Schlagwort: Ghost Roads

Seanan McGuire: The Girl in the Green Silk Gown (Ghost Roads 2)

Als im Mai 2014 „Sparrow Hill Road“ von Seanan McGuire veröffentlicht wurde, sah es nicht so aus, als ob es jemals weitere Geschichten zu Rose Marshall zu lesen gäbe, was ich sehr schade fand, denn ich mochte den Hitchhiker Ghost und seine Welt sehr gern. In diesem Jahr ist dann mit „The Girl in the Green Silk Gown“ doch noch eine Fortsetzung erschienen, und im Gegensatz zu „Sparrow Hill Road“ wird hier die Handlung nicht in einzelnen und nur locker zusammenhängenden Episoden erzählt. Während man im ersten Teil Rose und ihre Art des Zwielichts kennengelernt und mehr über die wenigen Fixpunkte in ihrem Leben nach dem Tod herausgefunden hat, dreht sich die Geschichte in „The Girl in the Green Silk Gown“ um eine Auseinandersetzung mit dem Mann, der vor über sechzig Jahren für Rose‘ Tod verantwortlich war.

Bobby Cross (auch Diamond Bobby genannt) hatte Rose an dem Abend in einen tödlichen Unfall verwickelt, an dem sie auf dem Weg zu ihrem Abschlussball war. Statt ihre Seele zu fangen, wie er es eigentlich geplant hatte, konnte Rose ihm entkommen. Seitdem wird sie von ihm gejagt. Doch je länger Rose im Zwielicht unterwegs ist, je mehr Straßen sie als Hitchhiker Ghost bereist und je mehr sie über Bobby Cross und sein Geschäft mit den Crossroads lernt, desto entschlossener ist sie, ihm das Handwerk zu legen. Als Verbündete bei diesem Vorhaben stehen ihr die Routewitches zur Seite – allen voran Apple, die Königin der Routewitches von Nordamerika. Aber selbst so mächtige Verbündete können nicht verhindern, dass Rose zu Beginn von „The Girl in the Green Silk Gown“ in eine Falle tappt, die Bobby Cross ihr gestellt hat.

So dreht sich eigentlich die gesamte Handlung des Romans um das, was Bobby Cross Rose angetan hat, und um ihre Anstrengungen, die Folgen von Bobbys Falle wieder rückgängig zu machen. Dabei hat Rose zwar mächtige Freunde und Verbündete an ihrer Seite, aber Bobby hatte viel Zeit, seine Pläne zu schmieden, sämtliche Schritte von Rose vorherzusehen und ihr dementsprechende Hindernisse in den Weg zu legen. All diese Widernisse haben mir manchmal das Gefühl gegeben, dass gar nicht so viel in diesem Roman passiert, aber das war nicht schlimm, denn wie so oft sind es vor allem die ungewöhnlichen Details, die Beziehungen der Charaktere zueinander und der grandiose Umgang mit vertrauten Legenden und Mythen, die den Unterhaltungswert bei Seanan McGuires Büchern für mich ausmachen. Auch sorgt die Veränderung der Erzählform nicht nur dafür, dass die Autorin in „The Girl in the Green Silk Gown“ mehr Raum hat für die kleinen Alltäglichkeiten in Rose‘ Leben als Hitchhiker, die in „Sparrow Hill Road“ nicht zur Sprache kamen, sondern auch dafür, dass man den Roman wirklich zügig durchlesen kann.

Am Ende ist Rose‘ Auseinandersetzung mit Bobby Cross nicht endgültig besiegelt, was mich hoffen lässt, dass noch mehr Geschichten rund um den Hitchhiker Ghost von Seanan McGuire veröffentlicht werden. Mit jeder Veröffentlichung wird die Welt, in der Rose lebt, größer und detaillierter, und ich mag dieses unerbittliche und doch so viel schöne Momente und faszinierende Charaktere mit sich bringende Zwielicht. Ich mag die Melancholie, die Rose‘ Leben nach dem Tod durchzieht, ebenso wie die unglaublich traurigen Szenen, wenn sie einen Menschen nicht von seinem Weg abbringen und ihn am Ende nur noch ein Stückchen begleiten kann. Und weil eine Geschichte mit Melancholie und Traurigkeit nicht allein funktionieren kann, gibt es noch all die amüsanten Momente rund um Rose und ihr Umfeld und die vielen großen und kleinen überraschenden Wendungen in der Handlung, mit denen Seanan McGuire einen jedes Mal wieder erwischt.

Noch eine kleine Anmerkung zur veränderten Erzählform: Egal, ob Rose‘ Geschichte in einer Sammlung von einzelnen Episoden oder in einer durchgehenden Handlung erzählt wird, ich mag beide Varianten. Ich muss aber zugeben, dass mein Herz ein kleines bisschen mehr an den Kurzgeschichten aus „Sparrow Hill Road“ hängt. Denn dort mochte ich ganz besonders die Abwechslung, die vielen unvertrauten Figuren und das Gefühl, das Buch eine Weile aus der Hand legen zu können und ein Detail oder eine Idee noch etwas zu genießen, ohne mich die ganze Zeit zu fragen, wie es wohl weitergeht.

Seanan McGuire: Sparrow Hill Road

„Sparrow Hill Road“ von Seanan McGuire ist ein Einzelband mit Geschichten rund um Rose Marshall, ein in den 50er Jahren verstorbenes Mädchen, das seit Jahrzehnten immer wieder an amerikanischen Highways nach einer Mitfahrgelegenheit sucht ,.. Bevor ich mehr zum Inhalt sage, noch etwas zur Einordnung des Bandes in Seanan McGuires Romanwelt: „Sparrow Hill Road“ gehört nicht zu den „InCryptid“-Geschichten, aber die Ereignisse spielen in derselben Urban-Fantasy-Welt, auch wenn sich dies nur in ein, zwei Verweisen auf den Namen „Healy“ bemerkbar macht.

Wie schon bei „Indexing“ würde ich empfehlen, dass man sich beim Lesen von „Sparrow Hill Road“ Zeit lässt, um die einzelnen Geschichten zu genießen und langsam immer tiefer in diese Welt voller Geister einzutauchen. Das Buch ist dabei in vier Bereiche aufgeteilt, und während im ersten Abschnitt eher kleine und alltägliche Begebenheiten (also für Rose alltägliche Begebenheiten :D) geschildert werden, werden die späteren Geschichten immer intensiver und persönlicher. Jede Kurzgeschichte wird eingeleitet von einem Abschnitt, in dem etwas über diese Geisterwelt erklärt wird, etwas, das Rose in den vergangenen Jahrzehnten als „Hitchhiker-Ghost“ über die Highways des Landes und die Menschen und Geschöpfe, die dort existieren, gelernt hat.

Diese Erzählweise erfordert schon, dass man sich auf das Ganze einstellen und etwas Geduld haben muss, aber es lohnt sich definitiv, diese Geduld aufzubringen, denn Rose und ihre Geschichte sind meiner Meinung nach etwas Besonderes, und es hat mir – auf eine melancholische Weise – viel Spaß gemacht, „Sparrow Hill Road“ zu lesen. Die Sparrow Hill Road ist der Ort, an dem Rose mit sechzehn Jahren getötet wurde, in der Nacht, in der sie eigentlich mit ihrem Freund auf einen Ball gehen sollte. Doch er kam zu spät und sie wurde ungeduldig und machte sich allein auf den Weg – und wurde so zum Opfer eines getriebenen Mannes.

Da Rose auf der Straße getötet wurde, wurde sie zu einem Hitchhiker-Ghost, einer Anhalterin, die ihr untotes Dasein damit verbringt, über die Straßen von Amerika zu trampen. Doch Rose ist mehr als eine geisterhafte Anhalterin, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, zur Stelle zu sein, wenn Gefahr droht, dass ein Fahrer in einen tödlichen Unfall verwickelt wird. Manchmal kann sie dazu beitragen, dass derjenige, der sie in seinem Wagen mitnimmt, noch davonkommt, manchmal kann sie die Toten nur noch auf einem Stückchen ihres Weges begleiten, bis sie ihre Bestimmung nach dem Tod gefunden haben. Auch für Rose ist das „Leben“ auf der Straße nicht ganz ungefährlich, denn neben den diversen übernatürlichen Gefahren lauern z. B. auch Menschen auf sie, die aus den verschiedensten Gründen als Geisterjäger unterwegs sind. Doch niemand ist so schrecklich wie Bobby Cross, der Mann, der Rose getötet hat und nun auf der Jagd nach ihrer Seele ist.

Ich mag Rose sehr gern, sie ist hilfsbereit, aber nicht zu gut, sie hat Ecken und Kanten. Es gibt ein paar Freunde, die sie längere Zeit durch ihr untotes Leben begleiten, sowie einige Leute, die sie lieber meidet. Sie hat es geschafft, eine Nische nach ihrem Tod zu finden, mit der sie zufrieden ist – und im Laufe der Zeit lernt sie, ihre Angst vor Bobby Cross in Wut und Stärke umzuwandeln. Außerdem mag ich (mal wieder *g*) die Welt, die Seanan McGuire rund um Rose geschaffen hat. Es gibt ganz eigene Gesetzmäßigkeiten für eine Existenz nach dem Tod, und Rose weiß längst nicht alles, was in dieser Welt vor sich geht, aber gerade diese Mischung aus Wissen und Ungewissheit hat meine Fantasie befeuert.

Wenn man andere Kurzgeschichten von Seanan McGuire kennt, erkennt man vielleicht das eine oder andere Wesen (wie die Cheerleader-Walküren) wieder, aber auch ohne dieses Wiedererkennen machen die Figuren Sinn und es macht Spaß mitzuerleben, wie sie auf Rose treffen und was diese Begegnung für Rose bedeutet. Ich finde es auch immer wieder schön, wie es die Autorin schafft, mit wenigen Sätzen einer Figur so viel Profil zu verleihen, dass man das Gefühl hat, man hat eine klare Vorstellung von ihr. Manchmal reicht es schon, dass sie schreibt, dass jemand ein guter Mann ist, jemand, den man zum Freund haben möchte, und der eine Anhalterin nicht mitnimmt, weil er sich davon etwas erwartet, sondern weil er der Meinung ist, dass eine junge Frau nicht allein auf der Straße unterwegs sein sollte. Und nach diesen wenigen Sätzen bangt man so sehr um diesen Mann, dass man sich kaum traut, die nächste Seite umzublättern, weil man schließlich weiß, dass dort ein Unfall wartet und man befürchtet, dass Rose zu spät kommt, um ihn zu retten …