Mira Grants (Seanan McGuires) Romane gehören zu den wenigen Horrorgeschichten, bei denen ich mich auf das Lesen wirklich freue, obwohl Horror eigentlich so gar nicht mein Genre ist. Aber bei dieser Autorin gibt es immer eine spannende Mischung aus Wissenschaft und Horror, aus ruhigen Passage, die die Welt und die Figuren einführen, und diesen Momenten, die dir als Leser das Herz brechen. Bei „Into the Drowning Deep“ nimmt sich Mira Grant erst einmal Zeit, um die Vorgeschichte zu erzählen (die Geschichte der Atargatis wurde 2015 von Subterranean Press mit dem Titel „Rolling in the Deep“ veröffentlicht) und die Charaktere einzuführen.
Wer bei einem „Horrorroman“ auf die erste Leiche hinfiebert, muss sich bei „Into the Drowning Deep“ fast 150 Seiten lang gedulden. Stattdessen bekommt der Leser eine Welt der nahen Zukunft vorgestellt, in der die anhaltende Umweltverschmutzung zu gravierenden Veränderungen im Lebensstil der Menschen geführt hat und in der die Unterhaltungsfirma Imagine unter anderem mit Dokumentationen, in denen diversen mythischen Wesen nachgespürt wird, ein Vermögen gemacht hat. Dass bei diesen Filmen immer nur herauskommt, dass es mythische Wesen wie Einhörner und ähnliches nicht gibt, scheint einen besonderen Reiz dieser Dokus auszumachen – zumindest bis zu dem Tag, an dem die Crew des Schiffs Atargatis mitsamt dem darauf befindlichen Filmteam und diversen Wissenschaftlern spurlos verschwindet, nachdem sie sich auf die Suche nach Meerjungfrauen gemacht hatten. Einzig einige Filmaufnahmen, die automatisch in eine Cloud hochgeladen wurden, gaben einen Hinweis darauf, was mit all den Personen geschehen sein könnte – und darauf, dass die Legenden rund um Meerjungfrauen nicht ganz so absurd und vor allem deutlich schrecklicher sein könnten, als je ein Mensch vermutet hätte.
Sieben Jahre später stattet Imagine ein riesiges Forschungsschiff aus, um sich noch einmal auf die Spur der Meerjungfrauen zu machen. Die Firma hat den Image-Verlust durch die gescheiterte Atargatis-Mission nicht verwunden, und auch die finanziellen Einbußen machen sich bemerkbar. Eine neue Forschungsreise, mit der nicht nur die Existenz – und somit die Unschuld Imagines an dem Schicksal der Besatzung der Atargatis – bewiesen werden kann, würde nicht nur den Ruf des Konzerns wiederherstellen, sondern auch so einige Möglichkeiten bieten, um die Verluste der letzten Jahre und die Kosten der Reise wieder auszugleichen. Für den Leser beginnt die Handlung kurz vor dem Auslaufen der Melusine damit, dass er die verschiedenen Beteiligten und ihre Motivation für ihre Teilnahme an einer so riskanten Forschungsreise kennenlernt.
Ich mochte die verschiedenen Figuren sehr, gerade weil sie Ecken und Kanten haben, weil sie zum Teil verbissen an der Vergangenheit festhalten oder ihr ganzes Leben auf ihre wissenschaftliche Forschung ausgerichtet haben. Auch fand ich den – nicht gerade geringen – Anteil an wissenschaftlichen Elementen in dem Roman sehr interessant. Aufgrund des Schwerpunktes der Reise und der Tatsache, dass der Großteil der Beteiligten nun einmal Forscher sind, gibt es sehr viele Passagen mit leicht verständlichen und faszinierenden Beschreibungen vom Umgang mit wissenschaftlichen Entdeckungen und dem Interpretieren von Daten für den jeweiligen Forschungsschwerpunkt des Charakters.
Dieser wissenschaftliche Schwerpunkt hat es mir persönlich auch leichter gemacht, mit dem Horror in der Geschichte umzugehen, denn das ist ja – wie schon erwähnt – eigentlich nicht so mein Genre. Hier hingegen fand ich es spannend zu verfolgen, wie sich die Menschen auf der Melusine auf die Suche nach Meerjungfrauen machten, während man als Leser genau weiß, dass es diese Kreaturen gibt und dass ein Zusammentreffen zwischen dem Schiff und den Wasserwesen unausweichlich ist und definitiv kein gutes Ende nehmen kann. Und während ich den Anfang von „Into the Drowning Deep“ eher gemütlich gelesen und häufig aus der Hand gelegt habe, um die verschiedenen Perspektiven nachklingen zu lassen, konnte ich im letzten Drittel der Geschichte nicht mehr aufhören zu lesen, weil ich unbedingt wissen wollte, ob einer der Beteiligten (und wenn ja, wer) das Ganze überleben würde und was dieses Zusammentreffen mit den Meerjungfrauen für die Zukunft der Menschen bedeuten würde.
„Into the Drowning Deep“ ist ein wirklich cooles Buch, mit interessanten Charakteren, überraschend vielen humorvollen Szenen, unglaublich unheimlichen und dabei erschreckend realistischen Monstern, faszinierenden wissenschaftlichen Elemente und sehr vielen spannenden Entwicklungen. Die eine oder andere Träne habe ich auch vergossen, denn selbstverständlich kommt es in einem solchen Roman zu Todesfällen und wenn das dann eine Person betrifft, die ich in den wenigen Szenen, die sie bis zu diesem Zeitpunkt hatte, sehr ins Herz geschlossen habe, dann berührt mich diese Wendung in der Handlung natürlich. Insgesamt bin ich wirklich begeistert von „Into the Drowning Deep“ und möchte den Roman jedem in die Hand drücken, der sich auch nur ein bisschen für einen der von mir genannten Aspekte interessiert.
Die Geschichte der Atargatis soll demnächst verfilmt werden und wenn der Film wirklich gedreht wird (bei all den Ankündigungen, aus denen am Ende keine Filme wurden, bin ich dann doch etwas skeptisch) und in die Kinos kommt, werde ich wohl zum ersten Mal in meinem Leben Geld in die Hand nehmen, um gezielt in einen Horrorfilm gehen …