Schlagwort: Katherine Addison

Katherine Addison: The Angel of the Crows

„The Angel of the Crows“ von Katherine Addison ist ein Roman, der ursprünglich als Sherlock-Holmes-Fanfiction bzw. „Wingfiction“ anfing. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Dr. J. H. Doyle und beschrieben werden all die Erlebnisse, die Doyle nach dem Zusammenziehen mit dem Engel Crow hat. Die Welt, in der Doyle lebt, erinnert sehr an eine fantastische Variante des realen Viktorianischen Englands um 1888, wobei es in dieser Version Vampire, Werwölfe, an ein öffentliches Gebäude gebundene Engel (ebenso wie „Namenlose“ und „Gefallene“ Engel), Höllenhunde, Dämonen und viele, viele andere übernatürliche Wesen gibt, die zum Alltag der Menschen gehören. Doyle selber wurde von einem gefallenen Engel in Afghanistan verwundet und konnte deshalb nicht weiter als Militärarzt tätig sein, was zu der Rückkehr nach London und der Suche nach einem Mitbewohner führte.

Im Prinzip ist dieser Roman also eine Neuerzählung der bekanntesten Sherlock-Holmes-Geschichten, wobei sich die Whitechapel-Morde wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung ziehen. Dabei wirkt Doyle deutlich intelligenter (und aktiver) als das literarische Vorbild Dr. Watson, und der Engel Crow ist mir beim Lesen sehr viel „menschlicher“ vorgekommen als Sherlock Holmes, obwohl Katherine Addison immer wieder betont, dass ihre Engel eben nicht mit Menschen gleichzusetzen sind. Überhaupt wird – je mehr Doyle über die Engel lernt – immer deutlicher, dass die Autorin rund um diese Wesen ein spannendes Stückchen Weltenbau geleistet hat, über das ich gern noch mehr gelesen hätte. So sind die Engel, die einen Namen haben, normalerweise an öffentliche Gebäude gebunden – was sich im ersten Moment seltsam anfühlte, aber später im Buch erklärt Crow, dass Engel über Menschen wachen und die Bindung an ein Gebäude dafür sorgt, dass sie nicht wählen müssen, über welche Menschen sie wachen, sondern sie wachen eben über alle Menschen, die das Gebäude nutzen. Das war eine Engel-Idee, die ich sehr schön fand, ebenso wie die Erklärung dafür, dass Crow nicht an ein Gebäude gebunden ist und trotzdem kein Gefallener Engel, sondern jemand mit einem Namen ist.

Es war wirklich spannend und unterhaltsam, diese Urban-Fantasy-Varianten der Sherlock-Holmes-Geschichten zu lesen, in denen Crows Faktensuche zum Teil eben auch mit übernatürlichen Mitteln stattfindet und in der die Rolle der Baker-Street-Boys nicht von Straßenkindern, sondern von Namenlosen übernommen wird. Es gibt sehr viele kleine Momente in den Geschichten, die dafür sorgen, dass die verschiedenen (Neben-)Figuren so viel mehr Charakter entwickeln können, als dies in den Originalgeschichten der Fall war. Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich das Gefühl hatte, dass Katherine Addison diese Geschichte gut zehn Jahre in der Schublade liegen hatte, bevor jemand sie veröffentlichen wollte. Es gibt zum Beispiel eine Figur, die – meiner Meinung nach – auf Dr. James Barry anspielen soll, aber das erfolgt auf eine Art und Weise, die sich nach „schau, was diese Frau geschafft hat“ anfühlt, statt nach „Dr. Barry war ein trans Mann“. Ebenso gibt es eine lange Liste an Jack-the-Ripper-Quellenmaterial, das die Autorin verwendet hat, aber „The Five“ von Hallie Rubenhold ist nicht dabei.

Ich hingegen habe „The Five“ von Hallie Rubenhold gelesen und hatte deshalb bei „The Angel of Crows“ ein echtes Problem damit, dass die Opfer von „Jack the Ripper“ durchgehend als Prostituierte bezeichnet wurden und es ständig Spekulationen darüber gab, was den Täter dazu gebracht haben könnte, Prostituierte zu ermorden. Und dazu kamen noch die ständigen „Zeugenaussagen“, dass die Opfer vor ihrer Ermordung mit „Kunden“ gesehen worden seien. Trotz dieser Passagen habe ich mich mit dem Roman so gut unterhalten gefühlt, dass ich ihn vollständig gelesen habe, denn es gab ausgleichende Elemente. So wird immer wieder betont, dass weder den Zeugenaussagen noch den Berichten der Zeitungen zu trauen sei. Gerade der Einfluss, den die Zeitungen auf die Sicht der Öffentlichkeit nehmen, wird immer wieder kritisiert, ebenso wie ständig aufgezeigt wird, wo einfach nur reißerisch spekuliert wird und für wie wenige Aussagen wirkliche Fakten vorliegen.

Außerdem wird immer wieder deutlich, dass sowohl Doyle als auch Crow die Opfer als Personen sehen, was dazu führt, dass es auch immer mal wieder kleine Nebenbemerkungen zur ihren Persönlichkeit gibt. Zusätzlich gibt es in diesem Roman überraschend viele Details zum Leben der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und zu den komplexeren Hintergründen der Lebensumstände im Viktorianischen England, was ich wirklich gut gemacht fand. Alles in allem war das Lesen von „Angel of Crows“ also ein etwas gemischtes Vergnügen für mich, weil ich grundsätzlich die Erzählweise der Autorin und all die vielen Elemente, die den vertrauten Geschichten so viele neue Facetten verliehen haben, sehr genossen habe, aber mir auch gewünscht hätte, dass Katherine Addison aktuellere wissenschaftliche Werke bei ihrer Recherche mit eingebunden hätte, statt nur auf ziemlich reißerische und definitiv veraltete Informationen – gerade rund um die Whitechapel-Morde – zu setzen.

Katherine Addison: The Witness for the Dead (The Cemeteries of Amalo 1)

Nachdem mir schon „The Goblin Emperor“ von Katherine Addison sehr gut gefallen hatte und ich im Mai die Kurzgeschichte „Min Zemerin’s Plan“ gelesen hatte, war klar, dass ich mir in absehbarer Zeit auch noch „The Witness for the Dead“ (und „The Grief of Stones“) besorgen müsste. „The Witness for the Dead“ wird aus der Perspektive von Thara Celehar, der in „The Goblin Emperor“ eine wichtige Nebenrolle spielte, erzählt. Nach den Ereignissen rund um Maias Thronbesteigung hat der Prälat eine neue Aufgabe zugeteilt bekommen, die ihn in die Stadt Amalo geführt hat. Dort arbeitet er nun in seiner Eigenschaft als Witness for the Dead, was bedeutet, dass er, wenn er darum gebeten wird, als Zeuge/Fürsprecher der Verstorbenen handelt. Seine besondere Gabe verleiht Celehar dabei die Fähigkeit, Erinnerungen oder Eindrücke von (frisch) Verstorbenen wahrzunehmen, aber wenn dies nicht mehr möglich ist oder keine hilfreichen Antworten liefert, dann muss der Geistliche auf ganz normale Ermittlungen zurückgreifen, um Probleme zu klären.

In „The Witness for the Dead“ hat Celehar gleich mehrere Angelegenheiten, die ihn beschäftigen. So setzt der Geistliche seine besondere Fähigkeit in einem Erbstreit ein, um herauszufinden, welchem seiner Söhne ein verstorbener Händler sein Geschäft hinterlassen hat, er sucht das Grab einer Frau, von der ihr Bruder vermutet, dass sie von ihrem Mann ermordet wurde, und er versucht herauszufinden, von wem und warum eine Opernsängerin getötet worden sein könnte. Obwohl Celehar mit so vielen unschönen Fällen beschäftigt ist und sich zusätzlich noch mit Kirchenpolitik herumschlagen muss, liest sich dieser Roman überraschend entspannt und wohltuend, was vor allem an der Persönlichkeit des Protagonisten liegt. Celehar ist ein ernsthafter Mann, der die Aufgaben, die in sein Arbeitsgebiet fallen, mit großer Professionalität und Entschlossenheit behandelt. Er gibt sich große Mühe, vorurteilsfrei an seine Fälle heranzugehen, und auch wenn manche Aspekte seiner Arbeit mühsam und unschön sind, so sind sie halt Teil seiner Berufung und verdienen deshalb in seinen Augen die gleiche Aufmerksamkeit und den gleichen Respekt wie die Dinge, die einfacher und befriedigender zu erledigen sind.

Ich habe es sehr genossen, Celehars Perspektive zu verfolgen und mich überraschend oft amüsiert, wenn der arme Geistliche einen möglichst taktvollen Weg finden musste, um eine Information zu übermitteln, oder wenn er sich mit anderen Würdenträgern herumschlagen muss, obwohl er doch einfach nur seinen Job erledigen wollte. Und obwohl es im Laufe der Handlungen zu Morden, Ghul-Angriffen, Explosionen und ähnlichen Dingen kommt, liest sich die Geschichte sehr entspannt, weil sich Katherine Addison vor allem auf das Innenleben ihres Protagonisten und all die kleinen Dinge, die er über die Personen um sich herum rausfindet, konzentriert. Die Tatsache, dass ich von Anfang an Celehar so sehr ins Herz geschlossen habe, hat dafür gesorgt, dass ich selbst bei den eher gemächlichen Passagen mit voller Konzentration dabei war, weil ich nicht nur neugierig auf die Ergebnisse seiner Ermittelungen, sondern auf seine persönliche Reaktion darauf war. Ich fand es schön mitzuverfolgen, wie er im Laufe des Romans ein wenig Frieden mit den Ereignissen aus seiner Vergangenheit schließt und wie er zaghaft neue Freundschaften knüpft.

Außerdem bin ich weiterhin fasziniert von der Welt, die die Autorin rund um ihre Elven und Goblins geschaffen hat, auch wenn mich auch dieses Mal das Problem mit den unterschiedlichen Anreden für die verschiedenen Personen fertiggemacht hat. Es ist nicht gerade einfach, bei einer solch großen Gruppe von Charakteren den Überblick zu behalten, wenn die Anreden davon abhängen, in welchem Verhältnis die miteinander sprechenden Personen stehen, welches Statusgefälle eine Rolle spielt oder ob die Figuren sich gerade privat oder in ihrer offiziellen Funktion miteinander unterhalten. Aber da es sich schon bei „The Goblin Emperor“ bewährt hat, wenn ich mir da keinen Stress gemacht habe und einfach darauf wartete, dass mir die folgenden Absätze schon erklären werden, welcher Charakter da gerade mit dem Protagonisten redet, habe ich das auch dieses Mal einfach hingenommen. In der Regel klappte das auch ganz gut – was aber auch daran lag, dass ich „The Witness for the Dead“ so sehr mochte, dass ich den Roman wirklich zügig gelesen habe. Am Ende ist es mir überraschend schwer gefallen, Celehar und seine Welt zu verlassen – weshalb ich direkt im Anschluss zu „The Grief of Stones“ gegriffen habe.

Katherine Addison: Der Winterkaiser

Es fiel mir am Anfang schwer, in die Handlung von „Der Winterkaiser“ von Katherine Addison hereinzukommen, da die Autorin eine ungewöhnliche Gesellschaft geschaffen hat und es nach den ersten Seiten nur so vor unvertrauten Namen und Posten am Kaiserhof wimmelt. Trotzdem hat mich der Roman von Beginn an gepackt, weil ich den Protagonisten Maia sehr mochte und gespannt war, was aus ihm wird. Maia ist der ungeliebte Sohn des Elfenkaisers und seiner verstorbenen Koboldfrau. Nach dem Tod seiner Mutter wurde der Junge von einem Cousin aufgezogen, dem diese Aufgabe als Bestrafung zugeteilt wurde. So hat Maia bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr kaum etwas vom Hofleben mitbekommen (und in erster Linie gelernt, mit der Abneigung seines Cousins umzugehen), als sein Vater, seine drei älteren Brüder und sein Neffe bei einem Luftschiff-Unglück ums Leben kommen und Maia als einziges überlebendes männliches Mitglied der Familie zum Kaiser gekrönt wird.

Maia ist sich mehr als bewusst, dass er keine Ahnung von den Dingen hat, die er als Kaiser wissen sollte, ebenso wie dies seinem Hofstaat bekannt ist. Doch während einige treue Gefolgsleute versuchen, ihrem neuen Kaiser zur Seite zu stehen, gibt es eine unheimlich große Menge an Adeligen und Beamten, die seine Unwissenheit ausnutzen wollen. Dazu kommt noch ein Lordkanzler, der nur seine eigenen Interessen im Sinn hat – und dem es am liebsten wäre, wenn der neue Kaiser keine eigene Meinung hätte, die ihm dabei im die Quere kommt. Auch Maias Verwandte, von denen er die meisten in den Tagen vor seiner Krönung das erste Mal trifft, sind – im besten Fall – misstrauisch, wenn es um den unerfahrenen Kaiser geht. Komplizierter wird die Situation für den jungen Monarchen, als Ermittlungen ergeben, dass der Luftschiff-Absturz die Folge eines Attentats war und kein Unglück.

Ich bin wirklich hingerissen von diesem Fantasy-Roman, obwohl ich normalerweise deutlich actionreichere Lektüre bevorzuge. In „Der Winterkaiser“ hingegen scheint auf den ersten Blick fast nichts zu passieren, denn die gesamte Handlung dreht sich nur um die wenigen Wochen, die dem Absturz des Luftschiffs folgen und in denen Maia einen Weg finden muss, um als Kaiser zu überleben. Als Leser erlebt man die gesamte Geschichte aus Maias Perspektive und kann so die ganze Verwirrung, die Angst und die Überforderung des jungen Mannes mitfühlen. Er hat keinerlei Erfahrungen mit der Welt am Hof machen können und keine Ahnung von all den politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die seine Beschlüsse mit sich bringen können, und muss trotzdem vom ersten Tag an folgenschwere Entscheidungen treffen.

So besteht die Handlung vor allem aus vielen, vielen kleinen Szenen, in denen Maia auf die verschiedensten Elfen, Kobolde und Halbelfen trifft und sich ein Bild von den Personen und der Situation machen muss. Es gibt sehr viele Dialoge, sehr viele politische Elemente, sehr viele Intrigen und sehr viele kleine Momente, in denen Maia über sich hinauswachsen muss. Letzteres ist es, was den Roman für mich so großartig gemacht hat. Bei all seiner Unsicherheit beweist Maia mehr Rückgrat, als man es bei einem so jungen Mann erwarten könnte. Er ist natürlich zwischendurch auch wehleidig, verängstigt und zornig, aber da ihm bewusst ist, wie viel Macht ein Kaiser hat, bemüht er sich, diese nicht zu missbrauchen und bedacht und richtig zu handeln.

Katherine Addison hat in diesem Roman selbst bei den Momenten in der Geschichte auf Tempo oder Dramatik verzichtet, bei denen sie das hätte einflechten können. So gibt es zwar Attentate auf den neuen Kaiser, aber auch hier dreht sich die Handlung vor allem um Maias Innenleben, um seine Bemühungen, mit den Taten fertig zu werden, Haltung zu bewahren und Entscheidungen zu treffen, die zum Besten für sein Reich und die Personen um ihn herum sind. Ich mochte diese unaufgeregte Erzählweise sehr gern, ebenso wie die verschiedenen Figuren rund um den jungen Kaiser. Denn auch wenn keiner von ihnen in einer Position ist, die es ihm erlauben würde, Maias Freund zu werden, so sind viele darunter, die ihm bei seiner Aufgabe helfen wollen, und das ist schön zu verfolgen.

Mein einziger Kritikpunkt bei „Der Winterkaiser“ sind die Namen der vielen verschiedenen Figuren. Zwar gibt es am Ende des Romans eine Erläuterung zum Aufbau der Namen, aber das half mir in der Regel nicht weiter, wenn ich beim Lesen mal wieder über eine Figur stolperte, die das letzte Mal vor ein paar Kapiteln vorkam und deren Namen – da zum Teil der Titel, die Funktion bei Hof oder die Familienzugehörigkeit die Anrede bestimmten – ich nicht gleich zuordnen konnte. Irgendwann habe ich einfach aufgegeben und darauf gewartet, dass die folgenden Textpassagen mir genügend Informationen gaben, um die Person wiederzuerkennen. Auch das zusätzliche Namensverzeichnis war da keine große Hilfe, weil die Figuren entweder gar nicht aufgeführt waren oder nicht unter dem Stichwort zu finden waren, unter dem ich sie suchte. Davon abgesehen fand ich den Roman wirklich toll und finde es großartig, wie die Autorin die verschiedenen Charaktere angelegt hat.