Schlagwort: Politik

Magid Magid: The Art of Disruption – A Manifesto for Real Change

Über Magid Magid bin ich gestolpert, als mir ein Zeitungsartikel über ihn in die Timeline gespült wurde, in dem auch dieses Buch erwähnt wurde. Magid Magid war von Mai 2018 bis Mai 2019 Oberbürgermeister von Sheffield (und somit der erste Oberbürgermeister somalischer Abstammung, der erste, der einer grünen Partei angehört, und auch noch der bislang jüngste Oberbürgermeister von Sheffield), und von Juli 2019 bis Januar 2020 war er Mitglied des EU-Parlaments, bis seine Mitgliedschaft durch den Brexit beendet wurde. „The Art of Disruption – A Manifesto for Real Change“ ist ein Aufruf, etwas zu verändern und die aktuellen Entwicklungen in der Politik nicht einfach hinzunehmen. Dabei ist das Buch in zehn Kapitel aufgeteilt, die sich an zehn „Geboten“ orientieren, die Magid Magid während seiner Amtszeit als Oberbürgermeister für einen Plakatentwurf eines örtlichen Musik-Festivals aufgeschrieben hatte.

Diese zehn Gebote lauten: Be Kind, Dont’t Be a Prick, Do Epic Shit, See the Good, Don’t Lose Hope, Do It Differently, Always Buy Your Round, Don’t Kiss a Tory, Tell Ya Ma You Love Her und You’ve Got This! Dabei erklärt Magid Magid erst einmal, was er mit jedem Punkt meint, und erzählt dazu verschiedene Begebenheiten aus seinem Leben, die zeigen sollen, wieso er dieses „Gebot“ für wichtig hält und wie er es auslegt. Vor allem aber geht es dem Autor darum, aufzuzeigen, dass jeder Mensch auch mit kleinen Dingen die Welt ein wenig verändern kann. Ihm ist bewusst, dass nicht jeder für große Politik gemacht ist, auch wenn er sich wünschen würde, dass mehr Menschen in die Politik gehen würden, für die das nicht selbstverständlich ist. Aber er fordert den Leser auf, sich darüber Gedanken zu machen, wie man auf seine Art und Weise seine Umgebung beeinflussen kann. „The Art of Disruption“ wird so zu einer gut zu lesenden Mischung aus Motivationsbuch und Biografie, auch wenn ich zugeben muss, dass ich für mich persönlich wenig Neues bzw. Nützliches daraus ziehen konnte und vor allem den biografischen Anteil spannend fand.

Aber dafür hat mir das Buch in den Tagen vor der diesjährigen US-Präsidentschaftswahl gutgetan, weil Magid Magid in seinen Texten so viel Hoffnung auf Veränderung mitschwingen lässt. Umso spannender war es dann, kurz nach dem Lesen von „The Art of Disruption“ zu sehen, dass viele der kleineren Dinge, die der Autor in seinen Texten erwähnt, wenn er über die Politik in Sheffield schreibt, in den USA dazu geführt haben, dass die Demokraten dank des „grassroot movement“ so viele Stimmen bekommen haben. Aber ich bin auch immer wieder beim Lesen über Passagen gestolpert, bei denen ich dachte, dass mir für so ein Verhalten die Naivität bzw. die Furchtlosigkeit fehlt – zwei Eigenschaften, die Magid Magid bislang erstaunlich weit gebracht haben. Außerdem macht es sich natürlich bemerkbar, dass seine politische Erfahrung auf dem System in Großbritannien basiert, und so habe ich mich immer wieder gefragt, wie bestimmte Elemente wohl in Deutschland gehandhabt werden, oder welche Schritte man wohl gehen müsste, um bestimmte Dinge hierzulande umsetzen zu können.

Insgesamt hat es mir gutgetan, „The Art of Disruption“ zu lesen, und ich fand es spannend, Magid Magid kennenzulernen und mehr über seinen Lebensweg zu erfahren. Außerdem kann ich definitiv sagen, dass er mich dazu gebracht hat, über einige Dinge noch etwas intensiver nachzudenken (und mal wieder etwas zum Thema Regionalpolitik zu recherchieren, denn mir wurde nach dem Lesen des Buches bewusst, dass ich da erstaunlich wenig informiert bin). Auf der anderen Seite gehören viele seiner „so kannst du dich engagieren“-Vorschläge zu den Dingen, die ich schon vor Jahren für mich verworfen habe, so dass ich nicht das Gefühl habe, dass das Buch mich persönlich ein Stück weitergebracht hätte auf der Suche nach einem Weg, etwas zu verändern.

Matthias Heine: Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht

Ebenso wie „exit Racism“ hatte ich „Verbrannte Wörter“ von Matthias Heine im vergangenen Herbst in der Bibliothek vorgemerkt und erst zum Jahresende zur Verfügung gestellt bekommen. Das Sachbuch beschäftigt sich – wie man dem Untertitel schon entnehmen kann – mit dem Einfluss der Nazis auf unsere heutige Sprache. In seiner Einleitung betont Matthias Heine, dass es seiner Erfahrung nach zwei Gruppen von Menschen gibt: Die, die sich sicher sind, dass es Naziwörter gibt, und die, die Existenz nationalsozialistisch geprägten Vokabulars bestreiten und fürchten, man wolle ihnen vorschreiben, wie sie zu reden hätten. Die Philologen aber, die während der Herrschaft der Nationalsozialisten ihrer Arbeit nachgingen, hegten keinerlei Zweifel daran, dass diese sich einer ganz eigenen Sprache und Ausdrucksweise bedienten. So verweist der Autor in diesem Buch auch regelmäßig auf Victor Klemperer, der nach der Machtergreifung der Nazis Belege für die „Sprache des Dritten Reichs“ sammelte, und andere Veröffentlichungen dieser Zeit, die sich mit der Veränderung der deutschen Sprache aufgrund des Einfluss der Nationalsozialisten beschäftigten.

Matthias Heine zeigt in diesem Vorwort auch auf, wie die Nationalsozialisten gezielt durch eigene Wörterbücher und die Lehre der nationalsozialistischen Ideologie und des dementsprechenden Vokabulars im Schulunterricht an einer Änderung der deutschen Sprache arbeiteten. So ist es natürlich nicht verwunderlich, dass diese Begriffe auch ihren Einzug in allgemeinere Wörterbücher wie den Brockhaus, den Duden oder Meyers Lexikon fanden (Letzteres war so von der Ideologie der Nazis durchzogen, dass es von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Bibliotheken entfernt und vernichtet wurde). Schon kurz nach dem Krieg wurden deshalb Schriften veröffentlicht, die aufzeigen sollten, wie sehr die deutsche Sprache von den Nationalsozialisten beeinflusst wurde und welche Wörter man nicht weiter nutzen sollte. In „Verbrannte Wörter“ beschäftigt sich Matthias Heine mit 87 Begriffen – von „Absetzbewegung“ bis „zersetzen“, die (teils zu Recht, teils zu Unrecht) mit den Nazis in Verbindung gebracht werden, erklärt die Herkunft der verschiedenen Wörter und beendet den jeweiligen Abschnitt dann mit einer Einschätzung darüber, ob man diesen Begriff heutzutage unbedenklich verwenden kann oder ihn besser (mit dem Wissen um die Hintergründe) aus seinem Vokabular streichen sollte.

Es gibt so einige Wörter in diesem Buch, die nicht zu meinem Wortschatz gehören und über die ich mir vorher nie Gedanken gemacht hätte, weil sie für sich genommen „unschuldig“ klingen. Ein Beispiel dafür ist der Begriff „alttestamentarisch“, den ich ohne Hintergrundwissen so verstanden hätte, wie er Anfang des 19. Jahrhunderts verwendet wurde, nämlich um auf etwas aus dem Alten Testament zu verweisen. Doch im Laufe der folgenden Jahrzehnte bekam dieses Wortes – mit Verweis auf die angeblich grausamen Inhalte des Alten Testaments – eine andere Bedeutung zugeschrieben, bis es während der Nazizeit gehäuft Verwendung fand, um gegen Juden zu hetzen. So schließt sich Matthias Heine in „Verbrannte Wörter“ der Deutschen Bibelgesellschaft an und empfielt stattdessen den Begriff „alttestamentlich“ zu verwenden, wenn man auf diesen Teil der Bibel verweisen möchte.

Schwierig fand ich an diesem Buch die Erwähnung verschiedener aktueller Ereignisse, die Matthias Heine in einige seinen Empfehlungen zur Verwendung der diversen Wörter einbaute. Natürlich hat der Autor recht damit, wenn er damit darauf verweist, dass in den letzten Jahren erschreckend viele Vorfälle bekannt wurden und Reden zu hören waren, die beweisen, dass das Gedankengut und die Sprache der Nazis immer noch in Deutschland aktiv sind. Aber wenn ich beim Lesen von „Verbrannte Wörter“, obwohl der Titel nicht einmal ein Jahr alt ist, Probleme habe, eine Anspielung einem (auf Lokalebene stattgefunden habenden) Ereignis oder einem bestimmten Vorfall zuzuordnen, dann hat diese so nichts in einer Veröffentlich zu suchen, die ein so wichtiges Thema behandelt und eigentlich langfristig lesbar sein müsste. In diesen Fällen hätte Matthias Heine vielleicht besser Beispiele genannt, die auf Bundesebene Aufsehen erregten, oder ganz auf diese Anspielungen verzichtet.

Insgesamt fand ich „Verbrannte Wörter“ sehr interessant, wenn auch nicht immer einfach zu lesen, weil man nun einmal keinen Titel über die Sprache der Nazis schreiben kann, ohne auf die Taten und die Propaganda dieser einzugehen. Bei einigen Einträgen war ich überrascht, dass Matthias Heine mit dem Hinweis endete, dass die Wörter eigentlich nur noch ironisch und mit dem Wissen um ihre ursprüngliche Bedeutung verwendet werden, weshalb ihr Gebrauch in Ordnung sei. Bei anderen Begriffen wiederum war ihre Verwendung während der Nazizeit ebenso offensichtlich wie die Tatsache, dass sich deshalb jede heutige Nutzung von vornherein verbietet. Hier und da bin ich über Begriffe gestolpert, bei denen ich die Verbindung zu den Nationalsozialisten nie hergestellt hätte. So hätte ich zum Beispiel nicht gedacht, dass das Wort „Eintopf“ erst durch die häufige Anwendung während des Zweiten Weltkriegs und die Einführung des „Eintopfsonntags“ so einen selbstverständlichen Platz in unserem Wortschatz eingenommen hat. Sehr viel wird sich durch das Lesen von „Verbrannte Wörter“ wohl nicht an meinem persönlichen Wortschatz ändern, aber ich habe das Gefühl, dass mich das Buch aufmerksamer gegenüber einigen Formulierungen gemacht hat und mir noch stärker deutlich wurde, wie sehr Sprache etwas über denjenigen verrät, der sie benutzt.

Tupoka Ogette: exit RACISM – rassismuskritisch denken lernen

Eigentlich hatte ich ja die Sachbuch-Challenge für dieses Jahr geplant, um mal meinen Sachbuch-SuB in Angriff zu nehmen, aber bevor ich das tun kann, musste ich erst einmal die aus der Bibliothek ausgeliehenen Bücher vor Ablauf der Ausleihzeit lesen. „exit RACISM“ von Tupoka Ogette hatte ich irgendwann im vergangenen Herbst vorgemerkt, und da so viele Menschen den Titel lesen wollten, hat es bis Ende Dezember gedauert, bis ich das Buch in die Finger bekam. Irgendwie finde ich es schön, dass sich so viele Personen mit diesem Thema auseinandersetzen. Denn auch wenn die meisten Menschen, die ich kenne, nicht bewusst rassistisch sind, sind wir doch alle mit einem allgemeinen Alltagsrassismus aufgewachsen, der es notwendig macht, dass wir immer wieder über unser Verhalten und unsere Vorurteile nachdenken.

Tupoka Ogette hat sich beim Schreiben von „exit RACISM“ an den von ihr durchgeführten Anti-Rassismus-Seminaren orientiert, was das Buch zu einer sehr guten Lektüre für Personen macht, die gerade anfangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Dabei startet sie mit einer Erklärung zum „Happyland“ – ein Begriff, den ein Seminarteilnehmer von ihr geprägt hat, als er sein Leben vor dem Anti-Rassismus-Seminar (als er sich dank seiner Ignoranz noch in einem „Happyland“ wähnte) mit seinem Leben danach verglich. Trotz seiner Kürze (das Buch umfasst gerade mal 130 Seiten) geht die Autorin mit „exit RACISM“ auf viele verschiedene Themen rund um Rassismus in Deutschland ein. Sie macht nicht nur deutlich, wo und wie Schwarze Personen und People of Color in Deutschland tagtäglich mit Rassismus konfrontiert werden, sondern auch, welche Folgen das für das Leben der von diesem Alltagsrassismus betroffenen Personen hat.

Dabei ist der Ton, den Tupoka Ogette verwendet, freundlich und sogar regelrecht verständnisvoll, sie wirft den Leser.innen den vorhandenen Rassimus nicht vor, sondern fordert dazu auf, das eigene Denken und Verhalten anhand der verschiedenen Fakten und geschilderten Situationen zu überdenken. Immer wieder gibt es Stellen in dem Buch, an denen Raum für diese Reflexionen geboten wird, an denen Fragen gestellt werden, die einen dazu bringen sollen, dass man seine eigenen Gefühle und Gedanken zu den eben gelesenen Passagen überdenkt. Dem vorangestellt wurden die fünf Phasen, die normalerweise ihre Seminarteilnehmer durchlaufen, wenn sie mit dem Thema Rassismus konfrontiert werden. Diese Phasen sind Happyland, Abwehr, Scham, Schuld und Anerkennung, so dass man jederzeit überprüfen kann, in welcher Phase man sich während des Lesens befindet.

Ergänzt werden viele der Kapitel durch QR-Codes, die einen mit der dementsprechenden App zu Videos bringen sollen, die Interviews oder Dokumente zeigen, die das jeweilige Thema vertiefen. Da ich leider kein Gerät besitze, mit dem ich die Codes hätte auslesen können, waren diese für mich nicht nutzbar. Ich habe allerdings ein paar der Videos durch die Nutzung der Suchmaschine finden können – habe mir aber nicht bei allen die Mühe gemacht, weil ich normalerweise den Laptop bewusst außer Reichweite halte, wenn ich lese, damit ich mich auf meine Lektüre konzentrieren kann. Die QR-Codes aber sind auf jeden Fall eine gute Möglichkeit für Menschen, die gern mehr als nur eine Zusammenfassung oder ein Zitat aus einer Dokumentation oder einem Interview sehen möchten, um einen intensiveren Eindruck zu bekommen. Insgesamt bietet „exit RACISM“ dem Leser ein gutes Fundament, um sich über die Geschichte des Rassismus in Deutschland und über die Auswirkungen von Rassismus (nicht nur für die Betroffenen) zu informieren, um über sein eigenes Verhalten nachzudenken und aktiv gegen den (häufig unbewussten) Alltagsrassismus in seinem eigenen Leben und seinem Umfeld angehen zu können.