Seanan McGuire: Sparrow Hill Road

„Sparrow Hill Road“ von Seanan McGuire ist ein Einzelband mit Geschichten rund um Rose Marshall, ein in den 50er Jahren verstorbenes Mädchen, das seit Jahrzehnten immer wieder an amerikanischen Highways nach einer Mitfahrgelegenheit sucht ,.. Bevor ich mehr zum Inhalt sage, noch etwas zur Einordnung des Bandes in Seanan McGuires Romanwelt: „Sparrow Hill Road“ gehört nicht zu den „InCryptid“-Geschichten, aber die Ereignisse spielen in derselben Urban-Fantasy-Welt, auch wenn sich dies nur in ein, zwei Verweisen auf den Namen „Healy“ bemerkbar macht.

Wie schon bei „Indexing“ würde ich empfehlen, dass man sich beim Lesen von „Sparrow Hill Road“ Zeit lässt, um die einzelnen Geschichten zu genießen und langsam immer tiefer in diese Welt voller Geister einzutauchen. Das Buch ist dabei in vier Bereiche aufgeteilt, und während im ersten Abschnitt eher kleine und alltägliche Begebenheiten (also für Rose alltägliche Begebenheiten :D) geschildert werden, werden die späteren Geschichten immer intensiver und persönlicher. Jede Kurzgeschichte wird eingeleitet von einem Abschnitt, in dem etwas über diese Geisterwelt erklärt wird, etwas, das Rose in den vergangenen Jahrzehnten als „Hitchhiker-Ghost“ über die Highways des Landes und die Menschen und Geschöpfe, die dort existieren, gelernt hat.

Diese Erzählweise erfordert schon, dass man sich auf das Ganze einstellen und etwas Geduld haben muss, aber es lohnt sich definitiv, diese Geduld aufzubringen, denn Rose und ihre Geschichte sind meiner Meinung nach etwas Besonderes, und es hat mir – auf eine melancholische Weise – viel Spaß gemacht, „Sparrow Hill Road“ zu lesen. Die Sparrow Hill Road ist der Ort, an dem Rose mit sechzehn Jahren getötet wurde, in der Nacht, in der sie eigentlich mit ihrem Freund auf einen Ball gehen sollte. Doch er kam zu spät und sie wurde ungeduldig und machte sich allein auf den Weg – und wurde so zum Opfer eines getriebenen Mannes.

Da Rose auf der Straße getötet wurde, wurde sie zu einem Hitchhiker-Ghost, einer Anhalterin, die ihr untotes Dasein damit verbringt, über die Straßen von Amerika zu trampen. Doch Rose ist mehr als eine geisterhafte Anhalterin, sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, zur Stelle zu sein, wenn Gefahr droht, dass ein Fahrer in einen tödlichen Unfall verwickelt wird. Manchmal kann sie dazu beitragen, dass derjenige, der sie in seinem Wagen mitnimmt, noch davonkommt, manchmal kann sie die Toten nur noch auf einem Stückchen ihres Weges begleiten, bis sie ihre Bestimmung nach dem Tod gefunden haben. Auch für Rose ist das „Leben“ auf der Straße nicht ganz ungefährlich, denn neben den diversen übernatürlichen Gefahren lauern z. B. auch Menschen auf sie, die aus den verschiedensten Gründen als Geisterjäger unterwegs sind. Doch niemand ist so schrecklich wie Bobby Cross, der Mann, der Rose getötet hat und nun auf der Jagd nach ihrer Seele ist.

Ich mag Rose sehr gern, sie ist hilfsbereit, aber nicht zu gut, sie hat Ecken und Kanten. Es gibt ein paar Freunde, die sie längere Zeit durch ihr untotes Leben begleiten, sowie einige Leute, die sie lieber meidet. Sie hat es geschafft, eine Nische nach ihrem Tod zu finden, mit der sie zufrieden ist – und im Laufe der Zeit lernt sie, ihre Angst vor Bobby Cross in Wut und Stärke umzuwandeln. Außerdem mag ich (mal wieder *g*) die Welt, die Seanan McGuire rund um Rose geschaffen hat. Es gibt ganz eigene Gesetzmäßigkeiten für eine Existenz nach dem Tod, und Rose weiß längst nicht alles, was in dieser Welt vor sich geht, aber gerade diese Mischung aus Wissen und Ungewissheit hat meine Fantasie befeuert.

Wenn man andere Kurzgeschichten von Seanan McGuire kennt, erkennt man vielleicht das eine oder andere Wesen (wie die Cheerleader-Walküren) wieder, aber auch ohne dieses Wiedererkennen machen die Figuren Sinn und es macht Spaß mitzuerleben, wie sie auf Rose treffen und was diese Begegnung für Rose bedeutet. Ich finde es auch immer wieder schön, wie es die Autorin schafft, mit wenigen Sätzen einer Figur so viel Profil zu verleihen, dass man das Gefühl hat, man hat eine klare Vorstellung von ihr. Manchmal reicht es schon, dass sie schreibt, dass jemand ein guter Mann ist, jemand, den man zum Freund haben möchte, und der eine Anhalterin nicht mitnimmt, weil er sich davon etwas erwartet, sondern weil er der Meinung ist, dass eine junge Frau nicht allein auf der Straße unterwegs sein sollte. Und nach diesen wenigen Sätzen bangt man so sehr um diesen Mann, dass man sich kaum traut, die nächste Seite umzublättern, weil man schließlich weiß, dass dort ein Unfall wartet und man befürchtet, dass Rose zu spät kommt, um ihn zu retten …

16 Kommentare

  1. Du hattest mir von dem Buch schon bei anderer Gelegenheit erzählt, es klingt interessant. Hast Du es in der Printversion? 😉

  2. BücherFähe

    Das klingt nach einem interessanten Buch. 🙂
    Aber ich bin jetzt doch ein bisschen verwirrt: ist das jetzt eine komplett neue Fantasy-Welt? Weil das spielt ja irgendwie auch in Amerika? Oder ist das einfach die "ganz normale Welt", nur eben die Tatsache, dass Rose ein Geist ist, macht das ganze zum Fantasy-Buch?
    (Ich frag das jetzt einfach mal ganz naiv :D)

  3. @BücherFähe: Es ist das normale Amerika, erweitert um diverse Geister und ähnliche Gestalten. Es ist also keine High-Fantasy-Welt, sondern eine Urban-Fantasy-Variante des aktuellen Amerikas. 🙂 Also ja, die Tatsache, dass Rose ein Geist ist, macht es zu einem Fantasybuch. 🙂

  4. @Darkstar: Ich bin mal so unhöflich und zitiere aus dem ersten Absatz: ""Sparrow Hill Road" gehört nicht zu den "InCryptid"-Geschichten, aber die Ereignisse spielen in derselben Urban-Fantasy-Welt, auch wenn sich dies nur in ein, zwei Verweisen auf den Namen "Healy" bemerkbar macht." 😀 Und ich fürchte, dass BücherFähe die InCryptid-Geschichten nicht so schnell lesen würde, weil sie bei Fantasy normalerweise nicht so schnell zugreift. 😉

  5. BücherFähe

    Danke für die nette Aufklärung, wenn ich munter weiter frage werde ich irgendwann alle Fantasy-Richtungen draufhaben. 😀
    Und Winterkatze – was soll ich sagen? – du kennst mich einfach. 😀 Mit deiner Befürchtung zu den InCryptid-Geschichten liegst du richtig.^^

  6. @BücherFähe: Wer weiß, vielleicht finden wir noch eine Fantasynische für dich, mit der du dich wohlfühlst. Die Harper-Connelly-Bücher haben dir ja schon mal gefallen. 🙂

  7. Ich bin auch nicht unbedingt ein Fan von jeder Art Fantasy , aber Seanan McGuires Welt mag ich , weil ich sie noch nachvollziehen kann .Sie ist noch im Hier und Jetzt angesiedelt , und lehnt ihre Gestalten an die keltische Welt an , die ich einfach sehr mag.Also das Buch hört sich dehr interessant an – leider! Ich muss es wohl auf meine Liste setzen.

  8. @glencolumbscille: Ich mag ihre Art eine Welt zu erschaffen auch immer sehr. Sie hat so einen ungewöhnlichen Blick für Alltägliches, der immer wieder Spaß macht. (Wobei dieser Blick meiner Meinung nach bei den Velveteen-Geschichten besonders auffällt, aber das ist wieder ein Thema, das man mögen muss.) Keltische Elemente verwenden hingegen sehr viele Autoren, da finde ich es immer faszinierender, wenn jemand mal außergewöhnlichere Wege geht. 🙂

  9. Flashback Mai 2018 | RikeRandom

    […] fällt zwar Seanan McGuires „Sparrow Hill Road“, das mir von Konstanze empfohlen wurde, von der Liste, aber das wird dann halt im Juli gelesen, da erscheint ja […]

  10. July 2018 #24in48 Readathon | RikeRandom

    […] with Seanan McGuire’s „Sparrow Hill Road“ which was recommended to me by Konstanze who blogs over on Alles außer Lyrik. I’m really looking forward to it – I enjoyed the Wayward Children novellas so much and […]

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