„An Artificial Night“ ist der dritte October-Daye-Band und wieder muss sich October „Toby“ Daye – Wechselbalg, Privatdetektivin und Ritterin am Hof des Fae-Fürsten Sylvester – verschiedenen übernatürlichen Herausforderungen stellen, die dem Leser die Möglichkeiten bieten, tiefer in Seanan McGuires fantastische Welt einzutauchen. Dabei beginnt die Geschichte ganz harmlos mit einem Kindergeburtstag bei Tobys Freunden Stacy und Mitch, deren jüngster Sohn Andrew seinen vierten Geburtstag feiert. Im Schnellverfahren lernt man als Leser die Kinder der Familie – Cassandra (19), Karen (11), Anthony (9), Jessica (6), Andrew (4) – kennen und erfährt, wie viel sie Toby (deren eigene Tochter Gillian keinen Kontakt mehr zu ihr haben möchte) bedeuten. Doch so harmonisch geht es in der Geschichte natürlich nicht weiter, und so hält der nächste Morgen für Toby einige Schockmomente bereit.
Erst einmal ruft Connor bei Toby an und bittet um eine Verabredung, obwohl sich die beiden aus dem Weg gehen sollten, da sie ihre Gefühle füreinander trotz Connors Ehe mit Sylvesters Tochter nicht im Griff haben. Dann steht auch noch Tobys „Fetch“ (eine Art magischer Doppelgänger, der als „Leiche“ zurückgelassen wird, wenn eines der übernatürlichen Wesen stirbt) – genannt May Daye – vor der Tür und kündet vom baldigen Tod der Privatdetektivin. Und zuletzt erfährt Toby nicht nur, dass Karen in ein mysteriöses Koma gefallen ist, sondern auch, dass Andrew und Jessica in der Nacht spurlos aus ihren Betten verschwunden sind.
Doch die Kinder von Stacy und Mitch sind nicht die einzigen, die vermisst werden, auch Tybalt – König der Cait Sidhe – bittet October um Hilfe bei der Suche nach vermissten Kindern, ebenso wie Quentin (siehe „A Local Habitation“), dessen menschliche Freundin Katie verschwunden ist. Letztendlich sieht sich Toby gezwungen, die Luidaeg um Hilfe zu bitten, obwohl sie schon tief in der Schuld der mächtigen Meerhexe steht. Doch nur mit der Unterstützung einer der Erstgeborenen, wie die Luidaeg eine ist, kann die Detektivin die Spur der Kinder aufnehmen. Schnell steht fest, dass sie sich dafür in das Reich des „Blind Michael“ begeben muss, dessen Reiter alle hunderte Jahre auf die Jagd nach Kindern gehen, mit denen sie ihre Reihen aufstocken.
Wie schon bei den beiden vorhergehenden Teilen hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass Toby ständig von einem Ort zum anderen unterwegs ist und dabei nicht immer ganz gezielt vorgeht. Aber das gehört wohl zu einer Geschichte von Seanan McGuire dazu, und da die Autorin diese Reisen sehr atmosphärisch beschreibt und immer wieder (neue) Details zu den verschiedenen Figuren und Hintergründen dieser besonderen magischen Welt einbaut, wird es auch nicht langweilig. Im Gegensatz zu dem vorhergehenden Band gibt es hier keinen Kriminalfall, der gelöst werden muss, sondern die gesamte Geschichte dreht sich um Tobys Bemühungen, die Kinder aus der Hand von „Blind Michael“ zu retten. Dabei muss October Daye nicht nur an ihre physischen und psychischen Grenzen gehen, sondern auch in dem ständigen Bewusstsein handeln, dass ihr Tod schon vorhergesagt wurde.
Seanan McGuire beweist bei der Gestaltung von „Blind Michaels“ Reich wieder einmal ein großartiges Händchen für atmosphärische Landschaften. Sein Reich ist abweisend, voller Dornen und Steine und bietet demjenigen, der sich dort hinein verirrt, keinen Schutz und keine Hoffnung. Und die Reiter, die schon seit Jahrhunderten zu seinen Jägern gehören, sind so grausam und so wahnsinnig, wie es nur die Fae sein können. Ich habe diese Variante der „Wilden Jagd“ wirklich genossen – vor allem, da es der Autorin gelingt, durch Toby, ihren Humor, ihren Freundeskreis und Figuren wie die Luidaeg die Geschichte etwas aufzulockern. Auch mag ich es, wie sich die verschiedenen Nebenfiguren im Laufe der Serie immer weiter entwickeln und wie sich ihre Beziehungen zu Toby vertiefen.
Tybalt war mir ja schon bei seinem ersten Auftritt sympathisch (und wenn ich mir die diversen Rezensionen angucke, dann stehe ich damit nicht alleine), aber auch die Luideag gewinnt mit jedem weiteren Band an Tiefe. Und zu Sylvesters Gemahlin Luna (einer dreischwänzigen Kitsune) gibt es in diesem Roman sogar eine ganze Menge Hintergrundinformationen, während mich die kleinen Schnipsel zu der Undine Lily wünschen lassen, dass diese Figur in einem der kommenden Bände noch mehr Raum bekommt.
Auch wenn ich jedes Mal beim Lesen über die eine oder andere Länge in der Handlung stolpere und mir wünsche, dass die Autorin hier und da etwas straffen würde, so mag ich die October-Daye-Serie aufgrund der komplexen Fantasywelt, des souveränen Umgangs mit diversen Mythologien, den liebenswerten Figuren und des Humors wirklich gern und werde mir bestimmt auch die weiteren Bände rund um Toby zulegen. Teil vier habe ich sogar schon im Haus – und nun muss ich mir nur überlegen, ob ich den für die English-Challenge noch etwas aufhebe oder ob ich meiner Neugier nachgebe und das Buch in den nächsten Tagen lese.
Ich habe es endlich geschafft bis zum 3. Band zu kommen 🙂 – beim ersten habe ich lange gebraucht um "warm" zu werden, den zweiten habe ich irgendwann abgebrochen, dafür hat mir der 3. wirklich gut gefallen.
Leider gibt es die weiteren Bücher immer noch nicht auf deutsch, also werde ich sie auf englisch lesen müssen.
Tybalt mag ich auch sehr gerne und bin gespannt wie es mit ihn und Toby weiter geht.
@Pashieno: Zum Glück lassen sich die Bücher wirklich gut auf Englisch lesen. 🙂 Und ich finde, dass die Reihe sich immer weiter steigert – gerade Tybalt zeigt immer wieder nette Facetten. 😀