewohner des Ortes ihre eigenen Mittel finden, um dafür zu sorgen, dass diese Todesankündigung auch die passende Person trifft. In diesem Fall ist die „passende Person“ ein durchreisender Seefahrer, der am Ende eine angemessene Lösung für die verfluchten Glocken findet. Ich mochte die Erzählstimme, die Grundidee und das Ende – für mich eine rundum stimmige Geschichte, bei der ich trotz der unheimlichen Elemente mehr als einmal beim Lesen geschmunzelt habe.

Laura Anne Gilman: Destination Ahead
In Laura Ann Gilmans Geschichte „Destination Ahead“ ist das Gerät, das „temporally out of order“ ist, das GPS von Shan und Jack. So finden sich die beiden gemeinsam mit ihrer achtjährigen Tochter am Ende ihrer Fahrt zwar beim Haus der Schwiegermutter, auch wenn sie nicht am vereinbarten Tag dort ankommen. Ich mochte die Geschichte, obwohl ich die Reaktion der Hausherrin auf ihre Besucher aus der Zukunft nicht ganz stimmig fand, aber ein paartherapierendes GPS ist eine wirklich nette Idee für so eine Anthologie.

Susan Jett: Where There’s Smoke
Ich muss gestehen, dass ich bei dieser Anthologie zum ersten Mal ernsthaft überlege, was die Herausgeber dazu bewogen hat, die Geschichten in genau dieser Anordnung zu veröffentlichen. In dieser Geschichte ist es ein paartherapierender Rauchmelder, dessen Zeitgefühl nicht ganz korrekt zu sein scheint und der damit das Leben (und die Beziehung) von Jack und Neil rettet. Nett und unterhaltsam, aber mir vom Grundthema her etwas zu nah an der vorhergehenden Geschichte, um sie wirklich genießen zu können.

Gini Koch: Alien Time Warp
Diese Geschichte spielt in der Welt der „Alien/Katherine (Kitty) Katt“-Serie der Autorin, was dazu geführt hat, dass ich zu Beginn – weil ich die Romane nicht kenne – Probleme hatte, die Erzählstimme und die Ereignisse zuzuordnen. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto selbstständiger fühlte sich das Ganze an, aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass man diese Geschichte nur dann so richtig schätzen kann, wenn man mit den dementsprechenden Hintergründe der Serie vertraut ist. Ich finde es ja immer faszinierend, dass manche Autoren es hervorragend hinbekommen, dass mich ihre Kurzgeschichten neugierig auf die Serien machen, in deren Welten sie spielen, und andere scheitern nicht nur daran, meine Neugier zu wecken, sondern scheinen ihre Kurzgeschichten auch nicht so schreiben zu können, dass sie ohne HIntergrundwissen funktionieren …

Chris Barili: Cell Service
In dieser Geschichte ist der Autor auf die ungewöhnliche Idee gekommen, gleich fünf veraltete Handys als „paartherapierende“ Geräte zu nehmen. Ich bin wirklich verwundert, wie viele Autoren in dieser Anthologie dieses Thema aufgreifen (und dass den Herausgebern gleich drei Geschichten mit diesem Aspekt nicht zu viel waren). Immerhin ist es sehr nett zu lesen, wie der Protagonist anhand der alten Geräte die wichtigsten Momente seiner zehnjährigen Ehe noch einmal erlebt und lernt, was er in der Vergangenheit hätte anders machen müssen, um seine Beziehung zu erhalten.

Stephen Leigh: Temporally Full
„Temporally Full“ wird aus der Sicht von Tom erzählt, der zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder in Cinncinati ist, um nach dem Tod seines Vaters dessen Haushalt aufzulösen. Tom hatte sich vor zwanzig Jahren von seinem Vater entfremdet und trotz all der bitteren Erinnerungen an seine Jugend bereut er es nun, dass er in all der Zeit nicht versucht hat, die Unstimmigkeiten mit seinem Vater zu klären. Ich mochte, dass dieses Mal ein Parkhaus „temporally out of order“ war, gerade angesichts der Tatsache, dass eine Corvette der letzte Anlass war, der das eh schon fragile Verhältnis zwischen Tom und seinem Vater zerstörte. Die Geschichte war überraschend berührend und ich habe sie wirklich gemocht.

Juliet E. McKenna: Notes and Queries
Eine nette und kurze Geschichte über eine musizierende Studentin, ungewöhnliche Banknoten und einen Bankautomaten, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Mehr als nett kann ich dazu eigentlich nicht sagen, aber ich habe die Geschichte gern gelesen und am Ende gehofft, dass sich alles so entwickelt, wie die Protagonistin Ellie es sich erträumt.

Jeremy Sim: Temporally Out of Odor – A Fragrant Fable
„Temporally Out of Odor“ ist eine wirklich ungewöhnliche Geschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird. Auf der einen Seite erlebt man aus der Sicht von Philip die Probleme mit einem Kunden, der nach einem Autounfall eine Nasenprothese benötigt, auf der anderen Seite lernt man Walter kennen, der nach einem Unfall ohne seine verstorbene Frau Ana weiterleben muss. Beide Charaktere habe ich nicht auf Anhieb als liebenswert empfunden, aber ich mochte sie am Ende sehr – ebenso wie die Idee, dass dieses Mal eine Nase(nprothese) das Objekt ist, das in einer anderen Zeitebene zu sein scheint. Das war nicht nur schön zu lesen, sondern auch eine angenehm überraschende Handlung zum Abschluss der Anthologie.