Jiro Taniguchi: Die Stadt und das Mädchen (Manga)

Vor ein paar Jahren hatte ich mit dem Zweiteiler „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“ meine erste Veröffentlichung von Jiro Taniguchi in die Finger bekommen und war ganz hingerissen von dem zurückhaltenden und realistischen Zeichenstil und der ruhigen Erzählweise des Mangaka. Seitdem habe ich einige Titel des Zeichners auf meinem Wunschzettel, aber gelesen habe ich bislang nur Leihgaben. So auch „Die Stadt und das Mädchen“, das ich in der örtlichen Bibliothek ausleihen konnte und während des ersten „Herbstlesen“-Wochenendes gelesen habe.

Der Protagonist Shiga ist Extrem-Bergsteiger und lebt relativ abgeschieden in den japanischen Bergen in einer Hütte. Vor vielen Jahren hat Shiga seinen besten Freund Tatsuhiko Sakamoto bei einem Unglück verloren, als dieser sich (ohne Shiga) an die Besteigung des Dhaulagiri, eines Achttausender, wagte. In dem Notizbuch, das man bei der Leiche fand, bat Sakamoto darum, dass sich Shiga um seine Frau Yoriko und seine Tochter Megumi kümmern möge – und das hat der Bergsteiger auch immer getan. So ist es selbstverständlich für ihn nach Tokio zu reisen, als er eine Nachricht von Yoriko erhält, dass die 15jährige Megumi spurlos verschwunden ist. Die Polizei scheint das Verschwinden des Mädchens nicht ernst zu nehmen und so macht sich Shiga selber auf die Suche.

So recht weiß der Bergsteiger nicht, wie er an Informationen über das Mädchen herankommen soll. Er kennt Megumi vor allem von ihren Besuchen in den Bergen und da ist der letzte schon einige Zeit her. Aber Shiga ist kein dummer Mensch und hangelt sich bei seiner Suche systematisch von einem Hinweis zum nächsten und beweist dabei eine Hartnäckigkeit, die man bei einem Extremsportler wohl auch voraussetzen kann. Dabei lässt sich Jiro Taniguchi Zeit die Geschichte zu entwickeln, während man als Leser Shigas Weg verfolgt und nur langsam mehr über seine Freundschaft zu Sakamoto und sein Verhältnis zu dessen Witwe und Tochter erfährt.

Ich persönlich mag diese anfangs schon fast gemächlich wirkende Erzählweise, weil mir das die Gelegenheit bietet die Zeichnungen zu betrachten, die Figuren kennenzulernen und mir meine eigenen Gedanken über all die Sachen zu machen, die nicht ausgesprochen werden, aber zwischen den Zeilen mitschwingen. Auch habe ich das Gefühl, dass der Mangaka seine Protagonisten verständnisvoll behandelt. Die Antagonisten sind verachtenswert und das wird auch deutlich, ohne dass es betont ausgesprochen werden muss, die Protagonisten hingegen haben Schwächen und Fehler – aus denen sie vielleicht entwachsen können, aber vielleicht eben auch nicht -, weil sie einfach menschlich sind. Wirklich temporeich wird die Geschichte nicht, aber es gibt spannende Szenen und interessante Charaktere. Außerdem wächst im Laufe der Seiten das Gefühl, dass die Zeit drängt, dass Megumi vielleicht doch in größerer Gefahr schwebt und dass es notwendig sein könnte radikalere Schritte zu gehen, um mehr über ihren Verbleib herauszufinden.

Jiro Taniguchis Zeichenstil passt hervorragend zu seiner Art eine Geschichte zu erzählen. Seine Bilder sind zurückhaltend und voller Details (gerade bei den Hintergründen), seine Figuren werden in einem klaren, aber realistischen Stil dargestellt und die Anordnung der Panels passt zu dem ruhigen Tempo der Handlung. So verwendete der Mangaka bei den aufregenderen Passagen seiner Geschichte auch keine rasanten Schnitte oder eine dynamische Bildaufteilung, sondern betont die Anspannung bei den Figuren oder Gefahren durch Detailvergrößerungen oder eine genauere Darstellung von Bewegungsabläufen. Mir gefällt dies sehr gut, weil es zu einer eher unterschwelligen Spannung führt und mir immer noch genügend Raum lässt, um mir meine Gedanken über die Handlung und die Figuren zu machen.

4 Kommentare

  1. Nicole/Frau Frieda

    Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu Mangas, liebe Winterkatze! Auf der einen Seite finde ich die Zeichnungen herrlich spannend (genau wie mein Kleiner übrigens!), aber auf der anderen Seite ist mir die Art das Buch zu lesen doch zu fremd. Von Hinten anzufangen widerstrebt mir irgendwie.. ich kann gar nicht sagen warum.. hmm! Dennoch Danke für den Tipp! Liebe Grüße, Nicole

  2. Die meisten deutschen Veröffentlichungen von Jiro Taniguchi erscheinen gespiegelt, also in deiner gewohnten Leserichtung (nur bei diesem Titel ist es prompt auf Wunsch des Autors anders *g*). Ansonsten ist es wirklich nur eine Frage der Gewöhnung, je mehr Manga man liest, desto weniger widerstrebt es einem. Mir passiert es inzwischen schon, dass ich westliche Comics falsch aufschlage, weil ich so auf die japanische Leserichtung geeicht bin. 😉

  3. Eva-Maria H.

    Hallo Winterkatze,
    ich mag auch keine Mangas, aber da macht ja nichts. Es mag ja auch nicht jeder Opern und Klassik.
    ;-))

    Jeder so wie er mag und deshalb ist es ja auch schön, dass es so vieles gibt.

    Lieben Gruß Eva

  4. @Eva: Ich fürchte, bis ich das nächste Mal eine Biografie auf dem Blog bespreche, vergeht noch ein Weilchen. 😉

    Und ich finde es schade, wenn man einen Bereich vollkommen ablehnt. Bei Manga gibt es so viele verschiedene Kategorien. Niedliche Geschichten für kleine Kinder, Horror für diejenigen, die sich gruseln wollen, aber auch historisch korrekte Erzählungen, Biografien, Alltagsbeobachtungen (wie zum Beispiel bei Taniguchi) – wenn jemand sagt, dass "Manga" nichts für ihn seien, dann klingt das für mich, als ob jemand sagen würde, dass "Bücher" nichts für ihn seien, ohne dabei zu beachten, dass es da doch theoretisch für jeden eine Nische gibt.

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