Renata Petry: Hilgensee

„Hilgensee“ von Renata Petry habe ich in den letzten Tagen nur in die Hand genommen, weil das Buch zu den ältesten SuB-Leichen in meinem Regal gehört. Auf einen historischen Kriminalroman hatte ich eigentlich gar nicht so sehr Lust, aber das Buch reizte mich mehr als die fantastischen Romane, die neben diesem Titel auf dem Regalbrett standen. Überraschenderweise hat sich „Hilgensee“ nach einigen Seiten als unterhaltsamer und sehr entspannender Wohlfühlroman entpuppt – man darf als Leser nur nicht davon ausgehen, dass man es bei diesem Buch mit einem ernsthaften Krimi inklusive einer stimmigen Lösung zu tun hat.

Die Handlung spielt im Jahr 1906 in dem Damenstift „Hilgensee“ und man steigt als Leser (nach einem kurzem Prolog) an dem Tag in die Geschichte ein, an dem Annette (Änne) von Schalck dem Stift beitritt. Die erste Wochen über zweifelt Änne immer wieder an ihrer Entscheidung dem Stift beizutreten, denn ihre Stiftschwestern scheinen nicht sehr viel mit ihr gemeinsam zu haben. Außerdem neigt sie immer wieder dazu in diverse Fettnäpfchen zu treten und dazu findet sie die Vikarin Alwine von Hohenhagen, die ihrer Mentorin ist und ihr das Eingewöhnen erleichtern soll, ziemlich furchterregend.

Als dann auch noch der Hahn des Wirtschaftshofes kopflos in einem Baum hängend und eine ältere Stiftschwester leblos in der Orangerie des Stifts aufgefunden werden, wird Änne – gegen ihrer ausdrücklichen Willen – von Alwine von Hohenhagen und (der über 70 Jahre alten) Gertrud von Rhoda in die Ermittlungen verwickelt. Während die drei Damen versuchen, mehr über die diversen rätselhaften Vorfälle in Hilgensee herauszufinden, freundet sich Änne so langsam mit ihren beiden tatkräftigen Stiftsschwestern an, was zu so einigen amüsanten Szenen führt.

So ist es auf der einen Seite der Humor, der – trotz der Ermordung mehrerer Personen und Tiere – dafür gesorgt hat, dass mir das Buch beim Lesen Spaß gemacht hat. Auch wenn einige Szenen etwas überzogen dargestellt wurden (und man mit schwebenden Heiligen und anderen seltsamen Vorfällen zurechtkommen muss), so gab es viele Momente in der Geschichte, die für sich genommen realistisch wirkten und in der Summe dann dazu geführt haben, dass ich immer wieder beim Lesen vor mich hinkicherte (wobei ich zugeben muss, dass ich zwischendurch beim Lesen etwas übermüdet war und dann leicht zu erheitern bin).

Auch viele der Charaktere – allen voran Alwine und Gertrud – fand ich sehr sympathisch dargestellt. Während Alwine dazu neigt etwas zu kurz angebunden und zu bestimmend zu sein, aber hinter der abweisenden Fassade eine sehr warmherzige Person ist, ist Gertrud eine wunderbare spitzbübische alte Dame voller Lebenserfahrung. Sie ist die treibende Kraft, wenn einer Mitschwester, die dem Alkohol sehr zugetan ist, ein Streich gespielt wird, der sie vom heimlichen Trinken abhalten soll – wobei ich nicht verschweigen will, dass Gertrud zur Stärkung auch immer ein kleines Fläschchen mit sich führt. Und Gertrud ist es auch, die Änne ein wenig die Naivität austreibt und dafür sorgt, dass sie deutlich mehr Rückgrad entwickelt.

Die Krimihandlung kann man bei „Hilgensee“ eigentlich vergessen (vor allem angesichts der Tatsache, dass die Auflösung auch nicht so recht überzeugen kann), abgesehen davon, dass sie die Ausgangssituation für die Freundschaft zwischen Änne, Gertrud und Alwine schafft. Dafür bekommt man einen heiteren und kurzweiligen Roman voller netter zwischenmenschlicher Momente, skurriler Charaktere und appetitanregenden Tee- Cognac- und Plätzchen-Runden (die der Grund sind, warum ich heute Mittag noch Apfelkuchen backen werde, weil ich seit dem Lesen des Buches solchen Hunger darauf habe 😉 ).

8 Kommentare

  1. Übermüdet hin oder her, es klingt nach einem Wohlfühlbuch, wie schon von Dir auf Twitter erwähnt. Schön, dass es Dich nett unterhalten konnte. Viel Spass beim und leckeren Genuss nach dem Kuchenbacken. 🙂

  2. Ja, ein Wohlfühlbuch war es auf jeden Fall. Ich weiß noch nicht, ob ich es nett genug finde, um es zu behalten, aber für die letzten Tage war es genau das richtige. 🙂

    Danke! Leider steht zwischen mir und dem Backen noch das dreckige Treppenhaus (und die immer wieder aufkommende Frage, warum die Nachbarn aus dem Dachgeschoss immer alle ihre Schuhe vor ihrer Wohnungstür lagern). 😉

  3. kleiner Flur ohne Schuhschrank? Teppich hinter der Tür, der vor Schmutz geschützt werden soll? Beides? 😉

  4. Oder einfach Gleichgültigkeit gegenüber den armen Nachbarn, die den Flur putzen müssen. (Die Schuhe-stapelnden Dachgeschossbewohner lassen das nämlich immer von ihrer Putzfrau erledigen.)

  5. Scheint ja ein nettesBuch für zwischendurch zu sein.Manchmal langt es auch wenn einem die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander gefallen ,daß man sich mit einem Buch wohlfühlt.Vor allem beim Lümmeln auf der Couch.Guten Appetit beim Kuchenessen.Ich habe mich heute mal wieder an einen Hefezopf gewagt , mit Schokostückchen,und er ist tatsächlich gegangen.Er duftet schon im Ofen,und dann versinke ich in einer Stunde mit Kuchen,Tee und Buch auf dem Sofa.Schönes Wochenende

  6. @glencolumbscille: Ja, das war es auf jeden Fall! Und danke – der Kuchen war sehr lecker! 😀

    Hefezopf ist auch immer gut – mit Schokostückchen habe ich das noch nicht ausprobiert, aber das ist mal eine Idee! 🙂 Ich hoffe, du sitzt jetzt schön auf dem Sofa und genießt dein Wochenende!

  7. Ach, das ist doch immer schön, wenn man ohne große Erwartungen an ein Buch herangeht und es dann doch nett ist. 🙂 Freut mich, dass du mit dieser SuB-Leiche doch recht angenehme Lesestunden hattest. 🙂

  8. @Ariana: Ich fand das auch angenehm überraschend! Und ein bisschen hängt mir vor allem Gertrud noch etwas nach, was ich gar nicht erwartet hatte. 🙂

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