Schon der neunte October-Daye-Band und mir wachsen die Charaktere und die Welt, die Seanan McGuire da erschaffen hat, immer mehr ans Herz. Wie schon beim vorhergehenden Band ist für October zu Beginn von „A Red-Rose Chain“ die Welt rundum in Ordnung. Dass das nicht lange so bleibt, ist natürlich abzusehen und so muss Toby kurz darauf miterleben, wie ein Mitglied des königlichen Hofes angegriffen wird und das Nachbarreich eine Kriegserklärung abgibt. Um die bevorstehenden Auseinandersetzungen zu verhindern, wird Toby als Diplomatin losgeschickt. Ihr ist dabei durchaus bewusst, dass sie als Diplomatin nicht gerade die beste Wahl ist und dass sie als Wechselbalg in einem Reich, in dem ausschließlich reinblütige Fae eine Rolle spielen, einen besonders schweren Stand haben wird.
Bei Amazon gibt es ein paar Rezensionen, in denen sich beschwert wird, dass in diesem Roman zu wenig passiert und dass Toby sich häufig im Kreis dreht. In gewisser Weise stimmt das und es ist definitiv nicht die actionreichste Geschichte, die Seanan McGuire geschrieben hat, aber mir hat das Buch trotzdem wieder sehr gut gefallen. Es fühlt sich für mich an, als ob die Autorin den Boden für den nächsten größeren Handlungsstrang bereitet, in dem sie dafür sorgt, dass Toby die Welt der Fae durchwirbelt und alte Strukturen aufbricht, während sie ihre Fähigkeiten auslotet und sicherer in ihrer Anwendung wird. Mir bereitet es großes Vergnügen auf der einen Seite zu sehen, dass Toby immer mehr in ihrer Welt Fuß fasst und dass sie gelernt hat, sich auf ihre Familie und ihre Freunde zu verlassen, während auf der anderen Seite Seanan McGuire immer detaillierter die dunklen Seiten ihrer fantastischen Welt ausarbeitet.
Als Diplomatin in dem „Kingdom of Silences“ findet Toby dort (aus ihrer Sicht) erschütternde Umstände vor. Der regierende König ist – selbst für ein Fae – erschreckend rassistisch, die Regeln, die Oberon für das Zusammenleben der Fae aufgestellt hat, werden dort Tag für Tag gebeugt und über die Lebensumstände der Untergebenen möchte ich gar nicht erst reden. So schwankt Toby ständig zwischen dem Gefühl etwas gegen diese Missstände tun zu müssen und ihrer Verpflichtung als Diplomatin. Obwohl eigentlich von Anfang an klar ist, dass ihre Mission vergeblich ist, so muss sie doch die drei Tage durchhalten, die ihr offiziell zur Verhinderung des Krieges zur Verfügung stehen – und sei es nur, um ihrer Königin die Chance zu geben, diese Zeit zu nutzen, um sich auf einen Angriff vorzubereiten. Ich mochte es, wie dieser Konflikt dargestellt wurde, und wie Toby und ihre Freunde mit der Situation umgingen, obwohl sie doch eigentlich aufgrund ihrer offiziellen Rollen so hilflos waren.
Oh, und noch ein Aspekt, der bei Amazon kritisiert wurde, ist die Darstellung der Geschlechter in der Geschichte. Das bezieht sich auf eine Figur, die bislang immer als Mann dargestellt wurde, und von der man nun die Information bekommt, dass sie als Mädchen geboren wurde. Ich weiß nicht, warum das vorher ein Thema hätte sein sollen, während es an dieser Stelle meinem Empfinden nach eine gute Erklärung dafür ist, dass die Person eben nicht auf den ersten Blick von Personen erkannt wird, die sie als Kind kannten. Wieso ist es für manche Leser so ein Problem, dass eine Figur in solch einem Roman das Geschlecht gewechselt hat, während es anscheinend kein Problem ist über Gestaltwandler, Brückentrolle oder ähnliches zu lesen?
Deine Frage nach der Akezptanz bzw. Nicht-Akzeptanz von Transgender-Figuren im Roman im Kontrast zu der Selbstverständlichkeit von Gestaltwandlern finde ich ausgesprochen spannend. Ich dachte immer, Fantasy-Romane würden der Leserin/ dem Leser die Möglichkeit zum Rollenspiel geben. Aber vielleicht gelten auch in fantastischen Welten im Grunde nur traditionelle Werte?! Ich kenne dazu leider zu wenig Fantasy-Romane, wobei ich am Liebsten die lese, in denen sich Frauen sehr untypisch verhalten. Doch die Männerrollen sind meistens recht klar zugeschrieben (Alpha-Mann), höchstens beim Vampir verwischen die Rollen etwas. LG mila
Es gibt auch in der Fantasy sehr unterschiedliche Varianten, aber ich habe das Gefühl, dass in den letzten Jahren die Romane einen größeren Erfolg hatten, die traditionellere Werte benutzten. Oder wenn dem nicht so war, dann benötigten die Leser anscheinend eine Art "Vorwarnung", um sich auf das Thema einlassen zu können. High Fantasy war immer schon sehr "klassisch". Der Held, der viele Gefahren überstehen musste, und der (eventuell) am Ende nicht nur die Welt, sondern auch die Prinzessin rettet. Auch bei den Geschichten, bei denen die Frauen die Heldinnen sein durften, gab es doch viel zu oft am Ende doch immer irgendwo einen Prinzen. Bei Urban Fantasy gibt es meinem Gefühl nach gerade zwei extreme Varianten: Die Geschichten, die nichts anderes sind als Liebesromane in fantastischer Umgebung, und die Geschichten, die ungewöhnliche Wege gehen, eben auch bei der Darstellung der Protagonisten. Aber zwischen diesen beiden Extremen gibt es noch die Masse an Geschichten, die wie die klassische High Fantasy aufgebaut sind, egal, ob die Hauptfigur männlich oder weiblich ist. Es gibt das eine große Böse, das bekämpft werden muss, und irgendwann im Laufe der Geschichte gibt es einen Partner des anderen Geschlechts, der entweder mit einem zusammen kämpft oder der die Belohnung am Ende des Kampfes darstellt.
Autorinnen wie Tanya Huff oder Seanan McGuire, die zumindest gleichgeschlechtliche Paare darstellen (wobei man bei Seanan McGuire diese Aspekte bislang in erster Linie in ihren Kurzgeschichten erleben konnte), müssen damit rechnen, dass es einige Leser gibt, die solche Wendungen oder Passagen lieber nicht präsentiert bekommen würde. Und aufgrund solcher Reaktionen sind die Verlage da wohl auch sehr zurückhalten, was ich mehr als bedauerlich finde. Aber es ist eben – nicht nur in den USA – einfacher, wenn man Geschichten veröffentlicht, die möglichst wenig anecken und möglichst viele Käufer ansprechen.
Vermutlich ist es in den USA sogar noch schwieriger, wenn ich mir die große puritanische Gemeinde dort ansehe. Interessant fände ich, ob das Internet mit der Möglichkeit der selbstproduzierten E-Books da andere Inhalte hervorbringt, oder ob da genau so mainstreamig publiziert wird wie in der Verlagslandschaft?!
Sehr gut kenne ich mich bei den selbstpublizierten Sachen nicht aus. Aber wenn ich sehe, was für Geschichten so auf anderen Blogs besprochen werden, so gibt es bei den selbstveröffentlichten eBooks zwar mehr Vielfalt, aber leider auch häufig weniger Qualität – und das nicht nur in Bezug auf Rechtschreibung, Kommasetzung und Grammatik, sondern auch beim Handlungsaufbau. Auf der anderen Seite gibt es gerade in Amerika bei den SF/F-Autoren eine heftige Debatte zum Thema Vielfalt in Romanen. Und während die eine Seite nicht versteht, warum sich etwas ändern sollte, sieht man bei der anderen Seite deutlich Bewegung – und sei es nur, dass auf den Autorenblogs weiter darüber diskutiert wird oder auf andere Autoren verwiesen wird, die zum Teil aufgrund persönlicher Erfahrungen in ihren Geschichten von der konservativen Erzählweise abweichen.