Schlagwort: Dänemark

Lotte und Søren Hammer: Einsame Herzen (Konrad Simonsen 3)

„Einsame Herzen“ von Lotte und Søren Hammer ist der dritte Roman rund um Konrad Simonsen und sein Team. Die Geschichte spielt ungefähr ein Jahr nach den Ereignissen in „Das weiße Grab“ und in der Zwischenzeit hat sich einiges in der Mordkommission getan. Konrad hatte vor einigen Monaten einen Herzinfarkt und darf erst einmal nur vier Stunden am Tag arbeiten, während Arne Pedersen vorläufig Konrads Position als Leiter der Mordkommission übernommen hat. Pauline Berg hingegen hat sich noch lange nicht von ihrer Entführung erholt, leidet unter Angstzuständen und hat große Probleme mit Männern. So schwierig die Situation im Team gerade ist, so leicht soll der „Fall“ sein, den Konrad Simonsen zum wiedereingewöhnen übergeben wird.

Es geht dabei um den Tod eines Postboten, der vor einigen Monaten mit gebrochenem Genick auf dem Treppenabsatz seines Wohnhauses gefunden wurde. Der Todesfall wurde damals als Unfall abgetan und zu den Akten gelegt, doch aufgrund politische Einflussnahme sollen die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Dann stolpert Konrad Simonsen bei seinen Untersuchungen über einen geheimen Raum über der Wohnung des Postboten, in dem die Bilder einen jungen Frau zu sehen sind. So wie die Fotos präsentiert wurden, ist sich der Polizist sicher, dass die Bilder eine Tote zeigen – und die Vermutung liegt nah, dass der Tod des Postboten mit dieser jungen Frau zu tun hat.

Ich finde es immer wieder faszinierend, wie es Lotte und Søren Hammer gelingt zu den unterschiedlichen Fällen in ihren Kriminalromanen auch die passende Atmosphäre zu schaffen. Während in „Schweinehunde“ die Ermittler von der Öffentlichkeit und den Medien gehetzt wurden, waren es die Polizisten selber, die sich in „Das weiße Grab“ unter Druck gesetzt haben, weil es ihnen nicht gelang einem Serienmörder seine Taten soweit nachzuweisen, dass man ihn aus dem Verkehr ziehen konnte. In „Einsame Herzen“ wird die Geschichte hingegen sehr ruhig erzählt. Sowohl der Mord an dem Postboten, als auch das, was der jungen Frau von den Fotos angetan wurde, ist schon einige Zeit her. Es scheint keinerlei Gefahr für weitere Personen zu geben und so konzentriert sich die Handlung nicht ausschließlich auf die Ermittlungen, sondern auch auf die Polizisten, die – besonders im Fall von Pauline Berg – immer noch mit dem zu kämpfen haben, was im letzten Jahr passiert ist.

Außerdem hat der Herzinfarkt dazu geführt, dass Konrad sein Leben überdenkt. Es gibt Erlebnisse aus seiner Vergangenheit, die er bis heute nicht verarbeitet hat. Und da er sich bei den Ermittlungen rund um die junge Frau, die im Jahr 1969 vermisst gemeldet wurde, immer wieder an Szenen erinnert, die er in den 60er Jahren erlebt hat, dreht sich eben auch ein Teil der Geschichte um Konrads Vergangenheit. So vermischen die beiden Autoren die aktuellen Ereignisse mit einer Darstellung der politischen Situation Dänemarks in den 60er Jahren und haben bei mir dafür gesorgt, dass ich beide Zeitebenen sehr gespannt verfolgt habe. Ich wollte sowohl wissen, was Konrad Simonsen damals erlebt hat, als er als junger Polizist den demonstrierenden Studenten gegenüberstand, als auch erfahren, was der jungen Lucy passiert ist, als sie auf der Suche nach einem freien Leben, Liebe und vermutlich auch Drogen durch Dänemark reiste.

Ich mag es immer wieder, dass die Autoren einen realistischen Polizei-Arbeitsalltag in ihren Romanen präsentieren. Die Polizisten müssen auf Laborergebnisse warten, müssen sich mit ihren Vorgesetzten arrangieren und – wenn ein Fall nun schon mal älter ist – machen pünktlich Feierabend, weil die Arbeit am nächsten Tag auch noch da sein wird. Auch die Charaktere sind angenehm realistisch geschildert. Konrad hat zwar seine Probleme, aber die sind so angenehm normaler Natur, dass er nichts mit den „üblichen depressiven skandinavischen“ Ermittlern gemein hat. Auch bei Pauline, die durch die Entführung im Jahr zuvor wirklich viel gelitten hat, wird deutlich, dass sich Lotte und Søren Hammer um eine realistische Darstellung bemühen. Pauline geht zum Psychiater, hat aber natürlich immer noch Probleme ihre Arbeit wie früher zu verrichten. Ihr Zustand ist nicht statisch, manchmal geht es besser, an anderen Tagen wieder ist es deutlich schlimmer, aber sie arbeitet daran. Für ihre Kollegen ist Paulines Zustand hingegen eine Herausforderung. Auf der einen Seite wissen sie nicht, wie sie damit umgehen sollen, auf der anderen Seite müssen sie natürlich verhindern, dass Paulines Zustand die Ermittlungen behindert. Bei anderen Autoren könnten diese Passagen schnell kippen, hier hingegen fand ich sie gut lesbar und habe sie als Teil der Handlung wahrgenommen, gerade weil es nur ein Element von vielen war …

Es ist erstaunlich schwierig bei diesem Band zu beschreiben, warum er mir so gut gefallen hat, denn zu dem Kriminalfall gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Auf jeden Fall bin ich schon gespannt, wie es mit dem Team weitergeht und welche Schwerpunkte Lotte und Søren Hammer in den weiteren Romanen gesetzt haben. Natürlich hoffe ich, dass diese Bücher auch noch auf Deutsch erscheinen – und wenn nicht, dann muss ich wohl zu den englischen Ausgaben greifen …

Lotte und Søren Hammer: Das weiße Grab (Konrad Simonsen 2)

Als vor ein paar Jahren „Schweinehunde“, der Debütroman von Lotte und Søren Hammer erschien, war ich ziemlich beeindruckt von der ungewöhnlichen Thematik, die sich die Geschwister für ihre Kriminalgeschichte ausgesucht haben. Dabei lag weniger das Verbrechen (Kindesmissbrauch bzw. Rache an denjenige, die Kinder missbraucht haben) als die Reaktion der Medien, die durch diejenigen manipuliert wurden, die die Täter bestraften, im Fokus der Geschichte. Die Handlung in „Das weiße Grab“ ist weniger aufsehenerregend, aber man bekommt als Leser immer noch einen soliden,gut zu lesenden und spannenden Krimi, der einen wieder mit einer moralischen Frage konfrontiert, die nicht so einfach zu beantworten ist.

Dieses Mal beginnt der Fall für Konrad Simonsen an einem Ort in Grönland, an dem es vor vielen Jahren mal eine amerikanische Militärbasis gab. An diesem Punkt wurde von (in gewisser Weise von der deutschen Kanzlerin) die Leiche einer jungen Dänin (im aufgrund der Klimaerwärmung aufgetauten „ewigen“ Eis) gefunden, die damals für die Amerikaner gearbeitet hatte und eines Tages spurlos verschwand. Für Konrad Simonsen steht auf den ersten Blick fest, dass dieser Mord die Tat eines Mehrfachtäters war, denn er selbst hatte vor einigen Jahren ein Verbrechen an einer jungen Frau untersucht, die damals in der gleichen Position mit den selben Merkmalen ermordet aufgefunden wurde. Für diese Tat war der Vater des damaligen Opfers verurteilt worden – doch die Tote im Eis kann nicht auf das Konto des verurteilten Mannes gehen – was mit großer Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass Konrad und seine Kollegen vor all den Jahren einen schwerwiegenden Fehler gemacht haben.

Im Laufe der Geschichte finden die Ermittler heraus, dass der Mörder mehr als diese beiden jungen Frauen auf dem Gewissen hat und immer wieder nach der selben Methode vorgeht. Sogar die Identität des Täters steht relativ früh fest, aber es gibt keine Möglichkeit ihm seine Verbrechen auch nachzuweisen. Ich fand es faszinierend zu verfolgen wie das Auffinden der Leiche in Grönland und die Spurenlage des – eigentlich als abgeschlossen geltenden – Mordes recht schnell zum Täter führen und wie die Polizisten sich dann immer wieder im Kreis drehen, bei dem Versuch dem Mann irgendwie seine Morde auch nachweisen zu können. Dass diese Beweise aber einfach nicht aufzutreiben sind und der Täter ihnen immer wieder einen Schritt voraus zu sein scheint, ist natürlich für alle Beteiligten frustrierend, so dass nach und nach Methoden in Betracht gezogen werden, die mit einem Rechtsstaat nicht mehr zu vereinbaren sind.

Normalerweise mag ich es nicht, wenn in einem doch recht realistischen Kriminalroman solche wichtigen moralischen (oder vom Gesetz vorgegebenen) Grenzen gesprengt werden. Aber ich fand es spannend zu verfolgen, wie die unterschiedlichen Menschen nach Mitteln suchen, um diesen Mörder aus dem Verkehr zu ziehen, und wie dabei erst nur sehr zögerlich, später mit immer größerer Verzweiflung auch Möglichkeiten angesprochen werden, die diese eigentlich rechtschaffenden Personen zu Beginn des Romans als absolut unmoralisch bezeichnen und als Untergrabung ihres gesamten Rechtssystems betrachtet hätten.

Auch mit den verschiedenen Charakteren in diesem Roman kam ich wieder gut zurecht. Ich finde nicht jede Person sympathisch, manche handeln auf eine Art und Weise, die ich zwar verstehen, aber nicht gutheißen kann, aber immer habe ich das Gefühl, dass sie innerhalb ihres Charakters stimmig handeln. Es gibt keinen zutiefst depressiven Ermittler, der die Geschichte beherrscht, sondern ein funktionierendes Team mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. Manchmal gibt es Reibungen, manchmal gibt es mehr als Sympathie zwischen den verschiedenen Polizisten und natürlich hat jeder so seine Probleme. Aber diese Dinge sind von recht alltäglicher und „normaler“ Natur wie die gesundheitlichen Probleme von Konrad Simonsen, die natürlich neben der Arbeit zurückstecken müssen, oder der Seitensprung am Arbeitsplatz, der eben auch Folgen für die Zusammenarbeit hat, ohne dass es dabei zu einem großen Drama kommt.

So bekommt man in „Das weiße Grab“ auch immer wieder etwas vom – beruflichen und privaten – Alltag der verschiedenen Beteiligten erzählt, ohne dass ich diesen Teil langweilig fand. Diese Passagen sorgen eher dafür, dass man die Figuren besser einschätzen kann und dementsprechend auch die Tragweite ihrer Entscheidungen begreift. Und wenn dann doch einmal ein Schritt gemacht wird, der eigentlich undenkbar zu sein scheint, dann bleibt das nicht ohne Konsequenzen für die Person, die von nun an mit dem Wissen darum, was sie getan hat, leben muss.

Lotte und Søren Hammer: Schweinehunde

Es ist schon etwas her, dass ich „Schweinehunde“ gelesen habe, aber ich wollte das Buch unbedingt noch für den Bereich „Rache“ der „Themen-Challenge“ besprechen. Dass sich ein Krimi mit dem Thema Rache befasst, ist ja nun wirklich nicht ungewöhnlich, aber die Umsetzung fand ich in diesem Roman besonders reizvoll. Denn es geht nicht nur um die Rache eines Opfers an einem Täter, sondern in gewissem Maß auch um die Rache an der Gesellschaft und deren Umgang mit bestimmten Verbrechen.

Doch von Anfang an: Montagsmorgen finden zwei Kinder, die besonders früh von ihrer Mutter an der Schule abgesetzt wurden, fünf Männerleichen in der Turnhalle. Die fünf Opfer wurden in einem genau ausgemessenen Abstand an der Decke der Halle aufgehängt und nach ihrem Tod verstümmelt. Dabei haben die Täter keinerlei verwertbare Spuren hinterlassen und auch die Identität der Toten lässt sich nur schwer herausfinden.

Ein solch gravierendes Verbrechen ist der Kopenhagener Polizei Grund genug, um Kommissar Konrad Simonsen aus dem Urlaub zurückzurufen und mit besonderen Vollmachten zu versehen. Gemeinsam mit seinen Kollegen soll der erfahrene Ermittler die Verbrecher fassen. Doch das wird nicht so einfach, da wenige Tage nach der Tat eine unvergleichliche (Anzeigen-)Kampagne beginnt, die die Mordopfer als Pädophile brandmarkt, die nun endlich ihre verdiente Strafe bekommen haben. Diese Kampagne ist es auch, die den Roman aus der Masse ähnlicher Veröffentlichungen herausstechen lässt.

Recht früh in der Geschichte ist dem Leser bekannt, wer hinter diesem Verbrechen steckt und warum diese Männer getötet wurden. Dank diverser Perspektivwechsel erlebt man nicht nur die Aktivitäten der Polizei, sondern kann auch die Pläne der Täter mitverfolgen. So erlebt man als Leser mit ohnmächtiger Faszination, welche Auswirkungen die großangelegte Aktion auf die Öffentlichkeit hat und wie Bürger und Politik mit den dadurch aufgeworfenen Themen umgehen.

Für die Polizisten werden die Ermittlungen durch Druck und Reaktion der Öffentlichkeit deutlich erschwert. Riefen anfangs alle nach Ergreifung der Täter, so werden ihnen nun allerlei Steine in den Weg gelegt. Kollegen, die Auskünfte geben sollen, leiden plötzlich unter Gedächtnisverlust oder haben Akten verloren, wichtige Zeugen verteidigen die Mörder und auch Konrad Simonsen und seinen Kollegen fällt es schwer, neutral an ihre Arbeit heranzugehen.

So hegen auch sie sehr früh den Verdacht, dass die fünf Opfer wegen ihres Missbrauchs an Kindern ermordet wurden, doch ohne Beweise müssen sie weiterhin in alle Richtungen ermitteln. Und Beweise sind schwer zu bekommen, wenn man jede Information hinterfragen muss, weil man niemandem mehr vertrauen kann. Je mehr die Ermittler dann über die Opfer und die Täter erfahren, desto mehr wächst bei einigen von ihnen der Wunsch, einfach die Arbeit niederlegen zu dürfen, weil das Verständnis für die Mörder immer größer wird.

Lotte und Søren Hammer haben es dem Leser am Anfang ihres Romans nicht einfach gemacht. Die detailliert beschriebenen Verstümmelungen der Opfer haben bei mir erst einmal für die Befürchtung gesorgt, dass die beiden Autoren in ihrem Debütroman in erster Linie auf Blut und Ekel setzen, um die Sensationslust der Leser anzufachen. Und dann bekommt man auf den ersten Seiten eine neue Figur nach der anderen vorgestellt und muss die erst einmal einsortieren und kennenlernen.

Umso angenehmer war ich überrascht, als ich dann feststellen musste, dass sich Lotte und Søren Hammer weniger auf den Kriminalfall an sich konzentrieren, sondern mit der Reaktion der verschiedenen Personen und der Gesellschaft als große Masse auf so ein Verbrechen und die folgende Kampagne beschäftigen. Hier bekommt die Geschichte einen unheimlichen Sog und die Reaktionen der Bevölkerung, der Presse und der Politiker sorgen dafür, dass man regelrecht Angst vor der Macht der Masse bekommt. Geschickt manipulieren die Mörder die Medien – und durch diese die Menschen des Landes.

Dabei geht es ihnen nicht darum, straffrei auszugehen, sondern die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, dass die bestehenden Gesetze nicht ausreichen, um die Opfer und ihre Familien vor Pädophilen und ihren Taten zu schützen. So entsteht die Spannung in dieser Geschichte nicht durch die Morde und die Verfolgung der Täter, sondern aus der unberechenbaren Reaktion der Allgemeinheit. Und davon sind auch die Polizisten nicht ausgenommen, die von diesem Fall körperlich und seelisch an ihre Grenzen getrieben werden und immer wieder für sich entscheiden müssen, ob sie dem Gesetz dienen oder ihrem eigenen Gerechtigkeitsempfinden nachgeben wollen.

Diese ungewöhnliche Darstellung eines Kriminalfalls hat bei mir auf jeden Fall dafür gesorgt, dass ich „Schweinehunde“ als eine erfrischende Abwechslung empfunden habe. Hier und da bemerkt man zwar, dass der Roman das Debüt von Lotte und Søren Hammer ist und noch etwas Routine fehlt, außerdem hat sich das Ende etwas hingezogen, aber insgesamt habe ich mich lange nicht mehr so gut von einem Krimi unterhalten gefühlt.

Lene Rikke Bresson: Das Mädchen am Kreuz

 Ich muss gestehen, dass ich mit „Das Mädchen am Kreuz“ nicht so recht warm geworden bin. Anfangs dachte ich noch, dass das an einer akuten Leseunlust läge, aber inzwischen kann ich die Schuld auf den unglücklichen Klappentext des Verlags, sowie die Handlung und die Figuren schieben.

Während der Klappentext den Eindruck erweckt, dass dieser Roman ein Krimi sei, so spielt dieser Teil der Handlung nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem erfolgt die Verwicklung von Mona in die Ermittlungen sehr spät und weniger gezielt als dort suggeriert wird. Stattdessen ist „Das Mädchen am Kreuz“ vor allem ein Familiendrama, was für mich akzeptabel wäre, wenn ich auch nur eine der handelnden Personen gemocht hätte. Na gut, ganz so hart sollte ich wohl nicht sein, denn den Polizisten Berg mochte ich – und das vielleicht auch nur, weil ich als Leser von ihm vor allem erfahren habe, dass er ein freundlicher Mann ist, der nicht so schnell aufgibt.

Doch von Anfang an: Im Prolog entdecken zwei Männer aus einem Flugzeug heraus eine Leiche inmitten einer brennenden Heidelandschaft. Die Tote ist die Künstlerin Helen und die Fotos, die einer der Männer von dem – wie ein Kunsthappening aufgemachten – Tatort macht, machen ihn berühmt. Umso schmerzhafter ist der Tod der jungen Frau für ihren Vater, der nicht nur aufgrund des Medienrummels um die Tat und die Verbreitung der Fotos seine Tochter nicht loslassen kann. Die Passagen, die aus seiner Perspektive geschrieben wurden, erwecken den Eindruck einer ungesunden Besessenheit.

Nach der ersten Szene im Flugzeug dreht sich die Handlung erst einmal einige Zeit lang um Mona. Die junge Frau ist Theologiestudentin, steht kurz vor ihrer Hochzeit mit ihrem Jugendfreund David und es wird schon im ersten Absatz deutlich, dass sie sich so gar nicht mit ihrer Familie versteht. Was kein Wunder ist, denn ihre Mutter ist eine bestimmende konservative Frau, die das Leben ihrer Familie beherrscht, während ihr Vater ein unauffälliger und antriebsloser Mann zu sein scheint, der alle Entscheidungen in die Hände seiner Frau legt. Monas ältere Schwester Theresa ist geistesgestört, lebt noch bei den Eltern und bekritzelt jede verfügbare Fläche, und die Großmutter hat eine übernatürliche „Gabe“ und verbindet heidnischen Aberglauben mit dem regelmäßigem Kirchgang.

Der Sonnenschein der Familie war Monas kleiner Bruder, doch der ist vor einigen Jahren umgekommen und alle scheinen Mona dafür die Schuld zu geben. Dieser Vorfall ist augenscheinlich auch die Ursache dafür, dass Mona sich zwar von ihren Eltern fernhält, aber ansonsten alle Erwartungen der Familie erfüllt, obwohl für den Leser auf den ersten Blick feststeht, dass die Studentin eigentlich nur noch ausbrechen will. So kommt es auf der Hochzeitsreise auch zu einem verhängnisvollen Unfall, der Mona behindert zurücklässt, ihr aber auch ermöglicht endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Ich muss positiv anmerken, dass ich den Schreibstil von Lene Rikke Bresson sehr reizvoll fand, nachdem ich mich erst einmal damit „abgefunden“ hatte, dass ich keinen Kriminalroman las. Auch schildert die Autorin die kleinen Hürden in Monas Leben nach dem Unfall sehr plastisch und nachvollziehbar. Ich fand es interessant, wie die junge Frau mit ihren Einschränkungen umging und welche Lösungen sie für ihre Probleme fand. Und auch die verschiedenen Personen boten fast alle gute Ansätze, die aber dadurch zunichte gemacht wurden, dass mir keine der Figuren ans Herz wuchs. Jeder von ihnen hatte Charakterzüge, die ich unsympathisch oder sogar abstoßend fand, und so war es mir vollkommen egal, ob jemand ein potenzielles Opfer oder der eventuelle Mörder war.

Zusätzlich war Helens Mörder – trotz der verschiedenen Perspektiven und diverser weiterer Figuren, die ein Motiv gehabt hätten – sehr schnell zu erahnen, ebenso wie die Ereignisse, die wirklich zum Tod von Monas Bruder geführt haben. So fehlten mir bei diesem Roman nicht nur Charaktere, die mich mit ihren Ecken und Kanten interessierten, sondern auch ausreichend Spannung, um dem nächsten Kapitel entgegenzufiebern. Eine Tatsache, die mich vor allem deshalb ärgert, weil Lene Rikke Bresson eigentlich alle Grundvoraussetzungen bei der Hand gehabt hätte, um eine ungewöhnliche Familiengeschichte mit einer fesselnden Krimihandlung zu verbinden.

Jussi Adler-Olsen: Erbarmen

„Erbarmen“ ist der erste Teil einer Krimireihe rund um Carl Mørck und das Sonderdezernat Q. Jussi Adler-Olsen baut die Handlung aus zwei Perspektiven auf, die von dem Polizisten Carl Mørck und die der Merete Lynggard. Meretes Geschichte beginnt im Jahr 2002, sie ist eine junge und aufstrebende Politikern, sehr hübsch und sehr geheimnisvoll. So erfahrt man gleich zu Anfang, dass sie ihre Position nur unter der Bedingung angenommen hatte, dass sie jeden Abend pünktlich Feierabend machen kann, ohne zu begründen, warum das so notwendig sei.

Carl Mørck Teil startet im Jahr 2007, kurz nachdem der Kriminalbeamte aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Denn dieser war vor einiger Zeit gemeinsam mit seinen beiden Kollegen Anker und Hardy bei einem Routineeinsatz beschossen worden. Anker starb bei diesem Angriff und Hardy dank der Schussverletzungen nie wieder laufen können. Carl hingegen kam noch recht glimpflich davon, nur eine Narbe ist von diesem Tag zurückgeblieben – und das Gefühl seine beiden Freunde bei diesem Einsatz im Stich gelassen zu haben.

Für den Chef der Mordkommission, Marcus Jacobsen, ist Carls Rückkehr in den Dienst ein Problem. Den der ist zwar ein hervorragender Polizist, aber ein grauenhafter Kollege – und nur Anker und Hardy waren bereit mit ihm zusammenzuarbeiten. Da aber ein im Dienst verletzter Beamter nicht ewig beurlaubt werden kann, gründet Jacobsen kurzerhand das Sonderdezernat Q und überträgt Carl Mørck die Leitung. Damit kommt der Chef der Mordkommission den Wünschen der Politiker nach einer besonderen Abteilung für ungelöste ältere Fälle entgegen, kann auf eine großzügige finanzielle Unterstützung für seine Behörde hoffen und hat Carl auf einen Posten verbannt, an dem er mit keinem anderen zusammenarbeiten muss. Einzig Hafez el-Assad leistet Carl in den Kellerräumen, in denen das Sonderdezernat eingerichtet wurde, Gesellschaft – und der Einwanderer, der eigentlich nur Böden putzen und aufräumen sollte, nimmt schon bald die Organisation von Carls Arbeit in die Hand und sorgt dafür, dass der Kriminalbeamte in dem alten Fall der verschwundenen Politikerin Merete Lyngaard ermittelt.

Ich hatte ja schon einen ersten Eindruck zu diesem Buch geschrieben – und musste den im Laufe des Romans eigentlich nicht revidieren. „Erbarmen“ hat mich sehr gut unterhalten, ich fand es interessant zu verfolgen wie Merete überhaupt verschwand und was für ein Leben hinter dieser erfolgreichen Politikerin stand und fragte mich, was später aus ihrem Bruder Uffe geworden ist. Die Figur des Assad hat mir bis zum Ende die Geschichte „versüßt“, er ist hilfsbereit, patent, hat seinen ganze eigenen Kopf – und obwohl er so ein kommunikativer Mensch ist, merkt man genau, dass da noch so einige Geheimnisse verborgen sind.

So muss ich zugeben, dass mich Carl Mørck und seine Geschichte am wenigsten berührt hat, auch wenn diese Figur nicht unsympathisch ist – und einen wundervollen Gegensatz zu Assad bildet. Aber ansonsten ist Carl einfach nur ein Kriminalroman-Klischee, wie er einem in ständig über den Weg läuft. Auch hat mich Meretes Gefangenschaft erstaunlich wenig berührt, hier und da habe ich mich geschüttelt zum Beispiel bei der Vorstellung so lange Zeit die gleichen Kleidungsstücke tragen zu müssen, ohne sie waschen zu können, oder mich gefragt, ob so viel geistige Gesundheit unter den Umständen wirklich möglich wäre, aber ich ansonsten habe ich nicht sehr um diese Figur gebangt.

Vielleicht, weil mir recht schnell klar war, wer und was hinter der Tat steckte – in meinen Augen hat der Autor die Hinweise nicht gerade dezent gestreut – und das nimmt einem ja doch einiges an Spannung. Aber auch ohne die Angst, dass Merete noch schlimmeres passieren könnte oder einen faszinierenden Ermittler hat mich „Erbarmen“ gut unterhalten. Das lag vor allem an Assad, bei dem ich mich ständig fragte, wie er an manche Informationen herangekommen ist, was er in seiner Vergangenheit wohl gemacht hat und wie sein und Carls Verhältnis sich noch ändern wird. Auch habe ich die Gespräche zwischen ihm und dem Polizisten genossen, in diesen Momenten lief sogar Carl zur Höchstform auf und reizte mich hier und da zum Schmunzeln. Ich habe mir „Schändung“, den zweiten Band um das Sonderdezernat Q schon in der Bibliothek vorgemerkt – und hoffe sehr, dass der wieder so unterhaltsam wird wie „Erbarmen“.

Jussi Adler-Olsen: Erbarmen – erster Eindruck!

Hier und da konnte man aus meinen Rezensionen ja schon rauslesen, dass ich in den letzten Jahren nicht so ganz glücklich mit den aktuellen Kriminalromanen war. Inzwischen bin ich schon froh, wenn ich einen richtig unterhaltsamen Roman erwische und erwarte schon gar nicht mehr, dass es spannend sein könnte oder ich von der Auflösung am Ende überrascht sein werde. Im Gegenzug ärgere ich mich umso mehr, wenn ich über Autoren stolpere, die ekelerregende Darstellungen auf die Spitze treiben, weil sie – im besten Fall – denken, dass das für Spannung sorgt, oder – im schlimmsten Fall – wissen, dass das Verkaufszahlen bringt.

Das alles hat dafür gesorgt, dass ich immer kritischer an die Romane herangehe, die mit einem fetten „Thriller“ auf den Markt kommen. Und während ich eben beim Frühstück die ersten 100 Seiten von gelesen von „Erbarmen“ gelesen habe hat eine kleine zynische Stimme in meinem Hinterkopf eine Liste abgehakt mit den Dingen, die zu einem skandinavischen Kriminalroman wohl einfach dazugehören:

– Erstklassiger, aber desillusionierter Ermittler? Vorhanden!
– Hat der Ermittler vor kurzem ein traumatisches Erlebnis gehabt? Jupp!
– Ist die Ehe des Ermittlers kaputt? Natürlich!
– Seltsame Mitbewohner oder Nachbarn (keine unbedingt erforderliche Zutat, aber gern verwendet)? Ja, gibt es!
– Hat er Ärger mit Kollegen/dem Vorgesetzten? Auch den Punkt können wir abhaken!

Ich hätte bestimmt noch mehr Dinge gefunden, aber dann kam Assad! Hafez el-Assad ist die Hilfskraft des Kriminalbeamten Carl Mørck und eigentlich soll er nur für Ordnung und Sauberkeit sorgen, doch dafür ist er zu fleißig, zu intelligent und zu integer. Auch bei dieser Figur hat der Autor ein paar Klischees ausgepackt, diese aber so liebevoll verwendet, dass ich darüber hinwegsehen kann. Im Moment finde ich Assad großartig! Ich würde ihn sehr gern engagieren – jetzt sofort und auf der Stelle! Ich bin mir sicher, er hätte im Nu meinen Garten, meinen Haushalt, meine Katzen und meine Arbeit im Griff – oder er würde zumindest dafür sorgen, dass ich diese Dinge besser im Griff hätte. 😉

Es ist nicht so, dass ich nicht neugierig darauf bin, was der Politikerin Merete Lynggaard genau zugestoßen ist, wer der oder die Täter sind oder ob und wie Carl Mørck eine Spur in diesem alten Fall findet, aber jetzt gerade freue ich mich vor allem auf weitere Szenen mit Assad.