„Böse Absichten“ von Keigo Higashino ist eine Leihgabe von Natira, die mir im vergangenen Jahr auch schon „Verdächtige Geliebte“ von dem Autor geliehen hatte. Vom deutschen Verlag wird „Böse Absichten“ als erster Band der „Inspektor Kaga“-Reihe bezeichnet, laut Wikipedia ist es nur der erste ins Deutsche übersetzte Teil der Reihe und die vierte Veröffentlichung rund um diesen Inspektor. Auch „Verdächtige Geliebte“ war nicht der erste Band rund um den Physikprofessor Yukawa, sondern schon der dritte Roman mit diesem Protagonisten. So etwas finde ich immer wieder sehr nervig, aber ohne besondere Fremdsprachenkenntnisse bin ich nun mal auf die Veröffentlichungspolitik der deutschen Verlage angewiesen – immerhin muss ich zugeben, dass „Verdächtige Geliebte“ ebenso wie „Böse Absichten“ auch ohne Vorwissen gut zu lesen waren.
Ich bin etwas verhalten an den Roman herangegangen, weil ich „Verdächtige Geliebte“ zwar sehr gern gelesen hatte, aber nach den ersten Seiten von „Böse Absichten“ befürchtete, dass der Autor sich bei seiner Herangehensweise an die Geschichte zu sehr wiederholen würde. Denn ebenso wie bei „Verdächtige Geliebte“ bekommt man bei „Böse Absichten“ einen Teil der Handlung von einem Verdächtigen erzählt und erlebt so als Leser die Geschichte gefiltert durch die Sicht eines Beteiligten. Aber es ist Keigo Higashino zum Glück gelungen die Ereignisse rund um den Mord an dem Schriftsteller Kunihiko Hidaka so zu gestalten, dass es für den Leser immer wieder überraschende Wendungen und unerwartete Ereignisse gab.
„Böse Absichten“ ist kein klassischer Krimi. Man bekommt als Leser von dem Verdächtigen Osamu Nonoguchi erzählt, wie er eines Abends seinen Freund Kunihiko Hidaka besuchen wollte und das Haus scheinbar leer vorfand. Kurz darauf entdeckt er mit der herbeigerufenen Ehefrau des Schriftstellers den Toten. Da auch Osamu Nonoguchi Schriftsteller ist, ist es ihm ein Bedürfnis dieses erschütternde Erlebnis festzuhalten und so beginnt er detaillierte Aufzeichnungen über den Tag, an dem er den Ermordeten zum letzten Mal gesehen hat, über die nicht eingehaltene Verabredung und die folgenden Begegnungen mit potenziellen Verdächtigen, Betroffenen und der Polizei.
Nonoguchis Aufzeichnungen werden ergänzt durch die Berichte und Notizen des Kommissars. Dabei muss sich Kommissar Kaga während der Ermittlungen nicht nur in die Person des Mörders versetzen und intensive Nachforschungen anstellen, um überhaupt erst einmal ein mögliches Motiv zu entdecken, sondern er muss im Laufe der Zeit auch alles, was er als gegebenes Wissen über die verschiedenen Beteiligten gespeichert hatte, verdrängen und noch einmal ganz von vorne anfangen.
Ich mochte die ruhige und unaufgeregte Erzählweise bei diesem Kriminalroman und die ungewöhnliche Herangehensweise des Autors. Obwohl er sich der gleichen Erzählperspektive bedient wie bei „Verdächtige Geliebte“ gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen den beiden Büchern. In „Böse Absichten“ steht relativ schnell fest wie der Mord begangen wurde (und eigentlich kann man sich als Leser auch von Anfang an sicher sein, wer die Tat verübt hat), aber es scheint einfach kein Motiv für die Ermordung von Kunihiko Hidaka zu geben. So dreht sich die Handlung weniger darum den Mörder zu finden als um die Suche nach den Hintergründen der Tat. Diese Suche führt den Kommissar in die Vergangenheit des Ermordeten bis hin zu seiner Grundschulzeit und bietet für den Leser immer wieder neue und überraschende Wendungen, die man so nicht erwarten konnte.
So eine Herangehensweise sorgt nicht gerade für eine rasante oder spannende Krimihandlung, aber für kleine und feine Szenen, die viel über die beteiligten Charaktere und die japanische Kultur aussagen, und das ist perfekt für Leser, die gern versuchen aus all den kleinen Informationen ein Gesamtbild zusammenzusetzen. Ich fand es spannend, mir meine eigenen Gedanken über das Motiv machen zu können, es hat mir Spaß gemacht, dass mich Keigo Higashino an mindestens einer Stelle aufs Glatteis geführt hat, weil ich erwartete, dass er einen Hinweis auf die „übliche Weise“ in seinen Fall einbauen würde und ich mochte das gemächliche Tempo, das mir Zeit gab über die kleinen Dinge in der Geschichte nachzudenken.
Na, das klingt doch gut 🙂 Ich will das Buch auch noch lesen (im nächsten Frühjahr soll das Taschenbuch kommen – und wenn es mich vorher packt, steht noch "Heilige Mörderin" ungelesen im Regal).
Es ist immer wieder interessant, daß Krimis aus anderen Ländern sich beim Lesen auch irgendwie anders anfühlen und eine bestimmte Stimmung transportieren – ist mir bei skandinavischen oder asiatischen Büchern schon hin und wieder aufgefallen.
Das ist es auch. Nicht wahnsinnig mitreißend, aber fein und interessant. 🙂
"Heilige Mörderin" habe ich auch noch in der Kiste mit Leihbüchern, den Roman wollte ich in den nächsten Wochen auf noch lesen.
Ja, das finde ich auch spannend. Interessant finde ich auch, dass ich mit manchen Erzählweisen in der Regel hervorragend zurechtkommen, obwohl sie aus deutscher Sicht eher befremdliche Elemente beinhalten, während andere (gerade französische oder italienische) mir überhaupt nicht liegen, weil mir der Ton nicht zusagt.
Teilweise sind die Unterschiede sicherlich in den Sprachen begründet (deshalb lesen sich niederländische oder skandinavische Bücher auf Deutsch oft sehr "einfach"). Französischen Originaltexten merkt man das Blumige in der Übersetzung oft noch an *g* Finde ich zur Abwechslung auch mal nett (ich mag ja die Krimis von Vargas).
Mich schreckt das Blumige eher ab. Wobei ich mit spanisch-blumig weniger Probleme haben als mit französisch-blumig. Schon faszinierend. 😀
Wie ich schon an anderer Stelle geschrieben habe: Ich wünschte, (auch) diese Reihe würde übersetzt. Und auch die Einzeltitel von ihm 🙂
@Natira: Ich wünschte wirklich, die Verlage würden bei solch einer Veröffentlichungspolitik mal offen legen, warum sie sich dafür entschieden haben. Ob sie dachten, die anderen Titel würden sich für den deutschen Markt nicht eignen, ob die Rechte einfach zu teuer waren, ob … ich würde es einfach gern wissen.