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Mary Roberts Rinehart: The Window at the White Cat

„The Window at the White Cat“ von Mary Roberts Rinehart war in den letzten Wochen mein Wartezimmerbuch, und da die Geschichte viele vertraute Elemente hatte und die Menge der Personen relativ übersichtlich ist, war es perfekt dazu geeignet, um in kleinen Portionen gelesen zu werden. Trotz dieser vielen vertrauten Elemente ist mir der Roman eine Rezension wert, da ich es lustig fand, die Geschichte mal aus einer anderen Perspektive erzählt zu bekommen. Die anderen Bücher, die ich von der Autorin bislang gelesen habe, beschrieben die Handlung aus der Sicht einer Frau – und in den Fällen, in denen diese Frau jünger ist, berichtet sie im Nachhinein von den Schritten, die ein befreundeter Mann unternommen hat, um den Fall zu lösen.

In „The Window at the White Cat“ wird die Geschichte von dem (nicht mehr ganz so jungen) Anwalt Jack Knox erzählt. Als eines Tages die junge Margery Fleming in seine Kanzlei kommt und vom rätselhaften Verschwinden ihres Vaters berichtet, wird der Anwalt in eine ungewöhnliche Geschichte hineingezogen, die größere Kreise zieht, als er anfangs erahnen konnte. Margerys Vater ist ein Politiker mit großem Einfluss und sein Verschwinden ist nicht nur aus privater, sondern auch aus politischer Sicht sehr beunruhigend – zumal auch eine größere Summe Geldes in seiner Obhut war, die ihm aus beruflichen Gründen anvertraut wurde. Als Margery wenig später (nach einem Einbruch in ihr Elternhaus) bei ihren beiden älteren Tanten Zuflucht sucht, verschwindet auch noch eine der beiden Damen auf mysteriöse Weise.

Ich mochte es, dass der Protagonist sich nicht so ganz sicher war, wie er an die Ermittlungen herangehen sollte. Er ist kein Detektiv, er ist Anwalt, aber er gibt sich alle Mühe und sucht bei einem Polizisten und einem Journalisten Rat und Informationen, und so wuselt er sich von einem Hinweis zum Nächsten. Auch gefiel es mir, dass man dieses Mal die Geschichte eben aus Sicht des „ermittelnden Liebhabers“ (nur dass Margery bedauerlicherweise mit dem Sekretär ihres Vaters verlobt ist und Jack deshalb weiß, dass seine Verliebtheit hoffnungslos ist) erlebt. Jack vermutet immer wieder, dass Margery ihm etwas verschweigt, kann und will die junge Dame aber nicht bedrängen, weil er das Gefühl hat, er müsse sie beschützen. Auch entdeckt er immer wieder Umstände bei diesem Fall, von denen er nicht weiß, wie er sie ihr beibringen soll. Und während ich sonst die „Innensicht“ auf die üblichen Gepflogenheiten der betreffenden Haushalte genossen habe, bot Jacks Unvertrautheit mit den Personen hier neue Möglichkeiten für die Handlungsentwicklung.

Trotzdem gab es natürlich wieder viele vertraute Elemente wie die ältere Dame, deren Leben nicht ganz so berechenbar verläuft, wie ihre Verwandtschaft vermutet hat, der Vater, der die Familie in gewisser Weise im Stich gelassen hat, verschwundenes Geld rund um eine Privatbank und Personen, die verdächtigt werden, während andere Parteien versuchen, etwas zu vertuschen oder aus ganz eigenen Motivationen Ermittlungen anstellen und so den offiziellen Stellen in die Quere kommen. Auch wenn diese Sachen bei Mary Roberts Rineharts Romanen immer wieder vorkommen, finde ich ihre Geschichten nie langweilig. Ihre Charaktere sind – bei allen groben Ähnlichkeiten – individuell genug, dass mir das Kennenlernen Freude bereitet, die Geschichten bieten immer wieder neue Varianten des Grundthemas, und es gibt so viele kleine Szenen und Details, die mich amüsieren oder die mich über die Figuren und ihr Leben nachdenken lassen, dass ich mich von der ersten bis zur letzten Seite gut unterhalten fühle. Außerdem mag ich es, über diese Zeit (der Roman wurde 1910 erstveröffentlicht) zu lesen – und das auch noch von einer Autorin, die zu dieser Zeit gelebt hat.

Avery Hopwood (und Mary Roberts Rinehart): The Bat

Als ich nach Titeln von Mary Roberts Rinehart suchte, bin ich auch über „The Bat“ gestolpert. Nach den ersten zwei Kapiteln war ich ziemlich irritiert, denn die Handlung erinnerte mich sehr an „The Circular Staircase“. Nur wurde die Geschichte dieses Mal nicht aus der Ich-Perspektive erzählt, der Anfang erinnerte mich eher an einen Edgar-Wallace-Roman als an einen von Mary Roberts Rinehart und es gab auf einmal sowohl einen unheimlichen Verbrecher, der seit langer Zeit sein Unwesen trieb, als auch einen mysteriösen japanischen Butler in dem Haus, in dem der Krimi spielt.

Meine Suche nach Avery Hopwood hat mich dann schnell darüber aufgeklärt, dass „The Circular Staircase“ wirklich die Grundlage für „The Bat“ war. Allerdings hat Avery Hopwood die Geschichte  für die Bühne gründlich umgeschrieben, in dem er nicht nur die beteiligten Personen reduziert, sondern eben auch mit der Figur „The Bat“ einen deutlich reißerischen Touch in die Handlung einbrachte. Zumindest gehe ich davon aus, dass das seinem Anteil zu verdanken ist, auch wenn unterschiedliche Aussagen dazu gibt, wie weit er an der Umsetzung der Geschichte als Theaterstück beteiligt war. Das Stück hatte zu seiner Zeit einen so großen Erfolg am Broadway, dass es dort zu 867 Aufführungen gebracht hat. Außerdem hat die Figur des Verbrechers „The Bat“ angeblich Bob Kane dazu inspiriert den Comichelden „Batman“ zu erschaffen.

Von all diesen Hintergrundinformationen abgesehen, finde ich die Geschichte in erster Linie amüsant. Sie wird – passend für ein Theaterstück – deutlich schneller erzählt als „The Circular Staircase“, die Handlung konzentriert sich auf einen einzigen Tag, und die Figuren werden weniger tief charakterisiert – auch wenn mir die Hauptfigur Cornelia Van Gorder sehr vertraut vorkommt, weil solche resoluten älteren Damen einfach gern in bestimmten Kriminalgeschichten verwendet werden. Außerdem fand ich es spannend, dass die ganze Geschichte – abgesehen vom Prolog – in zwei Räumen spielte wie ein Theaterstück, wobei der Raumwechsel den dritten Akt einleitet (auch wenn man das beim Lesen des Buches nicht bewusst wahrnimmt). Das führt dazu, dass ich als Leser die Handlung konzentrierter wahrgenommen habe, weil die charaktervertiefenden Szenen wegfielen, aber eben auch dazu, dass ich die Figuren – abgesehen von Cornelia Van Gorder – recht beliebig fand, weil ich so wenig über sie erfahren habe.

Dadurch, dass „The Bat“ für diese Variante eingeführt wurde, habe ich mich beim Lesen keinen Moment gelangweilt. Denn auch wenn ich den Fall und die Auflösung schon kannte, so kam durch diesen Verbrecher ein neues Rätsel in die Geschichte und so habe ich mir bei jeder Person, die das Haus betrat, Gedanken darüber gemacht, ob sie dieser Kriminelle sein kann und was dafür und dagegen spricht. Und während ich sonst bei Mary Roberts Rineharts Geschichten nicht das Gefühl habe, dass sie von etwas inspiriert wurden oder für einen anderen Autor als Vorlage dienten, so habe ich mich zwischendurch doch gefragt, ob sich Agatha Christie – die ja das Theater auch sehr mochte – nicht (unbewusst) von diesem Stück und der Identität des Täters für mindestens einen ihrer Romane hat inspirieren lassen. Auf jeden Fall zeigt „The Bat“, trotz aller vertrauter Zutaten, deutlich weniger von der Handschrift Mary Roberts Rinehart – und das fand ich mal spannend zu verfolgen.

Mary Roberts Rinehart: The Swimming Pool (Hörbuch)

Ich verspreche, das hier ist erst einmal die letzte Mary-Roberts-Rinehart-Rezension für die nächsten Wochen. Aber die Autorin macht mir gerade so viel Spaß und die Hörbücher sind so schön lang und füllen so einige Arbeitsstunden aufs angenehmste … „The Swimming Pool“ ist die bislang „jüngste“ Geschichte, die ich von der Autorin gehört habe, denn sie entstand 1952, aber sie fühlt sich nicht moderner an als zum Beispiel „The Great Mistake“.

Erzählerin in „The Swimming Pool“ ist die siebenundzwanzigjährige Kriminalschriftstellerin Lois – wobei ich es amüsant finde, wie Mary Roberts Rinehart durch diese Figur die Romane, in denen nach Hinweisen und Fußspuren gesucht wird, auf die Schippe nimmt. Lois ist die jüngste von insgesamt vier Geschwistern und wohnt mit ihrem deutlich älteren Bruder Philip in dem ehemaligen Sommerhaus der Familie. Ihre älteste Schwester Anne ist mit einem erfolglosen Architekten verheiratet und Mutter von zwei Kindern und auch ihre zweite Schwester (Judith), die bis zu Lois‘ Geburt das Nesthäkchen der Familie war, ist schon vor über zwanzig Jahren aus dem Haus ausgezogen, um einen reichen Geschäftsmann zu ehelichen.

Der Vater der vier Geschwister hat vor über zwanzig Jahren Selbstmord begangen, angeblich weil er bei der großen Wirtschaftskrise das Vermögen der Familie verloren hat, und auch Lois Mutter ist schon vor einiger Zeit gestorben. Mit Mühe und Not gelingt es Lois und Philip das Sommerhaus so weit zu erhalten, dass sie darin leben können, und sogar den Swimming Pool, den die Mutter für die damals siebzehnjährige Judith hatte bauen lassen, konnten sie vor kurzem soweit renovieren, dass er wieder nutzbar ist. Trotzdem ist Judith entsetzt, als sie nach ihrer aufsehnerregenden Scheidung zu ihren Geschwistern ins Sommerhaus zieht. Ihr war all die Jahre nicht bewusst, in welch heruntergekommenen Zustand das Gebäude ist – trotzdem kommt ihr nicht in den Sinn, dass sie Lois und Philip (finanziell) helfen könnte. So werden Judiths Ansprüche an ihre Familie und ihre Umgebung schnell zu einer Belastung für Lois und Philip und einzig die Tatsache, dass sich ihre Schwester anscheinend in großer psychischer Not befindet, sorgt dafür, dass die beiden Judith nicht vor die Tür setzen.

Lois nimmt im Laufe der Geschichte immer wieder Kontakt zu einem Psychiater auf, der Judith schon seit einiger Zeit behandelt. Aber selbst gemeinsam finden sie keinen Grund für die Paranoia, die Angstattacken und die Zusammenbrüche von Judith. Alles, was Lois weiß, ist, dass ihre Schwester bei ihrer Abreise aus Reno (wo die Scheidung stattfand) zusammenbrach und seitdem Todesangst hat. Auch O’Brian, ein ehemaliger Soldat und Polizist, den Lois im Zug von Reno nach Hause kennenlernt, gibt der jungen Frau Rätsel auf. Auf der einen Seite scheint er Judith beschützen zu wollen, auf der anderen Seite kann er Lois nicht erklären, warum ihre Schwester in solcher Angst lebt. Als dann noch eine – der Familie unbekannte – Frau ermordet in ihrem Swimming Pool aufgefunden wird, muss Lois mehr über ihre Familie und die Vergangenheit herausfinden.

Ich finde es spannend, dass Mary Roberts Rinehart bestimmte Muster immer wieder verwendet. Da ist die Familie, die vor der Wirtschaftskrise reich und angesehen war, oder der Vater, der Selbstmord beging (so wie auch Mary Roberts Rineharts Vater sich selber tötete) oder die dominante Mutter, die die gesamte Familie nach ihren Launen tanzen lässt. Und obwohl diese Elemente immer wieder auftauchen, fühlt sich jede Geschichte unterschiedlich an. Mir ist bewusst. dass die Autorin mit diesen Kriminalgeschichten „Massenware“ produziert hat, aber dabei hat sie es geschafft für jedes Buch einen eigenen Ton zu treffen und jede Hauptfigur mit einem ganz eigenen Charakter auszustatten. Wie schon bei den vorhergehenden Geschichten mochte ich auch in „The Swimming Pool“ die Atmosphäre und die Darstellung der Zeit, die vor allem in solchen kleinen Begebenheiten zum Tragen wie bei einem Hauskäufer, der wegen der Atombombe nicht mehr in der Stadt leben will. Diese Details lassen mich, ebenso wie die Sprache und die Dialoge gern darüber hinwegsehen, dass ich in der Regel relativ schnell die Auflösung erahnen kann. Und ich mag es, dass der Fall eben nicht durch Spuren, Hinweise und wissenschaftliche Elemente gelöst wird, sondern durch das Wissen um den Charakter einer Person – und diesen Aspekt beherrscht Mary Roberts Rinehart wirklich.

Gelesen wurde die Geschichte wieder von Laurel Lefkow, die auch schon die Sprecherin bei „The Great Mistake“ war. Auch dieses Mal habe ich ihre Arbeit genossen und ihr gern zugehört. Sie verleiht den verschiedenen Figuren einen ganz eigenen Klang, ohne dabei zu übertreiben, und ich fühle mich sehr wohl mit ihrer Art des Vorlesens. Inzwischen habe ich mir noch ein paar weitere Titel mit ihr auf den Merkzettel gepackt – mal schauen, ob mich einer davon in den nächsten Monaten locken kann.

Mary Roberts Rinehart: The Great Mistake (Hörbuch)

Abgesehen davon, dass ich gerade diese ruhigen amerikanischen Krimis gern mag, haben diese Hörbücher den Vorteil, dass sie mit über elf Stunden relativ lange „halten“ und so deutlich mehr Arbeitsstunden füllen als die meisten anderne Titel auf meinem Wuschzettel. „The Great Mistake“ wurde 1940 von Mary Roberts Rinehart geschrieben und man merkt der Geschichte auch an, dass sie später spielt als „The Album“ oder „The Circular Staircase“. Die Handlung hat eine andere Atmosphäre, wirkt moderner und die Figuren sind weniger traditionsverhaftet und die Frauen wirken großteils deutlich selbstbewusster.

Bislang mag ich es sehr, wie sich die Geschichte der Autorin im Laufe der Zeit verändern, obwohl die grundsätzliche Erzählweise (chronologisch und mit dem jeweiligen Wissen, dass die Erzählerin zu dem Zeitpunkt hatte) gleich bleibt. Protagonistin in „The Great Mistake“ ist die fünfundzwanzigjährige Patricia „Pat“ Abbott. Die junge Frau hat früh ihre Eltern verloren und war dadurch gezwungen ihren Lebensunterhalt als Schreibkraft zu verdienen. Als sie in ihrem Heimatort Beverly (genauer gesagt auf dem „Hill“, während sie selber als Mitglied einer alteingesessenen Familie aus dem Valley stammt) einen Job als persönliche Sekretärin von Maud Wainwright und ihrem charmanten Sohn Tony ergattern kann, scheint ihr Leben deutlich besser zu werden.

Doch dann wird ein Mann im „Playhouse“ der Wainwrights ermordet, Tonys geldgierige Ehefrau Bessie taucht nach langer Zeit wieder auf und Maud scheint einen großen Schock verarbeiten zu müssen, über den sie mit niemanden reden kann. Pat ist bei den ganzen Ereignissen anfangs vor allem nur als Beobachterin dabei, aber durch ihre Freundschaft zu Maud (und ihre Gefühle für Tony) wird sie – ebenso wie durch ihre Bekanntschaft mit dem Polizeichef von Beverly – immer tiefer in die Sache verwickelt.

So sehr es mich sonst nervt, wenn bei einer solchen Geschichte mit Andeutungen der weiteren Entwicklung („hätte ich gewusst, dass diese vier Ereignisse zusammenhängen“ oder ähnliches) gearbeitet wird, finde ich es hier so gut in die Erzählstimme eingebunden ist, dass es mir Spaß macht und meine Neugier auf die weitere Handlung weiter anfacht. So habe ich mich dieses Mal lange Zeit gefragt, wie der nette kleine Polizist angeschossen wurde, und durfte die Auflösung des Mordes ebenso wie die Protagonist erst einige Zeit nach der Ergreifung des Täters erfahren.

Ich mag es, wie die Autorin in ihrem vertrauten Rahmen immer wieder Abwechslung in die Erzählung bringt, und ich mag die verschiedenen Figuren. Ich stelle mir gern vor wie ihr Leben verläuft und lasse mir Details daraus erzählen und ich finde es spannend, wie die Verbrechen den Alltag der verschiedenen Personen erschüttert. Allerdings muss ich auch zugeben, dass ich bei diesem Hörbuch die verschiedenen Geheimnisse, Motive und die Identität des Mörders relativ schnell durchschaut hatte. So hat mich „The Great Mistake“ weniger miträtseln lassen (auch wenn es noch genügend Punkte gab, bei denen mich die genauen Details überrascht haben), als dass ich interessiert verfolgt habe, wie die Ereignisse nach und nach aufgelöst wurden.

Die Sprecherin Laurel Lefkow hat ihre Arbeit sehr gut gemacht. Ich mochte sie sowohl in der Rolle der vernünftige Pat, als auch in der des pragmatischen Polizeichefs Jim oder all den anderen Figuren. Sie hat mir nie das Gefühl gegeben, sie würde übertreiben oder unangemessen betonen. Egal, ob sie Frauen- oder Männerstimmen verkörperte, ich habe ihr die Figur abgenommen – und es hat Spaß gemacht ihr zuzuhören.

Mary Roberts Rinehart: The Album (Hörbuch)

„The Album“ wurde von Mary Roberts Rinehart schon im Jahr 1933 geschrieben – und schon damals galt die von ihr dargestellte Gesellschaft als altmodisches Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Dass ihr Leben nicht so ganz normal ist, ist auch der Protagonistin Louisa Hall in den vergangenen Jahren immer wieder klar geworden. Sie lebt mit ihren 28 Jahren noch immer bei ihrer Mutter und ist ebenso im alltäglichen Trott verfangen wie die anderen vier Familien, die in der kleinen abgeschiedenen Sackgasse leben. Aufgrund der jahrelangen Vertrautheit miteinander, kennt man einander sehr gut und akzeptiert die Eigenheiten der Nachbarn kommentarlos.

Erst als ein Mord im Nachbarhaus geschieht und die Polizei anfängt zu ermitteln, wird Louisa bewusst, wie ungewöhnlich ihr Lebensstil ist und wie seltsam es ist, dass zum Beispiel die eine Nachbarin darauf besteht, dass absolut alles ständig abgeschlossen wird und sie die Schlüssel hütet, oder das Ehepaar in dem anderen Nachbarhaus seit über 20 Jahren nicht mehr miteinander geredet hat. Als dann noch Louisas ehemaliger Verlobter Jim Wellington sich verdächtig macht und ihr bewusst wird, wie wenig sie letztendlich über die Menschen weiß, mit denen sie aufgewachsen ist, versucht sie mehr über ihre Nachbarn herauszufinden.

Es ist sehr lange her, dass ich „Das Album“ gelesen habe und ich mochte sowohl dieses, als auch „Die Wendeltreppe“ von Mary Roberts Rinehart, das Buch, das ich danach gelesen hatte. Leider sind die deutschen Ausgaben nur noch gebraucht zu bekommen und als ich früher danach suchte, musste ich feststellen, dass auch die englischen Ausgaben zum Großteil vergriffen waren – und so habe ich damals nicht mehr Romane von der Autorin lesen können. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich vor kurzem mehrere Hörbücher mit ihren Titeln fand und da mir beim Anhören der Hörprobe die Sprecherin von „The Album“ am Besten gefiel, habe ich da zugegriffen.

Inhaltlich hat mir die Geschichte immer noch so gut gefallen wie beim ersten Lesen. Louisa ist vielleicht naiver als andere Frauen ihres Alters und hat sich jahrelang von ihrer Mutter kleinhalten lassen, aber da ihr Jims Verteidigung wirklich wichtig ist, entwickelt sie bei der Suche nach der Wahrheit (und somit auch dem Mörder) einen überraschenden Dickkopf. So tauscht sie sich immer wieder mit dem Kriminologen Herbert Dean aus, der ebenfalls von Jims Unschuld überzeugt ist, und teilt ihr Wissen über die Gewohnheiten und Hintergründe der Nachbarn mit ihm. Aber auch ihre Nachbarn kommen immer wieder auf Louisa zu, um ihr ihr Herz auszuschütten und ihre Erlebnisse mit einer „neutralen“ Partei zu teilen.

Ich mag es, wie sich die Geschichte entwickelt. Es kommt zu überraschend vielen Todesfällen, es gibt einen Haufen Leute, die theoretisch einen Grund für die verschiedene kriminelle Taten hätten haben können – und doch scheint keiner der Verdächtigen wirklich für all die Verbrechen in Frage zu kommen. Es gibt immer wieder den einen oder anderen Punkt, der darauf hinweist, dass eine Person vielleicht doch – mehr oder weniger – unschuldig ist oder vielleicht gar nicht erst für eine Tat verurteilt werden kann, wenn sie sie denn überhaupt begangen hat. Dabei bleibt man die ganze Zeit in Louisas Perspektive und erfährt erst nach und nach von den verschiedenen (vergangenen und aktuellen) Ereignissen und kann sich so seine Gedanken zu dem Gehörten machen.

Allerdings hat mir die Sprecherin Lucy Scott nicht ganz so gut gefallen. Bei der Hörprobe kam vor allem ihre Stimme als Erzählerin (also Louisa), die im Nachhinein von den Ereignissen berichtet, zu tragen und da fand ich die Stimme angenehm und gut verständlich. Aber an den Stellen, an denen sie Dialoge spricht, hat mich Lucy Scott häufig geärgert. Nicht nur, dass ihre Interpretation stellenweise schlecht verständlich war (gerade wenn es um die Dienstboten geht, verwendet die Autorin immer mal wieder Dialekt), sie hat auch nicht zu den Figuren gepasst. Obwohl Louisa eine eher zurückhaltende Frau ist, habe ich sie im Roman immer als eine Person empfunden, die Haltung bewahrt und die aufgrund ihrer Erziehung und ihrer Umgebung Gefühle für sich behält. Bei Lucy Scott hingegen klingt Louisa in so gut wie jedem Gespräch während der ersten acht von über elf Stunden jämmerlich und kindlich – sie winselt regelrecht, wenn sie über die dramatischen Ereignisse redet, und das ist wirklich unangenehm zu hören. Ich verstehe nicht, warum an diesen Stellen überhaupt die Stimme verstellt werden musste, wenn Louisa doch in Dialogen problemlos genauso hätte klingen können wie als Erzählerin. Zum Glück hielten sich diese Passagen in Grenzen, aber es hat mich trotzdem geärgert.

Mary Roberts Rinehart: The Circular Staircase

Nachdem ich gerade ein Mary-Roberts-Rinehart-Hörbuch („The Album“) höre, habe ich in den letzten Tagen ein paar Sachen für die dazugehörige Rezension recherchiert und dabei festgestellt, dass es so einige Titel von der Autorin bei Gutenberg.org zu finden gibt. Die Gelegenheit habe ich dann gleich genutzt, um mir „The Circular Staircase“ zu besorgen. Um mit diesem vertrauten Titel auszuprobieren wie gut ich mit der Sprache und der Erzählweise zurechtkomme, wenn ich die Geschichten im Original lese. Sowohl „The Album“ als auch „The Circular Staircase“ kenne ich übrigens schon auf Deutsch, so dass ich im Zweifelsfall durch mein Vorwissen eventuelle Verständnislücken hätte überbrücken können – was aber zum Glück nicht nötig war. Dafür habe ich den Roman wieder sehr genossen und fand es dieses Mal auch sehr faszinierend, wie unterschiedlich die beiden Geschichten von der Autorin angelegt wurden, obwohl die chronologische Erzählweise und die Perspektiven der Hauptfiguren sehr ähnlich sind.

Erzählt wird die Handlung in „The Circular Staircase“ von Miss Rachel Innes. Wie alt die Dame ist, wird nicht ausdrücklich gesagt, aber sie merkt an, dass ihr Dienstmädchen Liddy behauptet um die 40 Jahre alt zu sein – und dass das lachhaft wäre, denn das Mädchen müsste mindestens so alt wie sie selber sein. Vor einigen Jahren starb Rachels Bruder und hinterließ ihr zwei Kinder (Gertrude und Halsey), die sie liebevoll aufzog. Inzwischen sind die beiden alt genug, um das Erbe ihrer Mutter anzutreten und ihr eigenes Leben zu führen. Trotzdem verbringen die beiden gemeinsam mit Rachel einige Zeit in dem (von der Familie Armstrong) gemieteten Sommerhaus auf dem Land, während Rachels Stadthaus renoviert wird.

Doch schon in den ersten Nächten im Sommerhaus gibt es einige ungewöhnliche Vorkommnisse und als dann noch der junge Mister Arnold Armstrong erschossen wird, während zur selben Zeit Halsey und sein Freund Jack Bailey verschwinden, steht endgültig fest, dass Rachels Zöglinge in mysteriöse Ereignisse verwickelt sind. Ich muss gestehen, dass der Fall deutlich schneller gelöst hätte werden können, wenn Halsey und Gertrude und ihre Freunde nicht alle Geheimnisse gehabt hätten, die sie weder der Polizie noch Rachel anvertrauen wollten, aber das macht die Geschichte in meinen Augen nicht schlechter.

Rachel erzählt die Handlung Tag für Tag, so wie sie geschehen ist und mit dem Wissensstand, den sie zu dem jeweiligen Zeitpunkt hat – auch wenn sie hin und wieder andeutet, dass etwas anders gelaufen wäre, wenn sie damals schon über einige Dinge Bescheid gewusst hätte. Ich mag ihre Perspektive, ihr praktisches Wesen und die Kabbeleien mit ihrem – deutlich fantastiebegabteren – Dienstmädchen, das gern mal den ganzen Haushalt in Aufruhr bringt, weil es steif und fest behauptet, dass ein Geist für all die Vorkommnisse verantwortlich sein muss. Ich mag auch den Kriminalfall, der trotz des einen oder anderen Toten eigentlich recht gemütlich erzählt wird, und vor allem von einer Atmosphäre des Misstrauens lebt und davon, dass jeder Beteiligte sein eigenes Süppchen kochte, während Rachel im Dunklen tappt, obwohl sie sich regelmäßig mit dem Polizisten Jamieson austauscht.

Laut dem englischen Wikipedia-Eintrag wird Mary Roberts Rinehart wohl häufig mit Agatha Christie verglichen. Aber mal abgesehen davon, dass Mary Roberts Rinehart deutlich früher ihre Bücher veröffentlichte, finde ich, dass die Atmosphäre und die Herangehensweise an eine Geschichte bei den beiden Autorinnen sehr unterschiedlich ist. Mich erinnert sie aufgrund der beschriebenen Gesellschaftsschicht und der Art und Weise, in der die Kriminalfälle konstruiert wurden, eher an die Kelling-Reihe von Charlotte MacLeod. Wobei es wohl eher so ist, dass Charlotte MacLeod an Mary Roberts Rinehart erinnert, denn die Kelling-Serie wurde gut 70 Jahre nach „The Circular Staircase“ verfasst. Wie auch immer, ich mag diesen Stil, ich mag dieses „Neuengland-Gefühl“ und die Figur der (ältlichen) Jungfer [*] und werde – nachdem ich nun weiß, dass das mit dem Englisch klappt – bestimmt noch einige weitere Romane der Autorin lesen.

[*Verflixt! Nachdem ich in letzter Zeit so viel auf Englisch gelesen habe, fällt mir die passende Übersetzung für „spinster“ nicht mehr ein. Ich suche den Begriff für eine unverheiratete Frau, von der die Gesellschaft ausgeht, dass sie aufgrund ihres „Alters“ auch nicht mehr heiraten wird.]