Stephanie Burgis/Tiffany Trent (Hrsg.): The Underwater Ballroom Society (Anthologie)

„The Underwater Ballroom Society“ ist eine von Stephanie Burgis und Tiffany Trent herausgegebene Anthologie, die aus einem Austausch der beiden Autorinnen über den „Underwater Ballroom at Witley Park“ auf Twitter entstand. Ich habe Mitte März überraschenderweise das eBook gewonnen, da ich den Newsletter zu der Anthologie abonniert hatte – offiziell wird der Titel erst am 30. April veröffentlicht – und da ich bei solchen Sammlungen gern beim Lesen meine Gedanken zu den einzelnen Geschichten aufschreibe, gibt es wieder einen Blogpost zu dem Titel.

1. „The Queen of Life“ von Ysabeau S. Wilce

Bei „The Queen of Life“ fand ich sowohl die Welt, in der die Geschichte spielt, als auch die Erzählweise sehr eigen und musste mich erst einmal darauf einlassen. Nachdem ich aber beim Aufstieg der Band „Love’s Secret Domain“ angekommen war und verfolgen musste, wie der Bassist Robert Mynwar von dem Elfenkönig Oberon entführt wurde, hatte mich die Handlung gepackt. Ich mochte das wunderbar atmosphärische Treffen zwischen der Musikerin Sylvanna de Godervya und dem geheimnisvollen Jungen an einer Kreuzung ebenso wie die Rolle, die der dicke Corgi in den folgenden Passagen übernahm, und fand die Szene im Ballsaal der Feen sehr berührend. Doch das Beste war die Entwicklung der Protagonistin und die Art und Weise, wie die Geschichte endete. Das hat mir so viel Freude bereitet, dass ich direkt im Anschluss „Flora Segundas magische Missgeschicke“ von der Autorin in der Bibliothek auf die Merkliste gesetzt habe, um zu schauen, ob es da ebenso viele ungewöhnliche und atmosphärische Elemente zu finden gibt.

2. „Twelve Sisters“ von Y. S. Lee

„Twelve Sisters“ spielt zwölf Jahre, nachdem die zwölf Prinzessinnen ihre zertanzten Schuhe an den Nagel hängen und zusehen mussten, wie die Älteste von ihnen den Soldaten heiratete, der ihr Geheimnis aufdeckte. Schon im ersten Absatz wird deutlich, dass dieser Soldat seiner Frau in den vergangenen Jahren kein guter Ehemann war, dass er sie misshandelte und gegen ihren Willen dafür gesorgt hat, dass sie nun zum zwölften Mal schwanger ist. Doch nicht nur Prinzessin Anya leidet unter dem Soldaten, sondern das gesamte Königreich – und es wird noch schlimmer werden, wenn der todkranke König erst verstorben ist und der Soldat das Reich erbt. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive der jüngsten Prinzessin (Ling), die sich in den vergangenen Jahren nicht nur um ihren Vater und die älteste Schwester gekümmert hat, sondern auch um die verzauberte Welt, in der die Schwestern Nacht für Nacht tanzten. Ich fand Lings Perspektive (und ihre Prioritäten im Leben) wunderbar, ich mochte die märchenhafte und doch erschreckend realistische Atmosphäre dieser Geschichte sehr und ebenso gefiel mir die Lösung, die Y. S. Lee für die Prinzessinnen gefunden hat. Dummerweise hat das dazu geführt, dass ich mir prompt den Debütroman der Autorin („The Agency: A Spy in the House“) auf den Wunschzettel gepackt habe.

3. „Penhallow Amid Passing Things“ von Iona Datt Sharma

Das war eine wunderschöne Geschichte über eine Schmugglerin (Penhallow), den gleichnamigen Ort, für den sie verantwortlich ist, und die Gesetzeshüterin (Trevelyan), die an der Küste Dienst tut – und darüber, dass die beiden Frauen so viel verbinden könnte, wenn sie nicht auf gegensätzlichen Seiten des Gesetzes stünden. „Penhallow Amid Passing Things“ spielt in einem England, in dem die Magie nur noch Legende ist, auch wenn einige von den älteren Leuten immer noch hoffen, dass die Magie eines Tages wieder zurückkommt. Diese Sehnsucht nach Magie und das Gefühl, Unrecht verhindern zu müssen, ist es dann auch, die Penhallow und Trevelyan über ihren Schatten springen lässt und das ist wunderschön (und amüsant) zu verfolgen. Nur gut, dass die Autorin noch keinen Roman geschrieben hat, sonst hätte ich einen weiteren Zugang auf der Wunschliste zu verzeichnen …

4. „Mermaids, Singing“ von Tiffany Trent

Eine wunderschön erzählte Geschichte, die im viktorianischen London spielt und aus zwei Perspektiven erzählt wird. „Mermaids, Singing“ ist voller atmosphärischer Elemente wie dem Chinesischen Viertel und magischer Dinge wie Gestaltwandlern, Einhörnern, Harpyien, Meerjungfrauen und dem dazu passenden unheimlichen Zirkus. Die Bösewichte erinnern mich an Mommy Fortuna zu ihren mächtigsten Zeiten (inklusive passendem Partner), während die Protagonisten (wenn man davon absieht, dass der männliche Part ein Gestaltwandler ist) angenehm normal sind und vor allem aufgrund ihrer guten Zusammenarbeit und der wohlverdienten Unterstützung von höherer Stelle am Ende Erfolg haben. (Und da „The Unnaturalist“ von Tiffany Trent in derselben Welt zu spielen scheint und mir die Charaktere ebenso wie die Erzählweise in dieser Kurzgeschichte so gut gefallen hatten, ist gleich ein weiteres Buch auf die Wunschliste gewandert.)

5. „A Brand New Thing“ von Jenny Moss

So unterschiedlich die Geschichten sind, so sehr mag ich sie doch bislang alle – auch „A Brand New Thing“ von Jenny Moss rund um Eve, die so ganz anders ist als der Rest der Familie (von der ominösen Tante Dorothy mal abgesehen). Eve hat so ihre Eigenarten, deshalb fällt es ihr schwer, eine Arbeit zu unterbrechen, weil sie sie erst beenden muss, bevor sie sie zur Seite legen kann, sie tippt dreimal auf eine Türklinke, bevor sie sie benutzt, und sie versteht den Sinn hinter all den Konventionen der höheren britischen Gesellschaft so gar nicht. Während ihre Familie kurz vor der Hochzeit ihrer Schwester Edith besonders darauf bedacht ist, dass Eve sich nicht immer so schrecklich seltsam verhält, entdeckt zur selben Zeit Eve eine magisch wirkenden Ballsaal unter dem Teich auf dem Anwesen ihres Vaters. Ich habe die Perspektive von Eve so sehr gemochte, ebenso wie ihre Entwicklung im Laufe der Geschichte und die Tatsache, dass der Ballsaal nicht die Lösung für Eves Probleme beinhaltet. Ich würde wirklich gern mehr über Eve und ihr weiteres Schicksal lesen …

6. „Four Revelations from the Rusalka Ball“ von Cassandra Khaw

Vier Enthüllungen über Dinge, die man bei einem Rusalka Ball sehen oder erleben kann. Keine Geschichte, aber kleine, skurrile und magische Dinge, die die Fantasie des Lesers anheizen.

7. „Spellswept“ von Stephanie Burgis

Die Kurzgeschichte Spellswept erzählt davon, wie Amy und Jonathan, die ich schon aus dem Titel „Snowspelled“ kenne, zusammenkamen. In der Welt, die Stephanie Burgis hier entworfen hat, liegt die politische Macht in den Händen der Frauen, während die Männer (als emotionaleres Geschlecht) Magie lernen und mit dieser ihre Frauen bei ihrer Arbeit unterstützen. Für eine junge Frau wie Amy, die ihr Leben lang darauf hingearbeitet hat, eine politische Karriere zu verfolgen, kommt es also überhaupt nicht in Frage, einen Mann wie Jonathan, der über keinerlei magische Ausbildung verfügt, zu heiraten. Während Amy also eigentlich plant, auf dem Frühlingsball ihre Verlobung mit Lord Llewellyn bekanntzugeben, lernt sie im Laufe des Abends, dass es manchmal nötig ist, nicht den traditionellen Weg einzuschlagen, um ein Ziel zu erreichen. So eine süße Liebesgeschichte, voller amüsanter Momente und unglaublich rührender Szenen. Ich mag die Figuren und ich mag die Welt, die Stephanie Burgis da geschaffen hat. (Und im Gegensatz zu „Snowspelled“, das mir viel zu kurz war, fand ich hier die Länge der Geschichte für die Handlung auch passend.)

8. „The River Always Wins“ von Laura Anne Gilman

Ich mochte an dieser Geschichte sehr, dass der „Ballsaal“ dieses Mal ein Punk-Club kurz vor dem Abriss war. Ein Punk-Club voller übernatürlicher Gestalten aus den unterschiedlichsten Mythologien, die zum letzten Mal den Ort besuchen, an dem sie in ihrer Jugend all ihre Aggressionen rauslassen konnten. Dummerweise bringt dieses letzte Mal auch so einige Erinnerungen an frühere Zeiten zurück, die nicht ganz so erinnerungswert sind. Sehr interessante Variante einer Sirene, sehr atmosphärisch erzählte Geschichte und eine tolle Freundschaft zwischen zwei ungewöhnlichen Frauen. (Keine neue Autorin für die Wunschliste, da Laura Anne Gilman da schon länger draufsteht … 😉 )

9. „The Amethyst Deceiver“ von Shveta Thakrar

Eine Geschichte über eine ungewöhnliche symbiotische Gemeinschaft und über die Industrialisierung und ihre Folgen für die Natur. Und auch eine Geschichte über das Leben als Kind eines englischen Vaters und einer indischen Mutter in einem Land, in dem die höhere Gesellschaft diese Mutter und ihre Kinder wohl niemals als ebenbürtig ansehen wird, unabhängig davon, wer ihr Vater ist und wie sie sich benehmen. Sehr schöne fantastische Elemente – ich fand es toll, dass Pilze hier für mehr als nur den klassischen Feenkreis stehen -, starke Erzählstimme, deren Beweggründe und Gefühle mich schnell gepackt haben, und eine wunderbare Wendung am Ende. Ich mag die ungewöhnliche Idee hinter der Geschichte und würde gern mehr über die verschiedenen Pilze lernen.

10. „A Spy in the Deep“ von Patrick Samphire

„A Spy in the Deep“ ist eine Geschichte, die in der „Regency Mars“-Welt des Autors spielt und sich um Harriet George dreht, die mitten in der Ausbildung zur Spionin für die Britisch-Marsianische-Regierung steckt. Um zu beweisen, was sie in den vergangenen Monaten alles gelernt hat, soll Harriet eigenständig (wenn auch unter Aufsicht) eine einfache Mission bewältigen – bei der natürlich alles schiefläuft, was schieflaufen kann. Ich fand die Geschichte sehr unterhaltsam, ich mochte die Charaktere (also die, die auch sympathisch sein sollten) und ich habe es genossen, Harriet bei der Durchführung ihrer Mission zu verfolgen. Zu meiner eigenen Überraschung hatte ich aber erstaunlich große Probleme mit der Vorstellung von einer Britisch-Marsianischen-Gesellschaft, in der es auf der einen Seite im Jahr 1816 Krieg mit Napoleon gibt und auf der anderen Seite der Mars durchgehend besiedelt ist (inklusive einheimischer „Marsianer“, die vor vielen Jahrtausenden von der Erde dorthin ausgewandert waren). Das ist definitiv mein ganz persönliches Problem und liegt nicht an der Erzählweise von Patrick Samphire – die ist so unterhaltsam, dass ich nun um die erste Geschichte rund um Harriet George herumschleiche, weil ich wissen will, was es mit dem „Gläsernen Phantom“ auf sich hat.

***

Insgesamt war ich wirklich sehr glücklich mit „The Underwater Ballroom Society“. Es gibt nur selten Anthologien, bei denen ich durchgehend so zufrieden mit den Geschichten bin, mich so gut unterhalten fühle und so viele neue Autoren auf meine Merkliste setze. Die verschiedenen Kurzgeschichten sind wunderbar vielfältig, es gibt ein angenehm diverses Figurenspektrum, sehr viele ungewöhnliche fantastische Grundideen und immer wieder überraschende Wendungen. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht!

5 Kommentare

  1. Eva-Maria H.

    Meine Güte, ich bin immer wieder von den Socken, was du alles so wegliest.

    Hab eine gute Woche und viele Grüße Eva

  2. … Und inzwischen ist die Anthologie auch bei Amazon zu finden. Das klingt wunderbar und wird auf jeden Fall gekauft 🙂 Zum Glück habe ich von einigen Autoren schon Romane zu Hause, die ich bei Gefallen noch lesen kann, bevor ich weitere kaufen müsste (Patrick Samphire und Tiffany Trent zum Beispiel).

    Kommt die Anthologie eigentlich auch als Papierbuch oder bleibt es ein ebook?

  3. @Kiya: Bislang habe ich bei keinen Tweet und keinem Blogbeitrag eine TB-Ausgabe erwähnt gesehen. Ich gehe deshalb davon aus, dass es nur eine eBook-Ausgabe geben wird. Oh, und wenn du sie vorbestellst, dann gibt es sie anscheinend günstiger. Zumindest wirbt Stephanie Burgis gerade mit einem sehr günstigen Preis fürs Vorbestellen (und bei ihren anderen selbstverlegten Titeln waren die Vorbestellungen auch immer einige Euro günstiger als der Preis nach Veröffentlichung).

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