Katherine Addison: Der Winterkaiser

Es fiel mir am Anfang schwer, in die Handlung von „Der Winterkaiser“ von Katherine Addison hereinzukommen, da die Autorin eine ungewöhnliche Gesellschaft geschaffen hat und es nach den ersten Seiten nur so vor unvertrauten Namen und Posten am Kaiserhof wimmelt. Trotzdem hat mich der Roman von Beginn an gepackt, weil ich den Protagonisten Maia sehr mochte und gespannt war, was aus ihm wird. Maia ist der ungeliebte Sohn des Elfenkaisers und seiner verstorbenen Koboldfrau. Nach dem Tod seiner Mutter wurde der Junge von einem Cousin aufgezogen, dem diese Aufgabe als Bestrafung zugeteilt wurde. So hat Maia bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr kaum etwas vom Hofleben mitbekommen (und in erster Linie gelernt, mit der Abneigung seines Cousins umzugehen), als sein Vater, seine drei älteren Brüder und sein Neffe bei einem Luftschiff-Unglück ums Leben kommen und Maia als einziges überlebendes männliches Mitglied der Familie zum Kaiser gekrönt wird.

Maia ist sich mehr als bewusst, dass er keine Ahnung von den Dingen hat, die er als Kaiser wissen sollte, ebenso wie dies seinem Hofstaat bekannt ist. Doch während einige treue Gefolgsleute versuchen, ihrem neuen Kaiser zur Seite zu stehen, gibt es eine unheimlich große Menge an Adeligen und Beamten, die seine Unwissenheit ausnutzen wollen. Dazu kommt noch ein Lordkanzler, der nur seine eigenen Interessen im Sinn hat – und dem es am liebsten wäre, wenn der neue Kaiser keine eigene Meinung hätte, die ihm dabei im die Quere kommt. Auch Maias Verwandte, von denen er die meisten in den Tagen vor seiner Krönung das erste Mal trifft, sind – im besten Fall – misstrauisch, wenn es um den unerfahrenen Kaiser geht. Komplizierter wird die Situation für den jungen Monarchen, als Ermittlungen ergeben, dass der Luftschiff-Absturz die Folge eines Attentats war und kein Unglück.

Ich bin wirklich hingerissen von diesem Fantasy-Roman, obwohl ich normalerweise deutlich actionreichere Lektüre bevorzuge. In „Der Winterkaiser“ hingegen scheint auf den ersten Blick fast nichts zu passieren, denn die gesamte Handlung dreht sich nur um die wenigen Wochen, die dem Absturz des Luftschiffs folgen und in denen Maia einen Weg finden muss, um als Kaiser zu überleben. Als Leser erlebt man die gesamte Geschichte aus Maias Perspektive und kann so die ganze Verwirrung, die Angst und die Überforderung des jungen Mannes mitfühlen. Er hat keinerlei Erfahrungen mit der Welt am Hof machen können und keine Ahnung von all den politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die seine Beschlüsse mit sich bringen können, und muss trotzdem vom ersten Tag an folgenschwere Entscheidungen treffen.

So besteht die Handlung vor allem aus vielen, vielen kleinen Szenen, in denen Maia auf die verschiedensten Elfen, Kobolde und Halbelfen trifft und sich ein Bild von den Personen und der Situation machen muss. Es gibt sehr viele Dialoge, sehr viele politische Elemente, sehr viele Intrigen und sehr viele kleine Momente, in denen Maia über sich hinauswachsen muss. Letzteres ist es, was den Roman für mich so großartig gemacht hat. Bei all seiner Unsicherheit beweist Maia mehr Rückgrat, als man es bei einem so jungen Mann erwarten könnte. Er ist natürlich zwischendurch auch wehleidig, verängstigt und zornig, aber da ihm bewusst ist, wie viel Macht ein Kaiser hat, bemüht er sich, diese nicht zu missbrauchen und bedacht und richtig zu handeln.

Katherine Addison hat in diesem Roman selbst bei den Momenten in der Geschichte auf Tempo oder Dramatik verzichtet, bei denen sie das hätte einflechten können. So gibt es zwar Attentate auf den neuen Kaiser, aber auch hier dreht sich die Handlung vor allem um Maias Innenleben, um seine Bemühungen, mit den Taten fertig zu werden, Haltung zu bewahren und Entscheidungen zu treffen, die zum Besten für sein Reich und die Personen um ihn herum sind. Ich mochte diese unaufgeregte Erzählweise sehr gern, ebenso wie die verschiedenen Figuren rund um den jungen Kaiser. Denn auch wenn keiner von ihnen in einer Position ist, die es ihm erlauben würde, Maias Freund zu werden, so sind viele darunter, die ihm bei seiner Aufgabe helfen wollen, und das ist schön zu verfolgen.

Mein einziger Kritikpunkt bei „Der Winterkaiser“ sind die Namen der vielen verschiedenen Figuren. Zwar gibt es am Ende des Romans eine Erläuterung zum Aufbau der Namen, aber das half mir in der Regel nicht weiter, wenn ich beim Lesen mal wieder über eine Figur stolperte, die das letzte Mal vor ein paar Kapiteln vorkam und deren Namen – da zum Teil der Titel, die Funktion bei Hof oder die Familienzugehörigkeit die Anrede bestimmten – ich nicht gleich zuordnen konnte. Irgendwann habe ich einfach aufgegeben und darauf gewartet, dass die folgenden Textpassagen mir genügend Informationen gaben, um die Person wiederzuerkennen. Auch das zusätzliche Namensverzeichnis war da keine große Hilfe, weil die Figuren entweder gar nicht aufgeführt waren oder nicht unter dem Stichwort zu finden waren, unter dem ich sie suchte. Davon abgesehen fand ich den Roman wirklich toll und finde es großartig, wie die Autorin die verschiedenen Charaktere angelegt hat.

9 Kommentare

  1. Auf dieses Buch freue ich mich auch 🙂 Bei mir liegt das englische Taschenbuch seit gut zwei Jahren auf dem SuB. Ich war positiv überrascht, als ich gesehen habe, dass es übersetzt wird.
    Klingt gut, was du dazu schreibst, zumal mich fehlende Action nur sehr selten stört.

  2. Für mich war das eine totale Überraschung, bevor ich in der Bibliothek darüber stolperte, hatte ich noch nichts davon gehört. Jetzt steht die englische Ausgabe auf meiner Wunschliste, weil ich es gern zum Behalten hätte. 🙂

  3. Nicole/Frau Frieda

    Puh.. heute schwirrt mir der Kopf, liebe Winterkatze. Vielleicht wäre jetzt ein Buch ohne Action genau das Richtige. Liebe Grüße, Nicole

  4. @Nicole: Wenn der schwirrende Kopf denn mit den ganzen Namen fertig wird, würde ich ihm den Roman dringend ans Herz lege. Ich fand ihn wirklich toll! 🙂

  5. Ich finde es immer etwas faul, wenn in einem Roman nur ein Anhang mit den Charakteren zur Verfügung gestellt wird (und das zuweilen auch noch mit Spoilern!), anstatt kleine Hinweise und Verflechtungen in den Text einzubauen. Wenn ich die ganze Zeit rumblättern muss, um der Geschichte folgen zu können, dann werde ich ständig im Lesefluss unterbrochen; sowas ist doch doof.
    Von dem Roman habe ich allerdings auch sonst nur Gutes gelesen/gehört und es steht bereits auf meiner Wunschliste 🙂

  6. @Sam: Es gab schon Hinweise und Verflechtungen im Text, aber eben auch sehr viel Personal, das immer wieder mit anderen Namen angesprochen wurde. Ich bin im Laufe der Zeit immer drauf gekommen, wer da nun auftauchte, aber ich hätte die Charaktere gern auf Anhieb anhand des Namens identifiziert. Spoiler gab es nicht in der Namensliste – in der Beziehung kann ich dich beruhigen. Sowas mag ich auch überhaupt nicht!

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