Emilia Smechowski: Wir Strebermigranten

Über „Wir Strebermigranten“ von Emilia Smechowski bin ich durch einen Tweet von Margarete Stokowski gestolpert, die mit der Autorin befreundet ist. Und da ich – neben all den leichten Unterhaltungsromanen – ja ganz gern Bücher lese, die mir von einer für mich vollkommen fremden Realität erzählt, war ich neugierig auf die Geschichte, die hinter den Strebermigranten steckt. Für Emilia Smechowski beginnt die Geschichte im Jahr 1988, als ihre Eltern eines Tages ohne Vorwarnung mit ihr und ihrer kleinen Schwester in Polen losfuhren, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen. Dank eines „deutschen“ Großvaters bekam die Familie schnell deutsche Pässe, Sprachkurse und für die Eltern die Chance auf einen Arbeitsplatz, der ihrer Ausbildung entsprach.

Nur wenige Jahre dauerte es, bis die Familie über den Wohlstand verfügte, von dem sie in den 80er Jahren in Polen nur träumen konnte, aber dieser makellose Integration hat ihre Spuren hinterlassen. Denn um dieses Ziel zu erreichen, haben Emilia Smechowskis Eltern ihre polnische Identität, ihre Sprache und ihre Traditionen (abgesehen von denen rund ums Weihnachtsfest) abgelegt, um – wie die Autorin es ausdrückt – deutscher aus deutsch zu werden. Für die Kinder bedeutete dies, dass auch sie dazu gedrängt wurden kein Wort mehr in ihrer Muttersprache von sich zu geben, keinen Kontakt zu anderen Polen zu suchen und immer ihr Bestes zu geben – wobei ihr Bestes anscheinend immer noch nicht gut genug für das neue deutsche Leben war. Die Autorin hat zwar recht früh gegen den Leistungsdruck und die Strenge in ihrem Elternhaus rebelliert, kann sich aber bis heute nicht ganz freimachen von der Scham, die mit ihrer polnischen Herkunft einhergeht, von der Hemmung, Polnisch zu sprechen, oder von dem Leistungsanspruch, der ihr von klein auf eingeimpft wurde. Auch wird im Buch immer wieder deutlich, wie schwierig es für sie ist, eine Identität zu finden, in der sie sowohl ihrer polnischen als auch ihrer deutschen Heimat gerecht wird.

Neben diesen ganz persönlichen Erlebnissen und Empfindungen geht Emilia Smechowski auf die politischen Veränderungen der vergangenen 25 Jahre ein – besonders auf den unterschiedlichen Umgang mit Migranten und die Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre. Denn bei aller Zerrissenheit, die die Autorin verspürt, wird doch auch deutlich, dass diese „perfekte“ Integration ihrer Familie nur gelingen konnte, weil den „Aussiedlerfamilien“ damals ganz andere Chancen geboten wurden, als sie viele andere Migranten bekamen und bekommen. Qualitative Sprachkurse, der problemlose Erhalt des deutschen Passes, die Anerkennung ihres polnischen Medizinstudiums und die Möglichkeit, zügig eine Sozialwohnung zu beziehen, statt längere Zeit in einer Massenunterkunft verbringen zu müssen, haben dafür gesorgt, dass die Eltern schnell wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen und sich – dank zweier Arztgehälter – eine wohlhabende Existenz aufbauen konnten.

So spannend ich all die Hintergründe um die (deutsch-)polnische Geschichte fand und so sehr mich Emilia Smechowskis Erfahrungen berührt haben, so waren es doch vor allem die kleinen Sätze, die in mir nachklangen. Die Sätze, in denen die Autorin erzählte, wie ernst sie auf all den Schulfotos dreinschaut, wie wichtig es war, dass sie zu den Besten ihrer Klasse gehörte, und wie wenig sie über ihre polnische Herkunft redete. Jedes Mal, wenn wieder so eine Aussage in dem Buch kam, musste ich an die eine oder andere Person denken, die ich früher kannte, und mich fragen, ob hinter dieser Mitschülerin, hinter jener Kursteilnehmerin oder hinter diesem Kollegen eine ähnliche Geschichte steckte. Erst durch „Wir Strebermigranten“ habe ich gelernt, dass (eingedeutschte) polnische Nachnamen für mich (in NRW aufgewachsen) deshalb so selbstverständlich sind, weil zum Ende des 19. Jahrhunderts sehr viele polnische Bergarbeiter von den Zechen im Ruhrgebiet engagiert wurden, um den hohen Bedarf an Arbeitskräften zu decken.

Ich habe mich beim Lesen dieses Buches wieder an die drei Mitschüler (zwei Cousinen und ihr Cousin) in meiner Grundschule erinnert, die ich wirklich mochte und die im Vergleich zum Rest der Klasse immer etwas zu ordentlich gekleidet und immer etwas zu brav und fleißig waren. Und auch wenn ich nach all den Jahren nicht sicher sein kann, dass diese Menschen, die ich mal gekannt habe, eine ähnliche Geschichte erlebt haben wie Emilia Smechowski, so bin ich froh, dass ich etwas über die polnischen Einwanderer dieser Generation, über polnische Geschichte und über die Schwierigkeiten einer Einwanderin, die die Identität ihres Geburtslandes abstreifen musste, gelernt habe.

7 Kommentare

  1. STREBERMIGRANTEN ist ja ein schönes Wort. 😉
    Die Frage, die sich mir stellt, ist, ob mam das mit heutigen Migranten vergleichen bzw. verallgemeinern kann. Es gibt wahrscheinlich immer das eine oder andere Extrem. Und ganz viel dazwischen.

  2. Emilia Smechowski sagt ganz klar, dass ihre Eltern Wirtschaftsflüchtlinge waren, die einfach Glück hatten, weil sie irgendwie einen "deutschen" Großvater nachweisen konnten. Das ist natürlich etwas anderes als (Bürger-)Kriegsflüchtlinge, aber grundsätzlich denke ich, dass sie richtig liegt, wenn sie der Meinung ist, dass Menschen sich "besser" integrieren, wenn sie mehr Chancen bekommen.

    (Und weil mich das gerade so beschäftigt: Wusstest du, dass in Finnland ausländische Kinder selbst in winzigen Schulen einen zusätzlichen Lehrer bekommen, der ihre Muttersprache spricht, bis sie selber soweit Finnisch können, dass sie dem Unterricht allein folgen können? Kannst du dir das in Deutschland vorstellen?)

  3. Unglaublich! Und dann werden die deutschen PISA-Ergebnisse immer mit den finnischen verglichen und alle wundern sich. :((

  4. Das klingt sehr interessant und auch, als ob da einige Aspekte angesprochen werden, die man sonst kaum im Kopf hat. Und es führt wohl auch gut vor Augen, dass eine "erfolgreiche" Integration noch nicht bedeutet, dass sich Migranten dabei nicht dennoch entwurzelt fühlen.

  5. @Neyasha: Ich fand das auch sehr interessant. Es ist natürlich ein sehr persönlicher Bericht, aber es war schon augenöffnend. Als Erwachsene beginnt die Autorin dann auch wieder Polnisch zu lernen, damit ihre Tochter zweisprachig aufwachsen kann, und ich kann mir kaum vorstellen wie es sein muss, wenn man eine Sprache neu lernen muss, die man als Kind fließend beherrschte.

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