Keigo Higashino: Heilige Mörderin (Professor Yukawa 2)

Auch „Heilige Mörderin“ von Keigo Higashino war eine Leihgabe von Natira. Der Roman ist im Original der fünfte Band mit Professor Yukawa und der zweite, der ins Deutsche übersetzt wurde. Wie schon bei „Verdächtige Geliebte“ weiß man als Leser von Anfang an, wer den Mord an dem Geschäftsmann Yoshitaka Mashiba begangen hat. Die große Frage besteht darin, wie die Tat begangen wurde und ob man es der Mörderin nachweisen kann. Abgesehen von der ersten Szene, in der Ayane Mashiba von ihrem Mann erfährt, dass er sich scheiden lassen will, weil sie bislang nicht schwanger geworden ist, bekommt man keine Einsicht in die Gedanken der Mörderin.

So weiß man als Leser zwar, dass dieser Moment, in dem ihr Mann ihr seinen Entschluss mitteilt, sich von ihr trennen zu wollen, der Auslöser ist, aber weder die Vorgeschichte noch die genauen Hintergründe rund um das Verbrechen sind bekannt. So tappt man wie die Polizei im Dunkeln, wenn es um das wirkliche Motiv für die Tat und die genaue Durchführung des Mordes geht. Die einzigen bekannten Punkte sind die, dass sich Yoshitaka von seiner Frau scheiden lassen wollte, dass er ein Verhältnis mit ihrer Angestellten Hiromi Wakayama hatte und dass er mit Arsensäure vergiftet wurde, während Ayane verreist war.

Obwohl man keine Einsicht in Ayanes Gedanken bekommt, ist einem die Frau nicht unsympathisch. Sie hat anscheinend sehr viel Arbeit in ihre Ehe investiert und das vergangene Jahr über alles dafür getan, dass es ihrem Mann gutgeht. Sie ist die perfekte Gastgeberin, sie sorgt dafür, dass das gemeinsame Heim gemütlich und voll blühender Blumen ist, und sie hat ihren eigenen Beruf – das Führen einer Patchworkschule – so weit hintangestellt, dass nun Hiromi den Unterricht gibt, während Ayane nur noch in ihrem Wohnzimmer an ihren Patchworkarbeiten näht. Auch auf Inspektor Kusanagi macht die zurückhaltende Frau großen Eindruck, was seine Untergebene Kaoru Utsumi befürchten lässt, dass er nicht objektiv an die Ermittlungen herangeht.

Diese Befürchtung und die Tatsache, dass die Polizei absolut nicht in der Lage ist herauszufinden, wie dem Ermordeten das Gift verabreicht wurde, führt dazu, dass sich Kaoru Utsumi hinter Inspektor Kusanagis Rücken an Professor Yukawa wendet. Er hat der Polizei schon so oft bei ihren Fällen geholfen und sein wissenschaftlicher und analytischer Verstand lässt ihn eine ganz andere Perspektive bezüglich dieses kriminalistischen Problems einnehmen. Dabei weiht der Physiker die Polizisten selten detailliert in seine Überlegungen ein, sondern prüft lieber vor Ort (oder mit der Unterstützung von Speziallabors) seine Hypothesen.

So ensteht die Spannung in „Heilige Mörderin“ vor allem aus den zwischenmenschlichen Momenten. Egal, ob es dabei um das Verhältnis zwischen Inspektor Kusanagi und der Verdächtigen geht, um die Zusammenarbeit zwischen dem Inspektor und seiner Untergebenen oder um die Momente, in denen sich Ayane und Hiromi über ihre gemeinsame Arbeit oder den verstorbenen Yoshitaka austauschen. Bei jedem Gespräch, bei jedem Aufeinandertreffen fragt man sich, ob es einen neuen Hinweis geben könnte, der Licht in die ganze Angelegenheit bringen könnte. Dazu kommen noch all die kleinen Momente, die – gerade, weil sie so alltäglich sind – viel über Japan und das Leben der Menschen dort aufzeigen, was ich immer wieder faszinierend finde.

Oh, und nachdem ich ja gerade vor kurzem erst „Böse Absichten“ gelesen habe, fand ich es interessant, dass Kaigo Higashino zwar immer sehr, sehr ähnlich an eine Kriminalgeschichte herangeht, dass es ihm aber trotzdem gelingt, jedes Mal eine ganz eigene Atmosphäre zu schaffen, die jedem Roman einen individuellen Touch verleiht. Das hängt nicht nur mit dem jeweiligen Mord zusammen, sondern auch mit den Charakteren, die gerade durch ihre Zurückhaltung und durch die wenigen Informationen, die man über sie erhält, einen großen Eindruck hinterlassen.

7 Kommentare

  1. Nicole/Frau Frieda

    Hört sich wirklich interessant an, liebe Winterkatze! Obwohl ich zugeben muss, dass die Handlung in einem für mich falschen Kulturkreis stattfinden (ähem.. Asien packt mich einfach nicht) Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich mir diese ganz andere Welt nicht vorstellen kann. Ich habe sie ja auch noch nie erlebt ;))) Ganz liebe Wochenendgrüße, Nicole

  2. Vielleicht gibst du dem Autor mal eine Chance. Diese reduzierte Erzählweise finde ich wirklich gut zu lesen und mir persönlich liegen japanische Romane in der Regel mehr als zum Beispiel italienische oder französische, wo mich die Blumigkeit der Sprache oft irritiert. Gerade "Heilige Mörderin" wäre passend für einen ersten Versuch, da das Motiv und die Handlungen auch ohne kulturellen Hintergrund nachvollziehbar sind – soweit Mordmotive nachvollziehbar sein können. 😉

    Hab ein wunderschönes Wochenende mit genügend Poolstunden für die gesamte Familie! 🙂

  3. Nicole/Frau Frieda

    Okay.. ich geb dem Autor eine Chance ;)) und werde bei meinem nächsten Büchereibesuch danach Ausschau halten! Versprochen ;))

  4. Ich kenne den japanischen Kulturkreis ja auch nur durch Literatur – und in den letzten Jahren durch ein paar … verwegene Filme – kennen; es ist eine Mischung aus Fremdheit, Unverständnis, Irritation, Faszination, Neugierde… Auch wenn ich immer mit Interesse bei einem Buch oder einem Film dabei bin, das hilft nicht immer – manchmal ende ich mit "Hng?!", z.B. bei "Am Meer ist es wärmer".

    Was Higashino angeht: Ich mag seine Kriminalromane, soweit ich sie bislang gelesen habe, und würde es sehr, sehr gern sehen, wenn auch die übrigen Bände der jeweiligen Reihen ins Deutsche übersetzt würden! 🙂

  5. @Natira: Ich glaube, es war ganz gut, dass du "Ryuzo and the seven Henchman" nicht gesehen hast. Obwohl es in dem Film sehr viele schöne und wahre "alte Männer"-Momente gab. 🙂

    Ich denke, es gibt einfach in jeder Kultur so viele Facetten, dass es für einen Fremden nicht einfach ist, für alle Aspekte Verständnis aufzubringen. Manchmal stelle ich mir vor, wie jemand versucht aus einem Otto-Film und einem Fassbender-Film einen Eindruck über Deutschland zu gewinnen …

    Ich würde mich auch freuen, wenn die weiteren Bücher von Higashino veröffentlicht würden.

  6. Was für eine Vorstellung: Otto und Fassbender! Alternativ vielleicht ein kesseliger Werner und dazu Herrn Wenders. 🙂 Du hast natürlich recht.

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