Nachdem mir schon „The Goblin Emperor“ von Katherine Addison sehr gut gefallen hatte und ich im Mai die Kurzgeschichte „Min Zemerin’s Plan“ gelesen hatte, war klar, dass ich mir in absehbarer Zeit auch noch „The Witness for the Dead“ (und „The Grief of Stones“) besorgen müsste. „The Witness for the Dead“ wird aus der Perspektive von Thara Celehar, der in „The Goblin Emperor“ eine wichtige Nebenrolle spielte, erzählt. Nach den Ereignissen rund um Maias Thronbesteigung hat der Prälat eine neue Aufgabe zugeteilt bekommen, die ihn in die Stadt Amalo geführt hat. Dort arbeitet er nun in seiner Eigenschaft als Witness for the Dead, was bedeutet, dass er, wenn er darum gebeten wird, als Zeuge/Fürsprecher der Verstorbenen handelt. Seine besondere Gabe verleiht Celehar dabei die Fähigkeit, Erinnerungen oder Eindrücke von (frisch) Verstorbenen wahrzunehmen, aber wenn dies nicht mehr möglich ist oder keine hilfreichen Antworten liefert, dann muss der Geistliche auf ganz normale Ermittlungen zurückgreifen, um Probleme zu klären.
In „The Witness for the Dead“ hat Celehar gleich mehrere Angelegenheiten, die ihn beschäftigen. So setzt der Geistliche seine besondere Fähigkeit in einem Erbstreit ein, um herauszufinden, welchem seiner Söhne ein verstorbener Händler sein Geschäft hinterlassen hat, er sucht das Grab einer Frau, von der ihr Bruder vermutet, dass sie von ihrem Mann ermordet wurde, und er versucht herauszufinden, von wem und warum eine Opernsängerin getötet worden sein könnte. Obwohl Celehar mit so vielen unschönen Fällen beschäftigt ist und sich zusätzlich noch mit Kirchenpolitik herumschlagen muss, liest sich dieser Roman überraschend entspannt und wohltuend, was vor allem an der Persönlichkeit des Protagonisten liegt. Celehar ist ein ernsthafter Mann, der die Aufgaben, die in sein Arbeitsgebiet fallen, mit großer Professionalität und Entschlossenheit behandelt. Er gibt sich große Mühe, vorurteilsfrei an seine Fälle heranzugehen, und auch wenn manche Aspekte seiner Arbeit mühsam und unschön sind, so sind sie halt Teil seiner Berufung und verdienen deshalb in seinen Augen die gleiche Aufmerksamkeit und den gleichen Respekt wie die Dinge, die einfacher und befriedigender zu erledigen sind.
Ich habe es sehr genossen, Celehars Perspektive zu verfolgen und mich überraschend oft amüsiert, wenn der arme Geistliche einen möglichst taktvollen Weg finden musste, um eine Information zu übermitteln, oder wenn er sich mit anderen Würdenträgern herumschlagen muss, obwohl er doch einfach nur seinen Job erledigen wollte. Und obwohl es im Laufe der Handlungen zu Morden, Ghul-Angriffen, Explosionen und ähnlichen Dingen kommt, liest sich die Geschichte sehr entspannt, weil sich Katherine Addison vor allem auf das Innenleben ihres Protagonisten und all die kleinen Dinge, die er über die Personen um sich herum rausfindet, konzentriert. Die Tatsache, dass ich von Anfang an Celehar so sehr ins Herz geschlossen habe, hat dafür gesorgt, dass ich selbst bei den eher gemächlichen Passagen mit voller Konzentration dabei war, weil ich nicht nur neugierig auf die Ergebnisse seiner Ermittelungen, sondern auf seine persönliche Reaktion darauf war. Ich fand es schön mitzuverfolgen, wie er im Laufe des Romans ein wenig Frieden mit den Ereignissen aus seiner Vergangenheit schließt und wie er zaghaft neue Freundschaften knüpft.
Außerdem bin ich weiterhin fasziniert von der Welt, die die Autorin rund um ihre Elven und Goblins geschaffen hat, auch wenn mich auch dieses Mal das Problem mit den unterschiedlichen Anreden für die verschiedenen Personen fertiggemacht hat. Es ist nicht gerade einfach, bei einer solch großen Gruppe von Charakteren den Überblick zu behalten, wenn die Anreden davon abhängen, in welchem Verhältnis die miteinander sprechenden Personen stehen, welches Statusgefälle eine Rolle spielt oder ob die Figuren sich gerade privat oder in ihrer offiziellen Funktion miteinander unterhalten. Aber da es sich schon bei „The Goblin Emperor“ bewährt hat, wenn ich mir da keinen Stress gemacht habe und einfach darauf wartete, dass mir die folgenden Absätze schon erklären werden, welcher Charakter da gerade mit dem Protagonisten redet, habe ich das auch dieses Mal einfach hingenommen. In der Regel klappte das auch ganz gut – was aber auch daran lag, dass ich „The Witness for the Dead“ so sehr mochte, dass ich den Roman wirklich zügig gelesen habe. Am Ende ist es mir überraschend schwer gefallen, Celehar und seine Welt zu verlassen – weshalb ich direkt im Anschluss zu „The Grief of Stones“ gegriffen habe.