Kelly Barnhill: The Girl Who Drank the Moon

„The Girl Who Drank the Moon“ von Kelly Barnhill ist eine Leihgabe von Natira und für mich die erste – wenn auch bestimmt nicht die letzte – Begegnung mit der Autorin. Kelly Barnhill beginnt ihre Geschichte an dem Tag, an dem in jedem Jahr die Ältesten des „Protectorates“ das jüngste Baby des Ortes aus den Armen seiner Familie reißen, um es der Hexe aus dem Wald zu opfern. Doch an diesem Tag kämpft die betroffene Mutter um ihr Baby mit einer Wut, die an Wahnsinn grenzt, während der „Älteste in Ausbildung“ zu seinem Schrecken feststellen muss, dass niemand sicherstellt, dass das Baby nicht von wilden Tieren gefressen wird, bevor die Hexe überhaupt am Übergabeort erscheinen kann. Doch niemand möchte der Hexe begegnen, die Jahr für Jahr ein Baby für sich verlangt, damit sie den Ort mit ihrer bösen Magie verschont.

Jahr für Jahr macht sich Xan, die Hexe aus dem Wald, auf den Weg zu der Lichtung, auf der die Frauen des Protectorates ihre ungewollten Babies aussetzen. Im Laufe der Zeit hat sie gelernt, welche Dinge sie für diesen Weg braucht, und so trägt sie eine weiche Decke und Flaschen mit warmer Ziegenmilch mit sich und wenn die Milch ausgetrunken ist, füttert sie das Baby mit Sternenlicht, bis es satt und zufrieden ist. Und wie in jedem Jahr plant sie auch dieses Mal, die beste Familie für das ausgesetzte Baby zu finden, die die Städte auf der anderen Seite des Sumpfes zu bieten haben. Doch dann füttert sie aus Versehen das Baby nicht mit Sternen-, sondern mit Mondlicht – und nun liegt es an ihr, das kleine Mädchen in der Magie zu unterrichten, mit der es von diesem Augenblick an erfüllt ist. Während in den folgenden Jahren im Wald ein Mädchen heranwächst, das mit mehr Magie erfüllt ist, als selbst eine 500 Jahre alte Hexe, ein kleiner Drache und ein uraltes Sumpfmonster zu bändigen vermögen, wird ein junger Mann in der Stadt hinter der Mauer von der Erinnerung an eine wahnsinniger Mutter und ein auf einer Lichtung ausgesetztes Baby gequält.

Manche Geschichten sind so schön, dass es schwer fällt, eine Rezension dazu zu schreiben. Es gibt so viele Elemente in „The Girl Who Drank the Moon“, die ich geliebt habe. Die Handlung ist märchenhaft, voller Magie und ungewöhnlicher Figuren, es gibt so viele wunderschöne und liebevolle Momente zwischen den verschiedenen Figuren, und doch ist jede dieser Szenen durchdrungen von Kummer und Vorahnungen – besonders der Anfang ist heftig, wenn der Mutter das Kind weggenommen wird. Kein Charakter ist nur gut oder nur böse, selbst die unsympathischsten Figuren können Zuneigung für jemanden empfinden, was sie noch nicht liebenswert, aber für den Leser ein kleines bisschen nachvollziehbarer macht. Ich mochte die verschiedenen Perspektiven so sehr und ebenso gefiel es mir, dass ich mich immer wieder fragen musste, wie welcher Teil der Geschichte in das Gesamtbild passt und welche Konsequenzen die Handlungen und Gedanken der Figuren haben werden. Ich finde die Sprache wunderschön, die Kelly Barnhill verwendet, so klar und so poetisch und auf den Punkt, wenn es darum geht, eine Situation, einen Gedanken oder ein Gefühl zu beschreiben.

„The Girl Who Drank the Moon“ ist ein Jugendbuch und die Handlung dreht sich ums Erwachsenwerden und darum, seinen Platz im Leben zu finden. Aber die Geschichte ist auch hervorragend für erwachsene Leser geeignet, denn sie beinhaltet noch so viel mehr und wird langsam genug erzählt, dass man all diese vielen kleinen Elemente rund um die Fragen, was Familie und Freundschaft ausmacht, wie viel Wissen und Liebe man jemandem mitgeben kann, den man aufzieht, und wann es Zeit ist, loszulassen, in Ruhe genießen und sich Zeit lassen kann, um darüber nachzudenken. Dafür, dass rund um die Familien, deren Kinder geopfert werden, so viele schreckliche Dinge in dem Buch geschehen, gibt es überraschend viele Wohlfühlelemente und Szenen voller Zuneigung, Freundschaft und Toleranz gegenüber jemandem, dessen Sicht auf das Leben ganz anders ist als die desjenigen, aus dessen Perspektive man diesen Teil der Handlung erlebt. Ich mochte diese Ausgewogenheit, ich mochte diese Mischung aus Wissenschaft und Magie und ich mochte die zum Teil sehr ungewöhnliche Sicht auf vertraute Dinge, die die Autorin in die Geschichte eingeflochten hat. Und da der Roman nur geliehen war, sitzt der Titel nun neben den anderen Büchern, die Kelly Barnhill geschrieben hat, auf meiner Wunschliste. Ich freu mich schon darauf, ihre anderen Werke entdecken zu können.

10 Kommentare

  1. Netter Twist direkt am Anfang, dass die Dörfler glauben, ein Baby opfern zu müssen, während die Hexe glaubt, dass sie ungewollte Babys einsammelt. Reden wäre ja zu einfach. Bevor es Missverständnisse gibt: Ich finde den Ausgangsplot gut, deswegen ist das Buch jetzt auch auf der Wunschliste 🙂

  2. Noch besser ist, dass es Gründe gibt, warum man nicht miteinander redet. Und wenn du mich fragst, dann solltest du das Buch schnell davon befreien! Vielleicht so als "Praktikumsendgeschenk" oder so? 😀

  3. Die Sprache hat so einen Rhythmus, nicht wahr? Ich habe im Kopf beinahe auch eine Melodie beim Lesen gehört und habe viele Passagen deswegen auch laut vorgelesen.

    Wie schön, dass Dir diese Geschichte auch so gut gefallen hat.

  4. @Natira: Die Sprache hat definitiv einen Rhythmus und ich finde es wunderschön zu lesen. Ich wünschte, es würde sich so mancher Autor der "poetisch" schreibt davon eine Scheibe abschneiden.

    Schön, dass du dich darüber freust. Ich weiß nur nicht, ob mich die Folgekosten so glücklich machen. *g*

  5. Das Buch klingt richtig schön märchenhaft und tiefsinnig und deine Beschreibung hat mir richtig Lust gemacht, es zu lesen 🙂

  6. @A. Disia: Das freut mich sehr! Für mich war das Buch eine angenehme Überraschung, da ich vor dem Lesen so gar nichts darüber wusste, und jetzt möchte ich es gern jedem ans Herz legen, weil es so schön zu lesen war. 🙂

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