„The Ghost of Gosswater“ von Lucy Strange dreht sich um die zwölfjährige Lady Agatha Asquith of Gosswater, die am Morgen nach dem Tod ihres Vaters erfährt, dass dieser gar nicht mit ihr verwandt war und dass sie auf Veranlassung von Cousin Clarence – dem Erben des verstorbenen Earls – den Herrensitz verlassen und in Zukunft bei ihrem leiblichen Vater leben soll. Für Agatha bricht eine Welt zusammen, sie kann kaum glauben, dass der Gänsezüchter Thomas Walters wirklich ihr Vater sein soll und dass das Ganze keine Intrige von Clarence ist. Dazu kommt noch, dass niemand ihr erklärt, wieso sie die ersten Jahre ihres Lebens als Tochter des Earls auf dem Herrensitz verbracht hat, oder wer ihre Mutter war und wieso sie nicht von dieser aufgezogen wurde.
Ich muss gestehen, dass Agatha genau betrachtet einige nicht gerade sympathische Wesenszüge besitzt. Sie ist nicht nur ständig wütend, sondern auch rachsüchtig, materialistisch und häufig ignorant, aber auf der anderen Seite ist sie so einsam, so hilflos und trotzdem so entschlossen, auch in der schlimmsten Situation weiter Haltung zu zeigen, dass ich sie schnell ins Herz geschlossen habe. Vor allem aber will sie unbedingt die Wahrheit über ihre Herkunft herausfinden, auch weil dieses Wissen anscheinend mit dem Verschwinden des legendären weißen Opals von Gosswater Hall und mit dem Geist, der ihr in der Silvesternacht erschienen ist, zusammenhängt. Neben dem bösen und gierigen Cousin Clarence und einem unheimlichen Friedhofswärter gibt es in der Handlung natürlich noch einige nette Figuren, die Agatha in den Wochen nach dem Tod des Earls kennenlernt und die ihr dabei helfen, mehr über ihre Herkunft herauszufinden.
Mir hat diese Geschichte gut gefallen, ich habe mit Agatha mitgelitten und mir gewünscht, es würde endlich mal einer der Erwachsenen den Mund aufmachen und über die Vergangenheit reden, und ich habe mich gefreut, als sie mit Bryn Black einen gleichaltrigen Freund findet, der mit ihr kleine Abenteuer unternimmt. Außerdem kann man mich mit einer Mischung aus düsteren und unheimlichen Momenten und gemütlichen und häuslichen Szenen immer kriegen – ich mag das einfach. Ich muss allerdings zugeben, dass das Geheimnis rund um Agathas Herkunft nicht gerade undurchschaubar war, aber dafür stand die ganze Zeit die Frage im Raum, wie Agatha langfristig mit Cousin Clarence fertig werden würde. Dazu gab es so viele atmosphärische Beschreibungen und nette Momente rund um ihr neues Leben in dem kleinen Cottage, dass ich mich mit diesem Buch insgesamt wirklich gut unterhalten gefühlt habe.
Der Geisteranteil in „The Ghost of Gosswater“ ist allerdings deutlich weniger unheimlich als die ganzen Auseinandersetzungen mit Cousin Clarence oder einige der Konfrontationen mit dem Friedhofswärter Sexton Black. Wenn ihr also eine wirklich gruselige Geistergeschichte für Jugendliche sucht, dann solltet ihr eher zu „The Haunting of Aveline Jones“ greifen. Dieser Roman bietet dafür einen eher freundlichen Geist, ein einsames Mädchen im Lake Destrict im Jahr 1899, einen widerlichen Bösewicht, atmosphärische Landschaftsbeschreibungen und viele Szenen rund um die Suche nach der eigenen Identität und das Finden von Freunden und Familie. Für mich war das eine stimmige Mischung, und ich habe mir nach dem Lesen noch die beiden anderen bislang veröffentlichten Titel der Autorin („The Secret of Nightingale Wood“ und „Our Castle by the Sea“) auf die Merkliste gesetzt.