Leslie Vedder: The Bone Spindle

Mit „The Bone Spindle“ erzählt Leslie Vedder eine ungewöhnliche Dornröschen-Variante, die mir sehr viel Spaß gemacht hat. Im Prolog stellt die Autorin das fantastischen Königreich Andar vor, dessen jüngster Prinz von der Spindle Witch verflucht wurde. Nur durch den Einfluss der anderen drei großen Hexen (der Snake Witch, der Dream Witch und der Rose Witch) konnte der Fluch gemildert werden. Das Königreich Andar wurde durch diesen Fluch vernichtet, seine Bewohner flohen in die anliegenden Reiche, die drei großen Hexen starben bei dem Versuch, die Spindle Witch zu besiegen, und alle Personen im Schloss fielen – ebenso wie Prinz Briar – in einen unendlichen Schlaf, der nur durch den Kuss einer jungen Frau gebrochen werden kann. Doch bislang hat es niemand geschafft, den Fluch über Andars Prinzen zu brechen. Stattdessen durchstöbern Schatzjäger die Ruinen des zerstörten Königreichs nach kostbaren Schätzen, magischen Artefakten und unbekannten Zauberbüchern. Diese Schatzsuchen sind nicht ganz ungefährlich, denn die wertvollsten Dinge in diesen Ruinen werden durch ausgeklügelte Zauber und Fallen geschützt.

Auch die Protagonistinnen Fi – genauer Lady Filore Nenroa – und Shane, eine Kriegerin aus dem Norden, sind Schatzjägerinnen, wobei Shane vor allem auf Reichtümer aus ist, während Fi auf der Suche nach Wissen über das verlorene Königreich Andor und die Orden der großen Hexen ist. Genau genommen hofft Fi, dass sie in den Unterlagen der alten Hexen-Orden Informationen findet, die ihr helfen, einen Fluch zu brechen, mit dem sie ihr Ex-Freund vor einem Jahr verhext hat. Doch stattdessen stolpert sie bei einem gemeinsamen Abenteuer mit Shane über einen weiteren Fluch – den Fluch, den die Spindle Witch auf den Prinzen von Andor gelegt hat. Dieser Fluch sorgt für einen Seelenbund zwischen Fi und dem schlafenden Briar, und je länger dieser Bund besteht, desto näher kommen sich die beiden. Auf ihrem Weg zum verfluchten Schloss von Andor müssen sich Fi und Shane nicht nur mit dunkler Magie, Hexenjägern, einem manipulativem Ex-Freund und einer rätselhaften jungen Frau in einem roten Umhang herumschlagen, sondern auch mit der dunklen Magie der Spindle Witch. Trotzdem ist „The Bone Spindle“ alles andere als eine düstere Geschichte, denn allein schon die gegensätzlichen Charaktere der beiden Protatonistinnen sorgen für diverse amüsante Szenen.

Ich mochte es sehr, dass Fi und Shane anfangs nicht mehr als „Arbeitskolleginnen“ waren, die sich miteinander arrangieren, obwohl sie die andere Person und ihr Verhalten häufig nicht verstehen können. So konnte ich abwechselnd mit einem Schmunzeln Fis und Shanes Gedanken verfolgen, die sie sich über ihre Kollegin machten, und nach und nach miterleben, wie sich diese beiden so unterschiedlichen Frauen miteinander anfreunden. Ebenso gefiel es mir, wie die Autorin verschiedene Märchenelemente aufgreift und ihre ganz eigene Geschichte daraus spinnt. Dabei belässt sie es nicht dabei, Prinz Briar zum Opfer des Fluches zu machen oder sich einfach bei bekannten Märchen zu bedienen, sondern sie baut eine ganz eigene Welt rund um die Hexen-Orden, die Schatzjäger und das verfluchte Königreich auf. Allerdings muss ich zugeben, dass „The Bone Spindle“ durch die ausführliche Vorstellung der Figuren (und der Welt) in den ersten Kapiteln etwas gemächlich anfängt. Ich habe das erste Drittel des Romans problemlos immer wieder aus der Hand legen und stattdessen in anderen Büchern stöbern können, aber als dieser Teil vorbei war, hat mich die Handlung so richtig gepackt und dafür gesorgt, dass ich „nur noch eben ein Kapitel“ gelesen habe, bis der Roman zuende war.

Das Einzige, was mich beim Lesen etwas irritiert hat, war das Alter der Protagonistinnen. Fi zum Beispiel ist siebzehn und wurde vor einem Jahr von ihrem Ex-Freund, mit dem sie sich einen Ruf als Schatzjägerin erarbeitet hatte, verflucht. Und wenn ich so etwas lese, dann frage ich mich, wie alt Fi bitte war, als sie anfing, gemeinsam mit ihrem Ex als Schatzjägerin zu arbeiten. Selbst wenn sie relativ schnell gewisse Berühmtheit erlangt hat, so kann sie zu Beginn ihrer Karriere maximal fünfzehn Jahre alt gewesen sein, und das finde ich schon etwas arg jung. Und auch bei Shane frage ich mich etwas, wie alt sie wohl gewesen sein muss, als sie ihr Zuhause (kurz vor ihrer Heirat!) hinter sich ließ – und wie sie sich dann so schnell Berühmtheit als Kriegerin erarbeiten konnte. Wenn ich dann noch all die deprimierenden Monate in Betracht ziehe, die sie als Söldnerin mit zweifelhaften Jobs verbracht hat … Aber nun gut, ich vermute mal, dass die anvisierte jugendliche Zielgruppe der Grund dafür ist, dass Fi und Shane deutlich jünger sind, als sie meiner Ansicht nach sein dürften, und grundsätzlich hat mich das Ganze nicht so sehr gestört, dass es mein Lesevergnügen deutlich getrübt hätte. Auch wenn ich es natürlich trotzdem hier ansprechen musste …

Insgesamt hat mir „The Bone Spindle“ wirklich gut gefallen. Ich mochte die beiden Protagonistinnen mit all ihren unterschiedlichen Stärken und Schwächen sehr gern, ich fand es unterhaltsam zu verfolgen, wie Briar versucht, Fis Herz für sich zu gewinnen, und ich habe es genossen, zu lesen, wie Fi und Shane sich im Laufe ihrer Reise anfreunden und immer wieder füreinander einstehen. Selbst wenn es hier und da Momente gab, in denen ich das Verhalten der beiden Protagonistinnen nicht wirklich klug fand, konnte ich ihre Beweggründe in der Regel nachvollziehen, was dafür gesorgt hat, dass mich diese Passagen so gar nicht gestört haben. Stattdessen habe ich mich über die vielen kleinen Entwicklungen, die die Figuren durchmachen, und über jede neue Information zu ihren Hintergründen gefreut. Ich fand es spannend, dass einige Charaktere in der Geschichte nur einen kleinen Auftritt hatten und es der Autorin doch gelang, sie so darzustellen, dass sie einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen haben. Am Ende gibt es noch so viel über Fi, Shane, Briar, Red und die Paper Witch herauszufinden, dass ich sehr gespannt bin, wie Leslie Vedder die Handlung in „The Severed Thread“ fortsetzen wird. Dummerweise erscheint der Band erst im Februar 2023, aber ich freue mich schon darauf, dass ich dann ein Wiedersehen mit all den Charakteren feiern kann.

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