Nach dem Märchen-Tag (und dem ganzen Schreiben über Robin McKinley) und da ich dringend noch ein November-Buch für die English-Challenge benötigte, habe ich am letzten Wochenende zu „Rose Daugther“ gegriffen. Der Roman entstand zwanzig Jahre nach „Die Schöne und das Ungeheuer“ und ist ebenfalls eine Neuerzählung dieses Märchens. Aber diese Version zeigt deutlich, wie sehr sich die Sicht der Autorin innerhalb dieser Zeit auf das klassische Märchenmotiv verändert hat.
Die Geschichte beginnt mit den Kindheitserinnerungen von Beauty. Ihre Mutter stirbt als die Kleine fünf Jahre alt ist, aber sie erinnert sich noch immer genau an das Parfüm, welches die schöne und beliebte Frau immer umgeben hat. Auf der Suche nach der Blume, die einen solchen Duft hervorbringt, entwickelt das kleine Mädchen eine Schwäche für Gärten. Aber nicht nur als Quelle für Blumen, sondern auch als ruhiger Zufluchtsort vor all den Dingen, die von ihr erwartet werden, und vor dem Trubel in ihrem wohlhabenden Elternhaus, genießt sie die Nähe der Blumen.
Nach dem Tod der Mutter wird jede Zauberei vom Vater verflucht und von der Familie fern gehalten, da er den Wahrsagern und Hexen vorwirft, dass sie seine Frau vor dem Unglück nicht gewarnt haben. Und während irgendwann wieder der Alltag einzieht, träumt Beauty regelmäßig einen schrecklichen Albtraum, in dem sie einen langen Korridor entlangläuft an dessen Ende ein Ungeheuer auf sie wartet, und ruft beim Aufwachen nach ihrer Mutter. Einzig im Garten, wo sie heimlich unter der Anleitung eines alten Gärtners den richtigen Umgang mit Pflanzen lernt, fühlt sie sich wohl.
Nicht nur in dieser Beziehung unterscheidet sich Beauty sehr von ihren beiden älteren Schwestern: Lionheart, die älteste, ist sehr mutig, während Jeweltongue, die mittlere, besonders redegewandt und klug ist. Aber beide Schwestern gehen nicht sehr gnädig mit ihrer Umwelt um und so ist es Beauty, die die „ausgedienten“ Pferde und Jagdhunde von Lionheart in bessere Hände vermittelt und die verängstigte Dienstboten tröstet, wenn diese Opfer von Jeweltongues spitzer Zunge wurden.
Kurz vor der Doppelhochzeit von Lionsheart und Jeweltongue mit zwei angesehenen Adeligen wird bekannt, dass ihr Vater pleite ist (auch aufgrund der Tatsache, dass er in den letzten Jahren keine Geschäfte mehr mit Magiekundigen gemacht hat). Die Männer brechen die Verlobungen, die Dienstboten laufen davon und die Schwestern geben ihr Bestes, um mit der Situation fertig zu werden. Lionsheart übernimmt die Küche, Jeweltongue kümmert sich um den restlichen Haushalt und Beauty versorgt den Vater, der zusammengebrochen ist, und versucht einen Überblick über die finanzielle Lage zu bekommen. Letztendlich bleibt ihnen nur der Umzug in ein kleines Häuschen auf dem Land, welches den Schwestern von einer alte Frau vererbt wurde.
Falls ihr jetzt das Gefühl habt, ich hätte hier eine endlose Inhaltsangabe geschrieben: Die bisher aufgeführte Handlung findet auf den ersten 25 Seiten des Buches statt und ich finde es großartig, wie es Robin McKinley gelingt die Familie und ihre Eigenarten hier so klar zu charakterisieren. Aber man bekommt auch einen guten Einblick in diese Welt, in der Kräuterhexen, Zauberer, Wahrsager und Astrologen zum normalen Alltag gehören und in der die in Märchen und Sagen erzählten Geschichten etwas sind, was der Großmutter (oder deren Großmutter) passiert ist und was deshalb im Kern auf jeden Fall wahr sein muss, auch wenn es inzwischen mehrere Varianten einer Erzählung gibt.
Longchance heißt der kleine Ort, in dem die drei Schwestern mit ihrem Vater landen, und angeblich gab es vor langer, langer Zeit dort mal eine Schlacht zwischen Zauberern, was dazu führt, dass sich keine Kräuterhexe an diesem Ort ansiedelt, weil die Überreste der Vergangenheit zu Albträumen und anderen unangenehmen Dingen führen. Aber das „Rose Cottage“, welches die Schwestern geerbt haben, besitzt einen ganz eigenen Charme und zu ihrer Überraschung findet Beauty ein große Anzahl dorniger Büsche im Garten des Häuschen, welche sich als wunderbar duftende Rosen herausstellen und zu denen sie eine ganz besondere Bindung entwickelt. So ist es auch ihre Liebe zu Rosen, die dazu führt, dass ihr Vater nach einer unglückseligen Reise in die alte Heimatstadt, einem Schneesturm und dem lebensrettenden Aufenthalt in einem verzauberten Schloss, seine jüngste Tochter einem schreckenserregenden Biest überlassen muss …
Diese Variante ist deutlich „fantasylastiger“ als „Die Schöne und das Ungeheuer“, so hat Beauty zum Beispiel die Gabe Pflanzen und Blumen wachsen zu lassen, ihre Mutter hatte einen kleinen übellaunigen Hausdrachen und in dieser Welt existieren Rosen normalerweise nur in den Gärten von Zauberern, denn nur mit Magie bringt man sie zum Blühen. Aber gerade diese liebevollen fantastischen Einfälle machen für mich diese Variante des Märchens zu etwas besonderem. Und auch der Schluss, der ein wenig von der klassischen Version abweicht, ist so wunderbar – und in meinen Augen so viel stimmiger -, dass es sich allein schon deshalb lohne würde, diesen Roman zu lesen.
Es fällt mir wirklich schwer konkreter auf die ganzen schönen Elemente dieses Buches einzugehen. Am einfachsten lässt sich für mich der Unterschied zwischen „Die Schöne und das Ungeheuer“ und „Rose Daughter“ zusammenfassen, wenn ich es so beschreibe:
„Die Schöne und das Ungeheuer“ ist ein wunderschönes Märchen mit liebenswerten Figuren, die für eine solche Geschichte angenehm realistische Züge haben. Aber durch das ganze Buch zieht sich eine Harmonie, die mich ein wenig an einen Disney-Zeichentrickfilm erinnert. Bei „Rose Daughter“ fühle ich mich viel mehr an einen Ghibli-Anime erinnert. Es gibt unheimlich viele vertraute Elemente, die man aber mit ganz neuen Augen entdecken kann. Die Handlung bekommt ganz neue Facetten, die Magie gehört zum Alltag der Menschen und hat doch nichts von ihrem Zauber verloren, der ganze Roman ist von einer ganz besonderen Atmosphäre durchdrungen und dann nimmt sich Robin McKinley immer wieder Freiheiten in dieser „Neuerzählung“ heraus, die ihre Version zu etwas ganz eigenständigem machen.
Am Ende habe ich nicht das Gefühl, dass das Paar den Rest ihres Lebens in einer rosaroten märchenhaften Glückseligkeit verbringen wird, sondern dass Beauty und ihr Beast in Zukunft Höhen und Tiefen vor sich haben, die sie – so wie jedermann – gemeinsam durchstehen müssen. Und diese Vorstellung finde ich deutlich realistischer und damit auch viel schöner als die märchenhafte Variante …
Oh, und was das Englisch angeht, so schreibt Robin McKinley wirklich gut verständlich, aber durch Beautys Liebe zur Gärtnerei kam ich hier und da doch an meine Grenzen, wenn es um die Bezeichnungen von Pflanzen ging. Die muss man aber jetzt auch nicht unbedingt alle komplett verstehen, um der Handlung problemlos folgen zu können, abgesehen davon, dass ich es nicht immer so einfach finde, wenn es z.B. darum geht den passenden Baumnamen im Deutschen zu finden, da einem die diversen Wörterbücher da gerne mehrere Varianten anbieten.
Hallöchen!
Vielen Dank, dass du einen Post zu diesem Thema gemacht hast. Hat mir wirklich sehr sehr gut gefallen.
Deine Erklärungen und Erläuterungen zu den Büchern sind wirklich fantastisch und ich bin jetzt nach einem Tag total begeistert!
Liebe Grüße Lesefreak
Besucht mich doch auch einmal: http://lesefreak.blogspot.com/
Ich kenne von Robin McKinley noch kein Buch… Hat die Autorin auch andere Märchen mehrfach interpretiert?
@Lesefreak: Erst einmal herzlich Willkommen auf meinem Blog! 🙂 Und Lob höre ich natürlich immer gerne. 😉
@Natira: Sie hat "Die Schöne und das Biest" zweimal interpretiert, ansonsten fällt mir als direkte Märchenneuerzählung spontan nur "Tochter des Schattens" (eine herzzerreißende und wunderschöne "Allerleirauh"-Variante) ein. Ich muss unbedingt mal wieder nach noch fehlenden Titeln von der Autorin gucken! Ansonsten mag ich auch ihre Fantasybücher, soweit ich sie kenne …
Hm… ich brauche einfach Zeit. Vor Weihnachten wollte ich eigentlich "Odins Insel" lesen (soll ein Weihnachtsmärchen sein) und "Tochter des Schattens" steht, wenn ich mich nicht täusche, hier bei mir sogar, allerdings ungelesen.
@Natira: Ohja, das elende Zeitproblem. Mich wundert es, dass du gerade überhaupt noch eine Seite gelesen bekommst. Bei deinem Arbeitalltag würde ich abends nur noch stumpf auf den Fernsehbildschirm glubschen.
Hallo Winterkatze,
vielen Dank für den Tip…
Erneut eine Empehlung für meine Weihnachtswunschliste.
Liebe Grüße,
Julia
lieberlesenblog.blogspot.com
@Julia: Herzlich Willkommen auf meinem Blog – und schön, dass der Titel gleich auf deine Wunschliste gewandert ist. 🙂 Robin McKinley ist für meinen Geschmack viel zu wenig bekannt. 😉