Nein, der Titel bezieht sich natürlich nicht auf meine Blogleser – die mag ich nämlich sehr -, sondern auf Buchcharaktere. Es passiert ja häufiger, dass man mit einer Figur in einem Roman nicht warm wird, aber so extrem wie in den letzten Tagen ist es mir schon lange nicht mehr passiert.
Auf der einen Seite habe ich gestern zum dritten Mal „Ein verzauberter Sommer“ von Juliet Hall angelesen und musste wieder einmal feststellen, dass ich die Figuren in dieser Geschichte nicht leiden kann. Vom Klappentext her hatte ich eine ganz normale „Frau erbt Gebäude und lernt darüber mehr über die Vergangenheit ihrer Familie“-Geschichte erwartet, also etwas Nettes und Unterhaltsames zum Entspannen. Vermutlich passt der Roman auch in diese Schublade, aber ich hege den Verdacht, dass ich es nie genau herausfinden werde, weil ich die drei Frauenfiguren von Anfang an nicht leiden kann. Da gibt es die sizilianische Großmutter Flavia, die niemals über ihre Kindheit oder Familie in Sizilien geredet hat, die Tochter Tess, die als alleinerziehende Mutter in einem Job festhängt, der sie langweilt, und die eine Beziehung mit einem verheirateten Mann hat, und die Enkelin Ginny, die ich bislang noch als irgendwie schwammig und pubertär empfinde.
Und weil ich diese drei Frauen, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, einfach nicht leiden kann, mag ich auch den Roman nicht weiterlesen. Ich bin gerade mal auf Seite 86 (von ca. 570), Tess ist erst seit ein paar Stunden in Italien (und guck mal an, auch da sind mir schon Personen über den Weg gelaufen, die ich auf Anhieb als unsympathisch empfand) und ich bin absolut nicht neugierig darauf, wie es weitergeht. Dabei wird es – wenn ich den Amazon-Rezensionen glauben darf – noch spannende Entwicklungen samt manipulierender Italiener, Mafia und Familiendrama geben …
Apropos Familiendrama: Auch bei „Mit freundlicher Anteilnahme“ gab es so gut wie keine Figur, die mir sympathisch war. Trotzdem habe ich das Buch vor ein paar Tagen sehr zügig durchgelesen, weil ich wissen wollte, worauf der Autor Erling Jepsen mit seiner Geschichte hinauswollte. Gestolpert bin ich über den Autoren bei der Blogparade zum Jahresende von den BuchSaiten – irgendein Teilnehmer hatte Erling Jepsen als Neuentdeckung angepriesen und vor allem die subtile Spannung in einem anderen Titel gelobt. In meiner Bibliothek habe ich nur „Mit freundlicher Anteilnahme“ vorgefunden und hatte mich von vornherein darauf eingestellt, dass ich in erster Linie ein Familiendrama und erst in zweiter Linie „Spannung“ zu erwartet hätte.
Dabei habe ich gerade die ersten Kapitel von „Mit freundlicher Anteilnahme“ schnell gelesen, weil ich neugierig auf die Handlung und die Personen war. Der Roman beginnt mit dem Tod des Vaters der Hauptfigur, und man erfährt schnell, dass dieser seinen beiden jüngsten Kindern schon vor Jahren das Haus verboten hat. Letztendlich dreht sich die gesamte Geschichte rund um das Thema „Missbrauch/Misshandlung“, und obwohl ich keinen einzigen Charakter ausstehen konnte, war ich neugierig auf die Hintergründe in dieser Geschichte. Ich wollte mehr über die Kindheit des Protagonisten wissen, über sein Verhältnis zu seinen Geschwistern, über seine Mutter – und am Ende beschäftigte mich die Frage, ob man den Tod des Vaters als Mord einstufen muss. Mit dem Ende des Romans war ich nicht glücklich, und ich werde wohl keinen weiteren Titel des Autors lesen, aber ihm ist es gelungen, seine unsympathischen Figuren so interessant zu gestalten und seine Handlung so spannend aufzubauen, dass ich das Buch in einem Nachmittag gelesen habe.
Lustigerweise arbeiten beide Autoren (soweit ich das nach den wenigen Kapiteln bei „Ein verzauberter Sommer“ sagen kann) grob gesagt mit denselben Methoden. Beide deuten viel an, verzögern die Herausgabe von Informationen und wechseln immer wieder die Perspektive, aber handwerklich liegen Welten zwischen den beiden Geschichten …
Hallo liebe Winterkatze. 🙂
Ein schöner Eintrag. Unsympathische Hauptfiguren sind echt problematisch. Wobei ich finde, dass es dabei noch zwei Kategorien gibt: Interessante unsympathische Hauptfiguren, deren Fehler man nachvollziehen und denen man verzeihen kann und wirklich blöde unsympathische Hauptfiguren. ;D
Bei dem Buch, dass du gerade liest, scheint es die zweite Kategorie zu sein …
Von Erling Jepsen habe ich auch ein Buch gelesen (wie hieß es noch?) – jedenfalls das Buch, dass er als erstes in Deutschland veröffentlicht hat. Ich fand es großartig!
Allerdings ist das auch schon wieder vier Jahre her …
Viele Grüße
Miyann
Interessanter Denkanstoß. ich glaube nicht, dass der Charakter eines Romans unbedingt sympathisch sein muss, um trotzdem Faszination aufkommen zu lassen. (Das Verrückte ist ja auch, dass viele Leser Figuren komplett anders bewerten. Was die einen sympathisch finden, stört die anderen ungemein.) Viele Thriller/ Krimis funktionieren mit einem – nicht gerade super netten – Serienkiller. Die Frage ist: Interessiert mich die Figur?! Werde ich – wie du bei "Mit freundlicher Anteilnahme" – zumindest neugierig darauf, was der Figur noch widerfahren wird.
In meinem Fall versagt jede Neugier, wenn die Hauptfigur – vor allem eine Heldin – extrem doof und unreflektiert handelt. Wenn eine Aktion danach schreit, ein ungünstig Ende zu haben, und die Heldin ohne Druck trotzdem alles dransetzt, um zu diesem vorbestimmten Ende zu gelangen. Vielleicht mögen es manche Leserinnen, wenn sie schlauer sind als die Protagonistinnen, aber ich hasse das wirklich.
LG mila
*ggg* Ich hab zuerst gelesen, du hättest das Buch gerade zum dritten mal AUSgelesen und dachte mir "Na den Optimismus lob ich mir, wenn sie drei mal hintereinander denkt, sie mag die Charaktere beim nächsten mal lesen lieber!" Aber so kann ich das natürlich wesentlich besser verstehen und sehr gut nachvollziehen :p.
So geht es mir normalerweise bei den Sophie Kinsella Romanen, deswegen hab ich von denen auch noch nie einen zu Ende gelesen. Ich verstehe die Frauen da einfach nicht..
Ja, das Phänomen kenne ich auch. Wie Du schon schreibst, die dem Leser unsympathische Figuren müssen nicht zwangsläufig zum Abbruch der Lektüre führen, können es aber, wenn der Autor nicht aufpasst und das Interesse des Lesers an ihnen nicht wecken oder aufrechterhalten kann.
@Miyann: Bei beiden Büchern gehörten die Figuren in die zweite Kategorie! Über Kategorie 1 würde ich mich so schnell nicht beschweren. *g* Könnte das "Dreck am Stecken" gewesen sein? Der wird zumindest bei der Verlagsseite angegeben.
"Kopfloser Sommer" von dem Autor klingt auch nicht schlecht, aber trotzdem habe ich recht wenig Lust weitere Titel von ihm zu lesen. Vielleicht mit etwas mehr Abstand zu "Mit freundlicher Anteilnahme" …
@Mila (von den Seitenspinnerinnen): Ich habe dann nichts dagegen, wenn die Protagonistin dümmer ist als ich, wenn es eine gute Erklärung dafür gibt. Aber diese gute Erklärung fehlt mir viel zu oft bei Romanen und dann werde ich beim Lesen immer ungeduldiger mit der Figur und der Handlung.
Unsympathische Hauptfiguren können, wenn sie gut geschrieben wurden, ungemein faszinierend sein. Es macht doch Spaß, wenn man sich an so einer Figur reiben kann. Aber dafür muss wirklich das Interesse aufrecht erhalten werden. Wenn ich so einen Widerwillen empfinde, dass ich das Buch gar nicht erst wieder in die Hand nehmen mag, dann hat der Autor – für mich – sein Ziel verfehlt.
Wobei ich mir sicher bin, dass zumindest bei dem Frauenroman die Figuren aus Sicht der Autorin sehr liebenswert (und geheimnisvoll) gestaltet wurden.
@Mila (von den 100Büchern): Nein, nein, dafür ist mir meine Zeit definitiv zu schade! 😀 Allerdings überlege ich immer noch, ob ich dieses verflixte Buch jetzt nicht einfach mal durchziehe (um meine Vorurteile dann bestätigt zu sehen *g*). Bei Kinsella mochte ich "Göttin in Gummistiefeln" gerne. Einige Leserinnen meinten zwar, dass sie nicht verstehen könnten wie eine intelligente Frau so unfähig im Haushalt sein könne, aber wenn ich dann daran denke wie sich mein Mann die ersten Jahren so angestellt hat … *hüstel* Auf jeden Fall muss man für die Geschichten aber in der richtigen Stimmung sein! 😉
@Natira: Ich muss aber auch zugeben, dass ich inzwischen immer ungeduldiger mit Autoren werde, deren Charaktere mir unsympathisch oder dumm vorkommen. 😉
Ich.denke, das hängt auch damit zusammen, wieviel und welche Bandbreite man liest. Und dass man naturgemäß lieber ein gutes Buch lesen oder entdecken möchte, als Zeit für eine Geschichte zu opfern, die einen als Leser ärgert. 😉
Ich bin auch ausgesprochen ungeduldig mit naiven oder gar dummen Charakteren. Das nervt mich einfach, zumal es sich ja auf die komplette Handlung niederschlägt.
Unsympathische Figuren können allerdings reizvoll sein. Okay, der Held eines Liebesromans darf natürlich kein unsympathisches Arschloch sein, aber sonst bin ich da offen und finde oft die Unsympathen interessant.
@Natira: Das und dann noch die Stimmung, in der man liest. Ich habe in der richtigen Stimmung kein Problem mit dummen oder klischeeüberladenen Charakteren, wenn ich aber eh etwas gereizt bin und mich dann noch mit Personen auseinandersetzen soll, die mich nerven, dann hat das Buch einfach keine Chance. 😉
@Irina: Gute unsympathische Figuren konnten großartig sein! Aber seien wir doch ehrlich, die tauchen viel zu selten in Büchern auf! 🙁