Kate Milford: Greenglass House

Nachdem ich mit „Bayou Magic“ im Dezember gerade erst ein richtiges Sommerbuch gelesen hatte, bildete „Greenglass House“ von Kate Milford mit einer Geschichte voller Schnee, Kaminfeuer und heißer Schokolade einen ziemlich starken Kontrast. Im Mittelpunkt der Handlung steht Milo, der Sohn der Betreiber des Greenglass House. Das ist eine Pension, die vor allem von Schmugglern frequentiert wird. Die Geschichte beginnt am ersten Tag der Winterferien und Milo freut sich darauf, dass er und seine Eltern das Haus endlich einmal für sich haben. Denn diese wenigen Tage vor Weihnachten sind traditionell die einzige Zeit des Jahres, in denen sich normalerweise keine Gäste einfinden und in denen es sich die Familie Pine hemmungslos in allen Räumen gemütlich machen kann. Doch bevor Milo mit seinen Eltern in die gewohnte Ferienroutine verfallen kann, trifft auch schon der erste von mehreren unerwarteten Gästen im Greenglass House ein.

Für Milo ist es mehr als irritierend, dass er die sehnsüchtig erwartete Zeit mit seinen Eltern nun nicht mehr genießen kann. Ihn stört nicht nur die Durchbrechung der üblichen Routine, sondern er findet die verschiedenen Gäste auch mehr als seltsam. Jeder von ihnen scheint ein Geheimnis zu hüten, manche scheinen sich zu kennen, ohne dies zugeben zu können, und vor allem kommt es zum ersten Mal, seitdem Milos Eltern die Pension betreiben, zu Diebstählen. Dabei wirkt nicht nur jeder Gast verdächtig, sondern auch die Gegenstände, die entwendet werden, passen nicht in das übliche Beuteschema eines Diebes. Gemeinsam mit seiner neuen Freundin Meddy entwickelt Milo ein Spiel, das ihnen helfen soll, hinter die geheimnisvollen Vorgänge im Greenglass House zu kommen.

Ich mochte Milo und seine Freundin Meddy sehr gern und ich fand es spannend mitzuerleben, wie Milo sich entwickelte, während er in seiner Rolle als „Negret“ (das ist sein Spiel-Charakter) nicht nur all die Vorgänge im Haus genau beobachtet, sondern auch immer wieder aktiv in die Geschehnisse eingreift. Gemeinsam mit Meddy, die ihn immer wieder zu Aktionen herausfordert, die er sich allein nie getraut hätte, macht sich Milo auf die Suche nach den gestohlenen Gegenständen, bringt die Gäste dazu, abends Geschichten zu erzählen, oder sucht nach Verbindungen zwischen den aktuellen Ereignissen und der Vergangenheit des Hauses als Heim eines der berühmtesten Schmugglers der Region. Und während Milo innerhalb des Hauses viele kleine Abenteuer erlebt, fällt draußen der Schnee in solchen Mengen, dass die unfreiwillige Gemeinschaft innerhalb der Pension gezwungen ist, sich immer enger auf die Pelle zu rücken – egal, ob sie miteinander auskommen oder nicht.

Dabei beschreibt Kate Milford das Haus, die Gäste und das Wetter in wunderschön atmosphärischen Szenen, bei denen deutlich wird, dass der Winter bei aller Schönheit auch Gefahren mit sich bringt, wenn zum Beispiel die Veranda oder die Feuerleiter durch eine Eisschicht kaum noch betretbar sind, der Generator ausfällt oder alle Zugänge zum Greenglass House gesperrt sind. Im Kontrast dazu stehen die Momente, in denen sich Milo hinter dem Weihnachtsbaum versteckt und die Gäste beobachtet, eine heiße Schokolade vor dem Kamin genießt oder sich mit einem Buch einrollt und sich in die Legenden seiner Heimatstadt vertieft. Ich habe es genossen, von all diesen Momenten zu lesen, ebenso wie die Tatsache, dass man mit Milo zusammen das ungewöhnliche Haus immer besser kennenlernt. Denn obwohl Milo dort aufgewachsen ist, bekommt er durch all die Ereignisse eine ganz neue Sicht auf das Greenglass House und die Geschichte, die mit dem Gebäude verbunden ist.

Eine weitere Sache, die die Autorin wunderbar in den Roman eingebaut hat, ist Milos Beschäftigung mit seiner Herkunft. Da er – im Gegensatz zu seinen Eltern – chinesischer Abstammung ist, ist es selbst für Außenstehende offensichtlich, dass er adoptiert wurde. Er liebt seine Eltern und weiß, dass sie ihn lieben, und er möchte eigentlich an seinem Leben nichts ändern. Auf der anderen Seite fragt er sich schon, was mit den Eltern war, die ihn gezeugt haben, warum sie ihn ausgesetzt haben und wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er mit Menschen aufgewachsen wäre, die ihm allein schon äußerlich ähnlich wären. Dabei hat Milo oft ein schlechtes Gewissen, dass er sich so viel mit seiner Abstammung beschäftigt, obwohl er doch so liebevolle Eltern hat und zufrieden sein könnte.

So sehr ich all die behaglichen Beschreibungen vom Greenglass House mochte, so faszinierend ich die seltsamen Gäste fand und so sehr ich wissen wollte, worauf das Ganze hinausläuft, so muss ich zugeben, dass ich die erste Hälfte hindurch den Roman auch gut aus der Hand legen konnte. Dabei hat mich das Greenglass House nie ganz verlassen, aber die Erzählweise ist anfangs so geruhsam und voller liebevoller Details, dass ich mich nicht gedrängt fühlte, weiterzulesen. All diese Menschen waren schließlich sicher durch all die Schnee- und Eismassen in der Pension eingeschlossen und trotz all der skurrilen Umstände und ungewöhnlichen Diebstähle schien es keine Gefahren für irgendjemanden zu geben. So habe ich mir Zeit mit dem Roman gelassen und mich beim Wiederaufnehmen des Buches jedes Mal wieder über ein Wiedersehen mit den verschiedenen Charakteren gefreut und mich behaglich mit Milo vorm Kamin eingerollt und geschaut, welche neuen Informationen die kommenden Seiten für mich so bereithalten würden. Zum Ende hin zog das Tempo in der Handlung dann etwas mehr an, aber insgesamt erzählt Kate Milford mit „Greenglass House“ eine angenehm entspannte und behagliche Geschichte, die auch gut in kleinen Stückchen genossen werden kann.

12 Kommentare

  1. Punkt und Ende

    Guten Abend, wünsche ich.
    Hätte ich das Buch nur so bei Amazon oder in der Buchhandlung gesehen, hätte es mich wohl nicht angesprochen. Aber deine Rezension macht das Buch zu einem heißen, wirklich heißen Kandidaten für die Wunschliste. Das klingt so schön behaglich und gemütlich und trotzdem interessant, dass ich das Buch nun auch gerne lesen mag.

  2. Hallo,

    so ein Zufall, gerade heute morgen habe ich wieder daran gedacht, dass ich mir mal ein Buch von Kate Milford zulegen sollte, mir gefallen die Beschreibungen und die Cover sprechen mich total an. Hast du noch andere Titel gelesen und würdest einen Roman von ihr ganz besonders empfehlen?

    Liebe Grüße Anette

  3. @Ina: Ich fand das Cover schon sehr hübsch, hätte aber vermutlich dem Buch auch nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wenn ich nicht über ein paar Stichworte gestolpert wäre, die mich ansprachen. Allein schon das Setting mit dem durch Schnee von der Außenwelt abgeschotteten Haus, ist für mich sehr reizvoll. Als ich dann noch diesen Beitrag (http://whatever.scalzi.com/2016/08/23/the-big-idea-kate-milford/ ) zu ihrem neuen Buch las, habe ich das Buch dann auf die Geburtstagswunschliste gepackt und gehofft, dass ich es bald lesen kann. 😉 Es ist auf jeden Fall über weite Strecken ein behagliches, winterliches Buch voller kleiner skurriler Elemente und am Ende wird es noch richtig spannend. 🙂

  4. @Anette: Für mich war es das erste Buch der Autorin. Das klang von der Inhaltsangabe etwas "gewöhnlicher" als die anderen und deshalb gut zum Ausprobieren. Kiya meinte, dass ihr "Boneshaker" noch besser gefallen hätte, weil das Setting wohl etwas ganz besonderes ist. Ich habe die anderen Titel von der Autorin nach "Greenglass House" aber komplett auf die Merkliste gesetzt. 🙂

  5. Ich bin inzwischen auch fertig mit dem Buch und habe es sehr genossen 🙂 Mir ging es allerdings so, dass ich die erste Hälfte fast schöner fand, mit all den Geheimnissen und Details, und die zweite Hälfte mich ein winziges bißchen weniger gereizt hat, als alles aufgelöst wurde.

    Ich bin mit "Boneshaker" noch nicht durch, also weiß ich noch nicht, ob ich es im Ganzen empfehlen kann, aber es ist wirklich etwas Besonderes.

  6. @Kiya: Ich mochte es einfach, wie am Ende alles zusammenfloss und wie manche Geheimnisse kleiner und andere größer waren als erwartet. 😉

    Da du das schon so lobend erwähnt hattest, habe ich mir "Boneshaker" als nächstes auf die Merkliste gesetzt. Aber ich denke, ich werde alles von der Autorin lesen müssen. *g*

  7. @Neyasha: Dann drücke ich die Daumen, dass vielleicht sogar ein bisschen Schnee fällt, während du das Buch liest – das wäre perfekt! 🙂

  8. @Hermia: Ja, definitiv perfekt für Winterwetter! Und du solltest schon mal alles für eine gute heiße Schokolade im Haus haben, wenn du anfängst zu lesen. 😉

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