Ich muss zugeben, dass ich das Weird-West-RPG „Deadlands“ nicht kannte, bevor ich diesen Roman in die Finger bekam, aber nach dem Lesen kann ich behaupten, dass man die Hintergründe des Games oder der ersten beiden Bände („Ghostwalkers“ von Jonathan Maberry und „Thunder Moon Rising“ von Jeffrey Mariotte) auch nicht benötigt, um diese Geschichte genießen zu können. Erzählt wird die Handlung aus der Sicht von Annie Pearl, die beim Blackstone Familiy Circus – dem sie gemeinsam mit ihrer siebenjährigen Tochter Adeline angehört – für die Pflege der Kuriositäten zuständig ist. Schon früh lernt man, dass Annie in deutlich wohlhabenderen Umständen aufgewachsen ist und dass sie vor Jahren auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit beim Zirkus landete, als verzweifelte Frau mit einem Kleinkind auf der Hüfte und einem noch nicht ausgewachsenem Luchsweibchen auf den Schultern.
Die Geschichte beginnt im Herbst: Der Zirkus benötigt dringend noch einen guten Halt vor dem Winter, um genügend Geld für die kommenden Monate zu verdienen. Die Situation ist so angespannt, dass Jonathan Blackwood beschließt, mit seinem Zirkus nach „The Clearing“ zu reisen – eine kleine Stadt tief in der Wildnis von Oregon, wo die Menschen freundlich und der Profit groß sein sollen. Ihm ist, ebenso wie allen anderen Mitgliedern seines Zirkus, durchaus bewusst, dass eine Gelegenheit, die sich so gut anhört, einen Haken haben muss. Doch um all seine Angestellten (inklusive der diversen Waisenkinder, die ihren Weg zum Zirkus gefunden haben) über den Winter bringen zu können, muss er dieses Riskio eingehen.
Seanan McGuire lässt in „Boneyard“ die Handlung sehr langsam anlaufen, man lernt als Leser den Zirkus und die diversen Personen, die mit ihm verbunden sind, kennen, man erfährt ein wenig über Annies Alltag mit ihren Kuriositäten und welche Gefahren der Umgang mit diesen Wesen mit sich bringt. Mir hat es gut gefallen, wie die Autorin die diversen Charaktere vorstellt und wie sie die aktuelle Situation (und Vergangenheit) der verschiedenen Figuren durch kleine Beschreibungen und Szenen andeutet. Allerdings muss ich zugeben, dass dieses langsame Herantasten an die Geschichte auch dazu geführt hat, dass ich den Roman anfangs auch gut aus der Hand legen und mich mit etwas Anderem beschäftigen konnte. Dabei mochte ich grundsätzlich das Setting mit seinen Western-Steampunk-Horror-Elementen und fühlte mich von der Erzählweise stellenweise an die Jonathan-Healey-und-Frances-Brown-Kurzgeschichten aus Seanan McGuires InCryptid-Serie erinnert.
Als der Zirkus dann in „The Clearing“ ankommt, zieht die Handlung endlich an. Schnell wird klar, dass mit dem Ort wirklich etwas nicht in Ordung ist, und so findet sich Annie bald in einem Kampf um das Überleben ihrer Tochter und all der anderen Personen, die dem Zirkus angehören, wieder. Auch hier zieht das Tempo nicht besonders stark an, aber diese eher gemächliche Erzählweise passt zu dem Grauen, das in den Wäldern rund um „The Clearing“ heimisch ist. Das Warten darauf, dass man endlich die bedrohlichen Kreaturen zu Gesicht bekommt, die zwischen den Bäumen lauern, die Stunden, die sich Annie im Dunkeln durch den Wald bewegt, ohne zu wissen, ob sie Adeline jemals wieder zu Gesicht bekommen wird, die grauenhafte Geschichte, die der allein in einer Hütte in den Wäldern hausende Hal zu erzählen hat – all das sorgt für wunderbar atmosphärische Lesestunden, bei denen man die ganze Zeit darauf wartet, dass die Protagonisten endlich aktiv gegen die Bedrohung angehen können.
Allerdings gab es in „Boneyard“ auch Elemente, die ich nicht ganz so überzeugend fand und bei denen ich vermute, dass es zum Teil daran lag, dass ich mit „Deadlands“ nicht vertraut bin. So fand ich zwar die Beschreibungen von Annies Ehemann und seinem gottlosen Tun angemessen abstoßend, hatte aber das Gefühl, ich könnte seine Rolle in der Welt und die Position, die sein Mentor Dr. Hellstromme einnimmt, nicht richtig einschätzen. Auch hätte ich normalerwiese bei Seanan McGuire eine besser ausgebaute Hintergrundgeschichte zu „The Clearing“ erwartet, denn auch wenn sie durch die Einführung von Hal und seinen Erfahrungsbericht mit dem Ort und seinem Bürgermeister da noch einige Details nachgeliefert hat, so konnte mich das doch nicht ganz überzeugen. Alles in Allem hat mir das Lesen von „Boneyard“ aber sehr viel Spaß gemacht, und wenn ich wieder auf der Suche nach einer relativ ruhig erzählten Horrorgeschichte für einen dunklen und unheimlichen Herbsttag bin, dann werde ich „Boneyard“ gewiss noch einmal aus dem Regal ziehen.