„Die Gräfin der Lüfte“ ist das dritte Buch aus dem Hoffmann und Campe Verlag von Milena Agus, die schon mit ihrem Roman „Die Frau im Mond“ zu einer Bestseller-Autorin wurde. Milena Agus konzentriert sich in ihren Geschichten auf das Leben auf Sardinien und um die Eigenheiten der Sarden. Während ich sonst häufig mit italienischen Autoren nicht so recht warm werde, so mag ich die Bücher von Milena Agus – und da ich hier noch nichts über sie geschrieben habe, müsst ihr jetzt mit ein paar zusätzlichen Passagen zu diesen Geschichten leben, bevor ich zu „Die Gräfin der Lüfte“ komme.
Ihr erster Titel „Die Frau im Mond“ hat mich gut unterhalten. Ich war von ihrer Hauptfigur fasziniert, einer Frau, die trotz der harten Lebensumstände in ihrem Ort und des Drucks der Familie viele Jahre lang auf den richtigen Mann wartet. Eine Frau, die erst mit dreißig Jahren den Plänen ihrer Verwandtschaft nicht mehr standhalten kann und sich mit einem Mann verheiraten lässt, der aufgrund des (zweiten Welt-)Krieges aus der Hauptstadt Cagliari geflüchtet ist. Doch auch in dieser Vernunftehe träumt diese Sardin weiter von der großen Liebe … All das wird von ihrer Enkelin erzählt, ohne dass das Verhalten der Personen gewertet oder gar kommentiert wird. Es wird dem Leser überlassen, wie er das Benehmen der Figuren beurteilt und wie er die leichten Widersprüche deutet.
Mit „Die Flügel meines Vaters“ bin ich nicht ganz so warm geworden, aber auch hier sind Szenen oder Sätze in meiner Erinnerung haften geblieben. Wie bei „Die Gräfin der Lüfte“ erzählt Milena Agus in diesem Roman weniger eine Geschichte, als dass sie Momentaufnahmen vom Leben ihrer Protagonisten zeigt und versucht die Eigenheiten der Sarden und das Leben auf Sardinien zu beschreiben. Die Autorin verwendet eine sehr einfache Sprache und ebenso einfache Bilder und doch schwingt hinter jedem Absatz noch etwas Ungesagtes oder Ungezeigtes mit, das dafür sorgt, dass diese Szenen in mir nachklingen.
Nun aber zu „Die Gräfin der Lüfte“: Die Handlung dreht sich um drei Schwestern, die in einem alten Palazzo in Cagliari wohnen. Die drei gehören zu einer alten und verarmten Adelsfamilie – und so mussten sie in der Vergangenheit fünf von den acht Wohnungen ihres Palazzos verkaufen. Noemi, die älteste der Schwestern, ist Single und eine erfolgreiche Anwältin. Sie träumt davon den Stadtpalast eines Tages wieder in altem Glanz auferstehen zu lassen, die Fassaden zu renovieren, die Wohnungen zurückzukaufen und die Räume mit den prächtigen Möbeln ihrer Vorfahren einzurichten.
Die zweite der Schwestern, Maddalena, ist mit Salvatore verheiratet. Die beiden wünschen sich sehnlichst ein Kind und verbringen so viel Zeit wie möglich mit Sex. Die jüngste der drei Frauen wird von allen aufgrund ihrer Unbeholfenheit nur die „Contessa mit den Ricottahänden“ oder kurz Contessa (di Ricotta) genannt. Ich persönlich finde diesen Namen scheußlich, auch wenn er auf italienisch deutlich hübscher klingt. Die Contessa ist eine sehr weichherzige und ebenso ungeschickte Person. Sie gibt ihr ganzes Geld und ihren gesamten Hausrat an die Armen der Stadt weiter – die wohl zum Teil ohne ihre Mildtätigkeit besser dran gewesen wären -, obwohl sie selber ohne die Unterstützung ihrer Schwestern nicht über die Runden käme.
Auch bei der Arbeit versagt die Contessa regelmäßig, denn obwohl sie alle Prüfungen (mit Hilfe ihrer Schwestern) geschafft hat, erträgt sie es nicht als Lehrerin zu arbeiten. Nicht einmal die Aushilfsstellen, die sie immer wieder annimmt, bringt sie zu einem Ende, da sie den Lärm und den Spott der Schüler beim Unterrichten nicht erträgt. Sie hat einen kleinen Sohn, Carlino, der ebenso ein Außenseiter ist wie seine Mutter, und dessen Vater nichts mehr mit ihr zu tun haben möchte.
Milena Agus erzählt in ihrem Buch von den Hoffnungen und Wünschen dieser drei Frauen, die oft genug in einem harten Kontrast zu ihrer Realität stehen. Und doch führen ihre Träume dazu führen, dass jede von ihnen wunderschöne Zeiten erlebt. So kann man als Leser die Höhen und Tiefen im Leben der Schwestern miterleben, während sich kleine Beschreibungen der Umgebung und des Alltags in dieser Stadt durch die Zeilen ziehen.
Am Ende von „Die Gräfin der Lüfte“ blieben bei mir weniger die Erinnerung an einer Geschichte oder greifbare Handlung hängen, sondern Gerüche, Gefühle, Bilder und Träume. Ich habe das Gefühl, ich habe einen Blick auf Cagliari werfen können, hätte mich durch den dunklen Palazzo bewegt und mich vom Ausblick am Meer bezaubern lassen. In meiner Nase hängt der Geruch eines schimmeligen Kellers, in dem die Nachbarn der Schwestern wohnen, und der von Mandelgebäck, dass frisch gebacken wurde, um eine an Liebeskummer leidende Noemi aufzubauen. Ich möchte einen kleinen Garten mit einer Bruchsteinmauer hegen und pflegen – obwohl einem Teil von mir bewusst ist, dass ich mit meinem eigenen kleinen Garten nicht besonders gut zurecht komme *g* – und ich bin gerade fest davon überzeugt, dass es sich sehr heimelig anfühlen würde, wenn ich jetzt aus dem Fenstern der Nachbarn Klaviermusik hören würde.
Die Bücher von Milena Agus erzählen keine spannenden oder mitreißenden Geschichten, aber sie hinterlassen Eindrücke in mir, die noch eine ganze Weile nachklingen, die mir ein gutes Gefühl geben und die dafür sorgen, dass ich wohl auch zum nächsten Buch von der Autorin greifen werde. Ich muss aber zugeben, dass mir diese Romane nicht so wichtig sind, dass ich dafür 15 Euro für ein (wirklich schönes und liebevoll gemachtes) sehr dünnes Hardcover ausgeben wollte. Also werde ich auch dann wieder darauf warten, dass ich in der Bibliothek überraschend über eines ihrer Bücher stolpere, um mich damit für ein paar Stündchen nach Sardinien träumen zu können.
Das klingt ganz zauberhaft! Es ist schön, wenn uns die Worte oder Szenen einlullen, entführen und zum Träumen einladen.
Zauberhaft und stellenweise verwirrend, muss ich zugeben – und für die Bücher braucht es die richtige Stimmung! Aber dann klingen sie lange nach … 🙂
Hach, du machst mich schwach. Ich hab das Buch schon länger auf der Wunschliste, aber mir geht es da wie dir, ich gebe einfach ungern viel Geld für ein recht dünnes Buch aus 😉
@Grete: Muss ich mich jetzt entschuldigen? 😉 Bestimmt findet sich das Buch demnächst mal auf einem Wühltisch oder bei einer Tauschgruppe oder als Wanderbuch oder … hm, Weihnachtsgeschenk? Jetzt, wo die Lebkuchen auch in unseren Supermarkt gezogen sind, steht dieses Fest ja doch schon fast vor der Tür. *g*
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