Agatha Christie: The Man in the Brown Suit

Nachdem ich immer wieder in Texten über die Autorin über die Aussage gestolpert bin, dass Agatha Christies Romane in der deutschen Umsetzung deutlich gekürzt oder verändert wurden, wollte ich mir ein paar Titel der Autorin mal bewusst im Original angucken, um mir ein eigenes Bild davon zu machen. Außerdem passt „The Man in the Brown Suit“ so schön zur English-Challenge und bietet mir die Gelegenheit mal etwas anderes als einen Dresden-Files-Roman dafür zu besprechen.

„Der Mann im braunen Anzug“ ist wohl einer der unbekannteren Romane von Agatha Christie und gehört zu meinen Lieblingsbüchern der Autorin. Hier bekommt der Leser keine Miss-Marple- oder Hercule Poirot-Geschichte präsentiert, denn die Ereignisse drehen sich um die Abenteuer von Anne Beddingfeld. Anne ist die Tochter eines Gelehrten, der sich so sehr für seine anthropologischen Studien interessiert, dass er alles andere darüber vergessen kann. Während Anne ihm den Haushalt führt und gerade so mit dem kargen Einkommen des Vaters über die Runden kommt, bestehen die Höhepunkte ihres Lebens aus dem Lesen von Romanen aus der Leihbücherei und dem wöchentlichen Kinobesuch, wo sie die Episoden rund um die Abenteurerin Pamela genießt. So wundert es einen nicht, dass Anne nach dem Tod ihres Vaters sein Ableben zwar bedauert, darin aber auch die Chance sieht endlich ein aufregendes und abwechslungsreicheres Leben zu führen.

Zum Glück wird sie von einem Geschäftspartner ihres verstorbenen Vaters nach London eingeladen. Dort, so hofft Anne, wird sie eine Anstellung finden, die ihren Hunger nach Aufregung und Romantik befriedigt. Doch so einfach ist es nicht eine Beschäftigung zu finden, die Annes Ansprüchen entspricht – und so stürzt sich die junge Frau lieber auf einen rätselhaften Unfall, den sie in der U-Bahn beobachtet. Bei diesem Unfall stürzte ein – nach Mottenkugeln riechender – Mann unter seltsamen Umständen von der Plattform der Bahn und kommt dabei ums Leben. Ein geheimnisvoller Zettel, dem ebenfalls der Geruch von Mottenkugeln anhaftet, und ein Mord in einem leerstehenden Haus führen Anne auf die Spur eines Verbrecherrings, der vor allem während des Ersten Weltkriegs (die Geschichte wurde von Agatha Christie 1926 veröffentlicht) aktiv war. Und bei all diesen rätselhaften und bedrohlichen Vorfällen scheint ein Mann in einem braunen Anzug involviert zu sein. Ein Mann, der nicht nur Annes kriminalistisches Interesse weckt …

Erzählt werden die Ereignisse in erster Linie aus Annes Sicht, aber auch Tagebucheinträge von Sir Eustace Pedler werden in die Geschichte eingeflochten. Dieser schon etwas ältere Herr ist nicht nur der Besitzer des leerstehenden Hauses, in dem der Mord passierte, sondern er wird auch von der britischen Regierung gebeten ein politisch wichtiges und überaus geheimes Dokument nach Südafrika mitzunehmen. So spielt ein guter Teil der Handlung auf einem Schiff und später in Südafrika, wobei sich der Kreis der handelnden Personen auf einen recht engen Rahmen beschränkt, nämlich Sir Eustace Pedler und seine Angestellten, Anne Beddingfeld, eine wohlhabende Weltenbummlerin, einen attraktiven schweigsamen Mann, der für den Geheimdienst arbeitet, und einen nicht sehr sympathischen Missionar.

Trotz dieses kleinen Kreises gelingt es Agatha Christie ganz wunderbar eine Atmosphäre zu schaffen, die einer Spionagegeschichte und einer Handlung rund um eine Verbrecherbande gerecht wird. Doch vor in erster Linie mag ich die verschiedenen Charaktere, allen voran Anne und Sir Eustace Pedler, denen die Autorin jeweils eine ganz eigene Stimme verleiht. Während Anne ihr Abenteuer in vollen Zügen genießt und nur hier und da bei ihr der Gedanke aufkommt, dass sie sich doch recht blauäugig in so manche Gefahr begibt, scheint der alte Herr nichts und niemanden ernst zu nehmen und trotzdem nie so ganz zufrieden mit dem Benehmen seiner Mitmenschen zu sein. So fragt er zum Beispiel ganz am Anfang der Geschichte den Beamten, der ihn als Kurier nach Südafrika anheuern soll, warum man dafür nicht einfach die britische Post bemühen würde. Eine Briefmarke wäre doch deutlich weniger umständlich zu finden, als eine vertrauenswürdige Person, die den langen Weg nach Afrika auf sich nimmt …

Zwei Absätze finde ich dabei recht typisch für den Erzählstil dieser Geschichte:

„It reminded me forcibly of Episode III in „The Perils of Pamela“. How often had I not sat in the sixpenny seats, eating a twopenny bar of milk chocolate, and yearning for similar things to happen to me! Well, they had happened with a vegeance. And somehow it was not nearly so amusing as I had imagined. It’s all very well on the screen – you have the comfortable knowlege that there’s bound to be an Episode IV. But in real life there was absolutely no guarantee that Anna the Adventuress might not terminate abruptly at the end of any Episode.“ (Anne Beddingfeld, S. 118)

„I am inclined to abandon my Reminiscences. Instead, I shall write a short article entitled „Sectretaries I have had“. As regards secretaries, I seem to have fallen under a blight. At one minute I have no secretaries, at another I have too many. […] Yes, „Secretaries I have had“. No.1, a murder fleeing from justice. No.2, a secret drinker who carries on disreputable intrigues in Italy. No.3, a beautiful girl who possesses the useful faculty of being in two places at once. No.4, Miss Pettigrew, who I have no doubt, is really a particularly dangerous crook in disguise!“ (Sir Eustace Pedler, S. 142)

„The Man in the Brown Suit“ ist ein wunderbar unterhaltsamer Kriminalroman, der vielleicht nicht zu Agatha Christie kompliziertesten oder spritzigsten Geschichten gehört, der mir persönlich aber immer wieder sehr gut gefällt. Ich mag die romantische und abenteuerlustige Anne und bewundere ihre Courage, auch wenn ich nicht so recht nachvollziehen kann, warum sie sich von dem Mann im braunen Anzug so angezogen fühlt. Nun, das könnte aber auch daran liegen, dass er gut aussieht, unhöflich ist und seinen Beschützerinstinkt nicht immer unterdrücken kann …Wer mal einen Roman der Autorin ausprobieren will, der nichts mit Miss Marple oder Hercule Poirot zu tun hat, der könnte eindeutig eine schlechtere Wahl treffen. 😉 Achja, großer Unterschiede zu meiner deutschen Ausgabe habe ich nicht feststellen können, abgesehen davon, dass mir zwei kleine Szenen unvertraut vorgekommen sind. Allerdings habe ich „Der Mann im braunen Anzug“ beim Lesen auch nicht bei der Hand gehabt und konnte so keinen direkten Vergleich anstellen. Oh, und zu meiner eigenen Überraschung (bei Kriminalromanen habe ich einfach immer Angst, dass ich nicht genug Feinheiten mitbekommen würde) lässt sich die Geschichte auch ganz wunderbar im Original lesen.

3 Kommentare

  1. Ich hab das Buch vor 20 Jahren mal gelesen, muss aber gesehen, dass ich mich nicht mehr wirklich daran erinnern kann. Deine Rezension macht aber auf jeden Fall Lust darauf! 🙂

    Das mit den gekürzten Übersetzungen hab ich übrigens auch gehört. Schade, dass du nichts genaueres dazu sagen kannst bzw. interessant, dass du nichts festgestellt hast. Gibts nicht vielleicht irgendwelche "Schnittberichte" online?

  2. Ich mag das Buch einfach gerne und lese es immer wieder. Meine Agatha-Christie-Sammlung gehört zu den Dingen, über die ich in Stressphasen oder bei akuter Leserlust gekoppelt mit "keine Lust auf den SuB" sehr dankbar bin. Umso ärgerlicher, dass ich gerade auf die Bibliothek angewiesen bin. 😉

    Ich würde schon vermuten, dass mir bei dem Buch ein größerer Einschnitt bei er Übersetzung aufgefallen wäre. Nach "Schnittberichten" habe ich bislang noch nie geguckt – wäre allein auch nie auf die Idee gekommen. *g*

    Ansonsten habe ich hier noch einen zweiten englischen Christie-Roman – und wenn nicht vorher die nächste Bücherlieferung bei mir eintrifft, dann werde ich den auch noch lesen und dabei die Augen aufhalten. Das Buch müsste ich eigentlich auch gut genug kennen, um Differenzen zwischen den Ausgaben zu erkennen.

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