„The Silvered“ von Tanya Huff ist der erste „Nicht-Urban-Fantasy-Roman“ der Autorin, den ich gelesen habe, und er hat mir sehr gut gefallen. So gut, dass ich mal eben bis mitten in die Nacht durchgelesen habe, um die letzten Kapitel vor dem Schlafengehen zu schaffen. Die Geschichte spielt in einer Welt, deren Entwicklungsstand in etwa mit der Mitte unseres 19. Jahrhunderts vergleichbar ist. Es gibt Gaslaternen, Postkutschen, Fotografien und Zeitungen und es werden erste Einsätze von Betäubungsmitteln bei chirurgischen Eingriffen erwähnt. Viele dieser Errungenschaften werden vor allem in Kaiser Leopalds Reich eingesetzt, aber auch die Nachbarländer setzen nach und nach immer mehr auf Technik – vor allem, da diese im Gegensatz zur Magie von allen Personen eingesetzt werden kann.
Eines dieser Nachbarländer ist Aydori. Bis vor Kurzem lagen noch zwei Herzogtümer zwischen dem Kaiserreich und Aydori, doch die imperiale Armee hat sich diese beiden Länder inzwischen einverleibt und steht nun vor Aydoris Grenzen. Es ist nicht der erste Versuch des Kaisers, dieses Land zu erobern, doch zum ersten Mal führen seine Soldaten Waffen mit sich, gegen die die Verteidiger Aydoris – die vor allem aus Werwölfen bestehen – keine Chance haben. Während an der Grenze die ersten Schlachten geschlagen werden, dringt ein kaiserlicher Stoßtrupp unter dem Befehl von Captain Reiter ins Landesinnere vor, um sechs (schwangere) Magierinnen zu entführen. Diese sechs Frauen – bzw. eines ihrer ungeborenen Kinder – sollen laut einer Prophezeiung in der Lage sein, das Kaiserreich zu stürzen oder in neue Höhen zu führen.
Captain Reiters Auftrag ist es dann auch, der die Ereignisse in Gang setzt, die man als Leser in „The Silvered“ verfolgen kann. So wird die junge Mirian Maylin Zeugin von Reiters Überfall auf die Kutschen der fünf führenden Magierinnen. Sie macht sich auf den Weg zur Grenze, um Aydoris Herrscher (dessen Frau ebenfalls zu den Entführten gehört) von dem Vorfall zu informieren. Doch auf ihrem Weg wird sie von Captain Reiter gefangen genommen und für die noch fehlende Magierin gehalten. Nur durch das Eingreifen von Tomas Hagen gelingt Mirian die Flucht – und gemeinsam machen sich die beiden daran, die entführten Frauen zu retten.
Das Ganze klingt nach einer der üblichen Fantasygeschichten und es kommen auch wirklich viele klassische Elemente vor: Es gibt eine Prophezeiung, eine junge Frau, die angeblich nichts Besonderes ist und in deren Händen die Rettung des Landes liegt, einen jungen Mann, der der Dame beisteht, und einen Soldaten, der nur seinen Befehle ausführt (und doch nicht aufhören kann, über den Sinn dieser Befehle nachzudenken). Aber Tanya Huff hat aus diesen Zutaten eine so packende und wirklich unterhaltsame Geschichte gebastelt, dass mir das Lesen unheimlich viel Spaß gemacht hat. Ich brauchte allerdings anfangs etwas Zeit, um in die Welt – vor allem in Aydoris Gesellschaft – hineinzufinden und mich nicht mehr von all den Namen, die gerade zu Beginn der Geschichte auftauchen, erschlagen zu fühlen.
Ich fand die Welt sehr spannend beschrieben. Auf der einen Seite ist da das Kaiserreich, das mit seinen technischen Errungenschaften, der Konzentration auf Wissenschaften und seinem Bestreben nach mehr Land, mehr Reichtum und mehr Wissen zwar für eine Menge Fortschritt verantwortlich ist, aber eben auch erbarmungslos gegen jeden vorgeht, der nicht mitspielt. Auf der anderen Seite ist der Umgang mit neuen Technologien in Aydori deutlich behutsamer. Dieses Land wird vom Rudel (sowohl Wolfs-Rudel, als auch Magier-Rudel) regiert, was bedeutet, dass der Rudelführer gleichzeitig das Regierungsoberhaupt ist. Seine Prioritäten scheinen mehr beim Wohl der Personen zu liegen, die ihm unterstehen, seine Entscheidungen werden nach langfristigen Kriterien gefällt. So gibt es zum Beispiel eine Szene, in der darüber geredet wird, dass das Kaiserreich Zugang zu den aydorianischen Wäldern haben wollte, um dort Holz zu ernten, während der Rudelführer einen solchen Raubbau an der Natur nicht zulassen kann und will.
Ebenfalls fand ich es sehr stimmig dargestellt, wie die verschiedenen Menschen auf den Krieg in ihren Ländern reagieren. Das anfängliche Ignorieren der Gefahr, dann die Panik und der Versuch, alle Besitztümer auf der Flucht mitzunehmen, und später die Resignation und die Akzeptanz eines Lebens unter der (militärischen) Herrschaft der Eroberer. Doch vor allem die Charaktere haben es mir in „The Silvered“ angetan. Mirian ist anfangs einfach nur ein nettes Mädchen, das von allem etwas kann, aber nichts gut genug, um sich in einem Bereich hervorzutun. Sie weiß genau, dass ihre Zukunft darin bestehen wird, einen Mann zu heiraten, der für die Geschäfte ihres Vaters Vorteile bringen wird. Als sie nun Zeugin der Entführung der Magierinnen durch Captain Reiter wird, scheint sie die einzige zu sein, die Hilfe holen oder zumindest jemanden mit Befehlsgewalt informieren kann, und so macht Mirian sich auf den Weg. Bei jedem Schritt ist sie sich bewusst, dass es schwierig wird. Sie macht sich keine Illusionen über ihre Fähigkeiten und über ihre Chancen, aber sie kann nicht einfach zuschauen, wie etwas Schlimmes passiert, sondern muss alles in ihrer Macht Stehende versuchen, um den entführten Frauen beizustehen.
Tomas hingegen überschätzt sich ständig. Obwohl er miterlebt hat, wie seine Truppe dahingemetzelt wurde, hält er immer noch an der Überzeugung fest, dass er als Werwolf quasi unverwundbar ist. Während Mirian immer versucht, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, muss er lernen, sein impulsives Verhalten zu zügeln und weniger instinktiv auf die verschiedenen Herausforderungen zu reagieren. Es dauert eine Weile, bis die beiden wirklich zusammenarbeiten können, aber ich mochte das Geplänkel zwischen den beiden ebenso wie ihre eher rührenden Versuche, den anderen zu verstehen und ihm etwas Sicherheit in einer gefährlichen und unsicheren Welt zu geben. Auch bei den entführten Magierinnen gibt es die unterschiedlichsten Charaktere, wobei man vor allem die Perspektive von Danika miterlebt. Diese ist die Alpha des Magier-Rudels, und obwohl sie bislang ein relativ behütetes Leben geführt hat und dementsprechend schockiert von all den Dingen ist, die ihr und den anderen angetan werden, versucht sie alles, um für die anderen Frauen da zu sein und einen Weg aus der Gefangenschaft zu finden. Und dann ist da noch Captain Reiter, der perfekte Soldat, der eines Tages feststellen muss, dass es sich nicht richtig anfühlt, wenn man Krieg gegen schwangere Frauen führen soll …
Am Ende finde ich es wirklich schade, dass „The Silvered“ nur ein Einzelband ist – auch wenn ich sonst immer froh bin, wenn ich mal keine neue Reihe anfange. Ich denke, dass diese Welt, die Charaktere und die Entdeckungen, die zum Schluss von den Beteiligten gemacht werden, Stoff für weitere Geschichten geboten hätten. So aber muss ich mich wohl erst einmal mit den älteren Fantasytiteln der Autorin begnügen (die es leider nur noch als eBook gibt *seufz*).
P.S.: Einen kleinen Kritikpunkt habe ich allerdings doch: Ich finde es schade, dass Tanya Huff es bei den Werwölfen so eingerichtet hat, dass der „richtige“ Geruch darüber bestimmt, wen sie heiraten., während sie sonst in der Geschichte immer wieder betont, dass die Werwölfe keine Tiere, sondern Personen mit besonderen Fähigkeiten sind. Aber da dieser Punkt – gerade zu Beginn der Geschichte – zu einigen netten Szenen führt und die Auserwählten (theoretisch) die Möglichkeit haben, sich gegen die Entscheidung der Wölfe zu stellen, kann ich damit leben.
[…] diesen Kickstarter überhaupt zu unterstützen. Die Geschichte spielt in der gleichen Welt wie „The Silvered“, neun Jahre nach den Ereignissen, die im Roman erzählt werden, und dreht sich auf der einen Seite […]